Dienstag, 19. Januar 2010

Benecke, Mark et al., Vampire unter uns!, Edition Roter Drache: Rudolstadt 2009, Festband, 112 S., ISBN 978-3-939459-24-8, 12,00 €.


Mit der Veröffentlichung des Vampirromans „Dracula“ 1897 hat der Ire Bram Stoker einen der ganz großen modernen Mythen geschaffen. Obwohl Stoker selbst nie in Transsilvanien gewesen ist und sowohl bei der Ortswahl als auch bei den historischen Anlehnungen seines Vampirs an reale Vorbilder des 15. Jahrhunderts mehr als großzügig mit den Fakten umging, bleibt Transsilvanien wohl im kulturellen Gedächtnis auf ewig mit dem blutsaugenden Aristokraten verbunden. Und auch heute noch sind es nicht nur die Hollywood-Produktionen wie Interview mit einem Vampir, Underworld, Blade oder Twilight (um nur einige zu nennen...), die die blutige Vampir-Romantik heraufbeschwören.
Dem Thema Vampire ist nun ein Buch aus der Edition Roter Drache gewidmet. Der schmale Band präsentiert neun Beiträge verschiedener Autoren, die sich des Themas Vampirismus auf unterschiedliche Art und Weise annehmen.
Da wäre zunächst der Kriminalbiologe Mark Benecke, der Vorsitzende der deutschen Sektion der Transylvanian Society of Dracula. Einer seiner Beiträge beleuchtet einen subkulturellen und somit wahrhaft gelebten Vampirismus, der in der Gothic-Szene angesiedelt ist. Der Leser erfährt vom Unterschied zwischen Energie- und Blutvampirismus und lernt die unterschiedlichen Spielarten letzterer Form kennen. Diese interessanten Einblicke werden durch das Interview mit einem weiblichen Vampir komplettiert. Da das Ganze etwas abseits dessen ist, was Ottonormalbürger für psychisch gesund halten würden, kommt zu diesem Thema auch eine Psychologin (Ewelin Wawrzyniak) zu Wort. Sie bricht in ihrem Beitrag eine Lanze für die Bereitschaft in der Gothic-Szene, dunkle Persönlichkeitsanteile zu akzeptieren und zu integrieren. Warum eigentlich kein Vampir sein?
Weg von der Subkultur geht es dann zur Pathologie.
Ein weiterer Beitrag von Benecke beleuchtet, gemäß der Profession des Autors, den Zusammenhang von Verwesungsprozessen und den sogenannten Vampirzeichen, an denen die Untoten zu erkennen sind. Diesen Zusammenhang gibt es und der Kriminalbiologe stellt ihn dar.
Im nächsten Schritt wird es historisch. Die Person, der Stoker zumindest den Namen für seine Romanfigur nahm, war Vlad Tepes (Vlad Draculea III.; 1431–1476). Dieser Herrscher über die Walachei kämpfte sein Leben lang, teilweise mit drastischen Abschreckungsmaßnahmen gegen seine Gegner, einen Zweifrontenkrieg gegen Ungarn und die Ottomanen. Dass dieser rumänische Herrscher außer dem Namen wenig mit dem Vampir gemein hat, wird genauso herausgestellt wie die Verwirrung geklärt wird, wo denn nun das bei Stoker beschriebene Schloss des Blutsaugers zu verorten wäre. Besonders unterhaltsam ist dabei das Interview mit dem mittlerweile verstorbenen Nicolae Paduraru, der jahrelang für das rumänische Tourismusministerium gearbeitet hat und sich dabei mit den Vorstellungen und Wünschen westlicher Stoker- und Dracula-Fans auseinander zu setzen hatte. Erst durch diese Touristen hörte man in den 60ern und 70ern in Rumänien von Dracula; der Roman wurde erst in den frühen 90ern ins Rumänische übersetzt. Was dieser Vampir-Boom für Rumänien bedeutete und wie darauf reagiert wurde, auch das schildert Paduraru im Interview.
Abgeschlossen wird dieses sehr unterhaltsame Buch mit Beiträgen, die die gegenwärtige Arbeit der Transylvanian Society of Dracula genauer unter die Lupe nehmen.
Und so vermittelt diese dunkelbunte Buch dem Leser: Mythos und Realität des Vampirs sind keineswegs tot! Aber das liegt ja in der Natur der Sache...

Montag, 18. Januar 2010

Trungpa, Chögyam, Spirituellen Materialismus durchschneiden, Theseus Verlag: Stuttgart 2009, Festband, SU, 262 S., ISBN 978-3-7831-9563-7, 22,95 €.


Das Buch „Spirituellen Materialismus durchschneiden“ von Chögyam Trungpa (1939–1987) ist mittlerweile ein Klassiker (Erstveröffentlichung 1973) und war lange nicht in deutscher Sprache erhältlich. Diesem Zustand verschaffte der Theseus Verlag mit der Neuveröffentlichung des Werkes in der Reihe Theseus Klassik Abhilfe.
Trungpa selbst wurde als Kind vom 16. Karmapa als tulku erkannt, also als eine bewusste Reinkarnation eines Meisters des Vajrayana-Buddhismus. Er erhielt eine umfassende klösterliche Ausbildung, wurde 1948 Mönchsnovize und 1959 voll ordiniert. Er wurde Abt eines Klosters und Gouverneur eines Distrikts in Tibet, dazu Linienhalter der Nyingma- und Kagyü- Tradition des tibetischen Buddhismus. Im selben Jahr floh Trungpa nach Indien und wurde dort geistiger Berater der Young Lamas Home School, bevor er ein Stipendium für Oxford erhielt und dort, im fernen England, Vergleichende Religionswissenschaft studierte. In England begann er als buddhistischer Lehrer zu unterrichten. 1969 gab er sein Mönchsgelübde auf und heiratete. Auf Einladung seiner Schüler siedelte er Anfang der 70er Jahre in die USA über. Dort und in Kanada gründete er mehrere Institute und war bis zu seinem Tod 1987 als buddhistischer Lehrer tätig.
Chögyam Trungpa war somit einer der ersten Lehrer des tibetischen Buddhismus, die im Westen lehrten. Das nun wieder vorliegende Buch versammelt 15 seiner Vorträge, die er 1970/71 kurz nach seiner Ankunft in den USA in Boulder, Colorado hielt.
Die buddhistischen Lehren stießen zu dieser Zeit auf starkes Interesse und Trungpa hatte innerhalb weniger Wochen eine große Anzahl westlicher Schüler. Eines der größten immer wieder auftauchenden Probleme, mit denen er sich in seiner Lehrtätigkeit konfrontiert sah, war die Motivation, aus der heraus seine Anhänger den sogenannten offenen Weg gehen wollten. Idealerweise mündet der offene Weg in einer Erleuchtung, einem Zustand, in dem jedes Streben und jede Selbsttäuschung zu Ende ist. Der Mensch öffnet sich vollständig dem Leben und ist präsent. Ein Raum für Ängste, Sorgen oder Stolz, generell für alle ichbezogenen Regungen, existiert dann nicht mehr.
In diesem erleuchteten Zustand sieht der Buddhist eines der wichtigen Ziele seiner Entwicklung. Das Leiden ist beendet und eine der Grundanschauungen des Buddhismus, die vom illusionären Charakter des Egos, ist erfahren, durchdrungen und praktisch überwunden. Die Illusion, die Selbsttäuschung hat eine Ende gefunden.
Für jeden, der diesen Weg gehen will, beginnen hier die Fallstricke auszuliegen. Das Ego ist geschickt und hat selbstredend ein starkes Interesse daran, sich als Instanz selbst zu erhalten. Schließlich identifiziert sich der Mensch gewöhnlich vollständig mit dem Ego. Und die Beschäftigung mit Religion oder Spiritualität und die damit verbundenen Hoffnungen und Wünsche sind natürlich Bewegungen des Egos. So ist beispielsweise jedes Streben nach Fortschritt oder Weiterentwicklung ichbezogen. Dieser grundlegende Irrtum, die Stärkung der Ich-Bezogenheit durch spirituelle Techniken, ist mit dem titelgebenden Begriff, spiritueller Materialismus, gemeint. Diese Irrwege und Sackgassen, so verschiedenartig sie in Erscheinung treten können, sind es, denen sich Chögyam Trungpa in seinen Vorträgen aus verschiedenen Blickwinkeln widmet.
Zu den Reden sind Fragen und Antworten kompiliert, soweit sie zur Vertiefung des Referats beitragen können. Aber die Sammlung hat noch mehr zu bieten: Neben der Beschäftigung mit den verschiedenen Formen des spirituellen Materialismus betrachtet Trungpa weitere, ganz grundlegende Elemente der tibetisch-buddhistischen Tradition: die Hingabe des Eingeweihten, das Verhältnis zum Guru, die Eigenschaften des Weges, die Wichtigkeit des Humors, die Natur des Egos, die Eigenarten der sechs Bereiche und vieles mehr.
So bietet das Buch neben der Aufdeckung der Mechanismen der Selbsttäuschung auf dem spirituellen Weg auch noch eine anschauliche Einführung in den tibetischen Buddhismus. Aber nicht nur in diesem zweiten Punkt kann sicherlich auch der Leser, der nicht die Verwirklichung im buddhistischen Kontext anstrebt, dem Inhalt des Buches einiges abgewinnen.

Sonntag, 17. Januar 2010

McCalman, Iain, Der letzte Alchemist, Insel Verlag: Frankfurt/M. 2004, Festband, SU, 336 S., ISBN 3-458-17199-1, 22,90 €.


Guiseppe Balsamo, (1743–1795), besser bekannt unter seinem angenommenen Namen Comte Alessandro di Cagliostro, war sicherlich nicht nur für die an Magie Interessierten eine der schillerndsten Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts. In einem Zeitalter der bürgerlichen Emanzipation und vor allem der Aufklärung war er eines der irrationalen Gegengewichte. Als Begründer der ägyptischen Freimaurerei, als Alchemist, Seher, Schatzsucher, Wunderheiler, Prediger, Prophet und Betrüger gewährte man ihm an den Höfen Europas Eingang, wo er sich zahlreiche Freunde und Feinde schuf.
Aus ärmsten Verhältnissen stammend, lernte der Sizilianer früh, sowohl mit seinen medizinischen Kenntnissen als auch mit kleinen Gaunereien über die Runden zu kommen. Es sollte ein äußerst unruhiges und bewegtes Leben folgen. Phasen des luxuriösen Lebens bei reichen Gönnern im Kurland (heute Lettland), St. Petersburg, Warschau, Straßburg oder Basel wechselten immer wieder mit Phasen der Flucht.
So musste Cagliostro beispielsweise das von Katharinas II. beherrschte St. Petersburg überstürzt verlassen, nachdem er sich dort aufgrund seiner medizinischen Erfolge die Feindschaft der Hofärzte zuzog und sich zudem damit suspekt machte, die Freimaurerei in Russland reformieren wollte. Auch seine Anhänger unter den russischen Adeligen konnten ihm keinen Schutz gewähren und kurz nach seiner Abreise verbot Katharina II. die Freimaurerei.
Cagliostro reiste als Eingeweihter der mystischen ägyptische Freimaurerei und Alchemist weiter. Ausgehend vom Ritus der Strikten Observanz des von Hundt, in den Cagliostro initiiert war, entwickelte er seine eigene Form mystischer Freimaurerei, nach eigenen Aussagen auf Geheiß eines Geheimen Oberen, des Großkophta. Nach dem Tod des Freiherrn von Hundt fiel die Idee einer mystischen Maurerei auf fruchtbaren Boden und Cagliostro vermochte es, sich selbst als Großkophta in Szene zu setzen. Daneben gründete er auf jeder Station seiner Reise Hospitäler, wo er kostenlos Arme heilte, hielt spiritistische Séancen ab, forschte in den alchemistischen Laboren seiner Gönner und setzte nicht selten die Reize seiner Gattin Serafina ein, um seinen Einfluss zu steigern. Dass diese ihn schlussendlich verriet und in geistiger Umnachtung endete, ist nur eine der tragischen Facetten dieser faszinierenden Lebensgeschichte.
Auch am französischen Hof machte sich Cagliostro unmöglich. Als Alchemist und Arzt in der Gönnerschaft des Kardinals de Rohan verlebte er einige erfolgreiche Jahre in Straßburg, bevor er in die Halsbandaffäre, einen der bedeutendsten Skandale des französischen Hofes im 18. Jahrhundert, verwickelt wurde. Als Reaktion ließ ihn das französische Königspaar, Louis XVI. und Marie Antoinette, in der Bastille einkerkern. Nach seinem Freispruch folgte ein Debakel in England, wo er sich den Journalisten Théveneau de Morande zum Feind machte, der ihn dann auch von der Insel vertrieb. Nicht nur de Morande, auch Giacomo Casanova zählte zum illustren Kreis leidenschaftlicher Feinde; zudem brachte der Sizilianer auch den Papst gegen sich auf.
Ohne zu viel verraten zu wollen: Seine einflussreichen Gegner und der Verrat durch seine Vertrauten waren es dann auch, die ihn am Ende zu Fall brachten.
Der an der Universität von Sydney lehrende Kulturhistoriker Iain McCalman stellt sich in seiner lesenswerten Biographie des Balsamo weder auf die Seite der Kritiker noch auf die der bedingungslosen Bewunderer. Mit sachlicher Feder zeichnet der Autor kenntnisreich den wechselvollen Lebensweg des Cagliostro nach, von der Geburt in ärmlichen Verhältnissen in Palermo bis hin zu dessen Tod in der von Papst Pius VI. angeordneten Kerkerhaft.
Dabei liest sich diese spannende Biographie, wie sollte es anders sein, wie ein Abenteurerroman. Und ganz folgerichtig endet das Buch mit der Betrachtung des Nachwirkens Cagliostros in Kunst und Kultur. Schon Zeitgenossen verfassten Biographien des Grafen, es geht die Vermutung, dass Emanuel Schikaneder die Figur des Sarastro in der Zauberflöte dem Cagliostro zumindest angelehnt hat, Johann Strauß widmete diesem eine Operette, Goethe und Schiller jeweils eines ihrer Werke und dann fand Cagliostro auch noch Aufnahme in die Popkultur: Hier findet er sich beispielsweise in der Illuminatus-Trilogie von Shea und Wilson und in den Comics um den Superhelden Spawn.
Das würde Cagliostro sicher über alle Maßen freuen, denn gemäß seiner Prophezeiung ist er auf diese Weise unsterblich geworden.

Read, Piers Paul, Die Templer. Die Geschichte der Tempelritter..., Atmosphären Verlag: München 2005, Festband, ISBN 3-86533-031-2, 19,90 €.


Piers Paul Read, der Autor dieses Buches über die Templer, ist emeritierter Dozent der Geschichte in Cambridge, derweil in London lebend und mittlerweile Verfasser von Romanen und Büchern zu verschiedenen Sachthemen. Das hier in deutscher Übersetzung vorliegende Werk erschien bereits 1999 in England und zementiert den Eindruck einer allgemeinen Templerrenaissance, gemessen an der Fülle der neueren Publikationen zu diesem Orden.
Was ist nun, eingedenk dieser Publikationswut, das Besondere an diesem Werk?
Zuerst einmal sticht die lebendige Darstellung der historischen Ereignisse als ungewöhnlich hervor. Das lässt sich vorweg für das gesamte Werk konstatieren.
Der Einstieg ist ebenso bemerkenswert. Ausgehend von der Frage, warum gerade Jerusalem so bedeutend für Juden, Christen und Muslime ist, erzählt der Autor sehr unterhaltsam und informativ die Geschichte des Christentums und des Islams schlaglichtartig. Auf den ersten achtzig Seiten findet sich also alles an Vorkenntnissen, was nötig ist, um die wechselvolle Geschichte der Tempelritter einordnen zu können.
Bekanntermaßen ist die Geschichte der geistlichen Ritterorden eng mit dem Kreuzzugsgedanken verbunden. Folglich wird dieser Entwicklung und den daraus folgenden Zügen viel Raum gegeben. Was manch andere Bücher zum Thema vermissen lassen, leistet Read hier fast spielerisch: Von der Gründung des Ordens und der an ihn gestellten Anforderungen führt der Autor durch die Jahrhunderte des Bestehens des katholischen Ritterbundes; immer eng an den politischen Realien in Outremer und fokussiert auf die zahlreichen Interessenverflechtungen. Das dabei en passant auch die Assassinen ausreichend Erwähnung finden, ist nur ein Beispiel, welches den weiten Betrachtungswinkel des Buches aufzeigen mag. Die dazumal allzeit aufgetretenen schwierigen politischen und militärischen Lagen und die daraus folgenden Entscheidungen werden hervorragend analysiert. Dabei gewinnt ein komplexes, sich ständig veränderndes Mächteverhältnis Form und Farbe: Da sind Päpste, christliche Potentaten in Europa und Asien, die Herrscher des Byzantinischen Reiches, die muslimischen Dynasten und natürlich die geistlichen Ritterorden, zentral: die Templer. Die große Kunst von Read ist es hierbei, komplexe Sachverhalte einfach und vergnüglich lesbar darzustellen. Dabei verlier er nie den Fokus. Und der ist an sich schon weiter gespannt als in derartigen Darstellung gewöhnlich. Nicht nur das Ordensleben, die Konflikte nach innen und außen werden dargestellt, sondern auch der Spagat einer Ordensgeschichte in Asien und zeitgleich in Europa gelingt hervorragend. Sollte eigentlich in einer derartigen Darstellung selbstverständlich sein, gelingt aber in den seltensten Fällen glücklich. Diese Differenzierung setzt sich bis zur unterschiedlichen regionalen Vorgehensweise der Inquisitoren am Ende der Ordensgeschichte durch.
Daneben werden die einzelnen Personen der Geschichte genauestens eingeführt und charakterisiert, bis hin zur tragischen Rolle des Jakob von Molay.
Den herkömmlichen Mythologisierungen der Templer wird hier hingegen wenig Platz eingeräumt. Read weist anhand der guten Quellenlage zur Ordensgeschichte nach, dass es sich in keiner Weise um einen Orden handeln könne, dem besondere überkonfessionelle Spiritualität nachgesagt werden könne.
Empfehlenswert ist auch das Nachwort von Konrad Dietzfelbinger, dem Übersetzer des Buches. Er geht noch einmal besonders auf die seit dem 17. Jahrhundert verbreiteten und als „Templerismus“ bezeichneten Spekulationen ein, die den Rittermönchen eine institutionalisierte Geheimlehre andichten.
Das Buch ist mit zahlreichen Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen angereichert; außerdem illustrieren aussagekräftige Karten den Text.

Schenk, Amélie, Gesang des Himmels, O.W. Barth Verlag: Frankfurt/M. 2006, Festband, SU, 288 S., ISBN 3-502-61142-4, 19,90 €.


Galbe ist eine achtzehnjährige junge Frau, als sie im Winter 1994 den Ruf der Geister vernimmt. Sie gehört dem Volk der Tuwa an, die nomadisierend durch die Berge des Altai ziehen. Kurz zuvor war ihre Großmutter Pürwü gestorben, eine erfahrene und weitgerühmte Schamanin des Volkes. Ihre anfolgende Initiation beginnt mit 18 Tagen, in denen sie weder isst, noch schläft und kaum trinkt. Zwischen den Welten wankend nehmen die Geister Besitz von ihr. Und dann, kaum Zeit in ihre neue Rolle hinein zu wachsen, kommen die Menschen von nah und fern, um sich ihren Rat zu holen.
Das Buch handelt von eben diesem schwierigen Weg, der für die junge Frau von den Geistern vorgesehen ist. Von der Verantwortung ihrem Volk und dessen Lebensraum gegenüber. Und auch davon, wie wichtig die Schamanin für die Tuwa- Nomaden ist.
Die Autorin, Amélie Schenk ist Ethnologin und forschte als solche bereits bei den nordamerikanischen Indianern, lehrte dann an der Hindi-Universität in Benares (Indien), bevor sich ihr Forschungsschwerpunkt in die Mongolei verlagerte. Dort lebt sie seit Jahren immer wieder für lange Monate und war so in der Lage, diese außergewöhnliche Geschichte zu dokumentieren. Das tut sie nicht, indem sie sich dem nicht einzuhaltenden Ideal irgendeiner wissenschaftlichen Objektivität verschreibt, sondern indem sie klar Position bezieht und von Anfang an emotional involviert ist. Damit wird sie akzeptiert und kommt den Menschen im Altai wahrscheinlich sehr viel näher, als diese es sonst zulassen würden.
So darf Schenk an Totenritualen teilnehmen und vieles aus der alten oralen Tradition der Tuwa schriftlich festhalten, wie Ritualtexte, Mythen, Legenden und heilkundliche Verfahren. Sie begleitet Galbe auf dem schwierigen Weg, den es zu gehen gilt, bis aus dem Nomadenmädchen eine große Schamanin wird. Bei allen Schwierigkeiten, Irrungen und Erfolgen ist die Autorin Zeuge; wann immer Galbe in schamanischer Trance mit den Geistern der Natur und der Ahnen umgeht oder heilt, darf Schenk dabei sein. Gemeinsam reisen sie zu heiligen Plätzen, opfern und sprechen ihre Gebete. Dem Leser wird damit eine weitestgehend verschlossene Welt eröffnet; das macht dieses Buch besonders. Dabei ist die Autorin auch sprachlich eher emotionalen Stimmungsbildern verpflichtet; immer wieder werden innere und äußere Wahrnehmung miteinander verflochten. Das kann erst einmal ein verwirrendes Leseerlebnis darstellen, führt aber nach einigen Seiten sehr bildhaft in diese außergewöhnlichen Lebensumstände ein. Unterstützt wird der Text dabei durch ausgesuchte Fotos von Land und Leuten.
Vielleicht ist ein weiterer Aspekt, der diesen Erfahrungsbericht in der Form möglich machte, auch der Umstand, dass die Schamanen im Altai der Gegenwart eine Abnahme an Spiritualität attestieren. Genau wird registriert, dass die Bindung des Menschen an die Erde und die Geister abnimmt und damit viel Wissen verloren geht. Zwar gäbe es einerseits immer mehr Schamanen, andererseits arbeiten diese aber wirkungslos wie nie. Ein Werk wie dieses, welches einen Teil der bedrohten Traditionen dokumentiert, kann also auch aus diesem Grund nötig sein. Zudem sind die Völker des Altai wirtschaftlichen Zwängen ausgesetzt, die es zunehmend schwierig machen, den Lebensraum zu behaupten und die nomadisierende Lebensweise aufrecht zu erhalten. Neben den eindruckvollen Einblicken in das Leben einer Tuwa- Schamanin wird somit genauso das der gesamten Nomadengemeinschaft thematisiert.
Entstanden ist ein eindrucksvolles und engagiertes Buch, das ein intensives Bild eines der kärgsten Landstriche der Erde und seiner Bewohner zeichnet.

Kharitidi, Olga, Samarkand. Eine Reise in die Tiefen der Seele, List Verlag: Berlin 2005, TB,
304 S., ISBN 3-548-60531-1, 8,95 €.


Die in Sibirien geborene Olga Kharitidi studierte erst Medizin in Nowosibirsk und arbeitete dann dort als Psychiaterin in einer Klinik. Nach ihren Erfahrungen mit den Schamanen Zentralasiens, die zum Teil Gegenstand des hier besprochenen Buches sind, entwickelte sie eine eigene Form der Psychotherapie. Sie nannte ihr System „Traum-Umwandlung“ und gibt zu dieser Methode Seminare und Workshops, hauptsächlich in den USA, wo sie mittlerweile lebt. In diesem Buch schildert die Autorin ausführlich, wie sie zu dieser Behandlungsweise zur Heilung von Traumata gekommen ist, die sie heutigentags lehrt und praktiziert.
Bei ihrer beruflichen Tätigkeit bekam sie die Gelegenheit, so beginnt die Geschichte, an einer halbstaatlich- und halbprivat geförderten Untersuchungseinrichtung, die sich zur Aufgabe gestellt hat, das Seelenleben des Menschen zu kartographieren, einen Vortrag zu hören. Damit beginnt für sie die Reise, die ihr Leben verändern sollte und an welcher der Leser teilnehmen kann.
Sie trifft in der Folge den usbekischen Heiler Wladimir und nimmt eine Einladung nach Samarkand an. Hier trifft sie auf Vertreter der Liuli, der Zigeuner Zentralasiens. Diese Menschen hüten ein uraltes Heilgeheimnis, welches methodisch auf dem Umgang mit luziden Träumen und dem Zugang zu einer universellen mütterlichen und lichten Kraft, die Anachita genannt wird, basiert. Im Original, 2001 in Amerika erschienen, heißt das Buch denn auch „The Master of Lucid Dreams“. Ziel der Heilung ist es, den Menschen von den Einschränkungen zu befreien, die aus erlebten Traumata resultieren.
Einen Meister des luziden Träumens lernt sie in Michael kennen, der ihr, kaum in Samarkand angekommen, diese Methode in einer dichten Folge von Unterweisungen lehrt. Dabei werden unter anderem auch spannende Deutungen von Teilen der zentralasiatischen Geschichte von dem Lehrer zur Verdeutlichung des Umgangs mit den Energien benutzt. An der Aufarbeitung ihrer eigenen Traumata lässt die Autorin den Leser teilhaben; er begleitet sie durch Höhen und Tiefen der Seelenfahrt. Nachdem Olga Kharitidi ihre eigenen seelischen Bruchstücke zusammen fügen und heilen gelernt hat, steht sie vor der Aufgabe, für andere Menschen auf diese Art und Weise zu wirken.
Der geschilderte Heilansatz ist prinzipiell nicht neu, in dieser speziellen Ausformung allerdings originär und sehr unterhaltsam und lehrreich aufbereitet. Ausgehend von Erinnerungslücken, die durch Traumata entstanden sind, setzen sich nach diesem Paradigma Dämonen in diese Lücken und beziehen ihre Energie, ihre Lebensgrundlage, aus dem Schmerz, den sie immer wieder reproduzieren. Ziel der Traum- oder Trancearbeit der usbekischen Heiler ist es, diese Lücken ins Bewusstsein zu holen, sich zu erinnern und dadurch den Dämonen die Macht zu nehmen. Als Mittel dienen in erster Linie luzide Träume.
Das Buch ist eine sehr gelungene Mischung aus Roman und Sachbuch. Allein die Lektüre dieses Buches hat das Potenzial, tief im Innern zu berühren und Veränderungen herbeizuführen. Der vorgebildete Leser kann anhand der Schilderung leicht Techniken entlehnen oder auch eigene entwickeln, mit denen er sich bei Bedarf selbst heilen kann. Ein interessanter Angang für das seelische „Ganzwerden“ aus schamanischer Sicht.

Glaser, Eckehard, Wissen verpflichtet, Herbert Utz Verlag: München 1999, 180 S., PB,
ISBN 3-89675-528-5, 34,00 €.


Der Konstruktivismus (oder Radikale Konstruktivismus; synonym zu verwenden) hat in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland zunehmend für interessante Diskussionen bei Wissenschaftlern fast aller Fachrichtungen gesorgt. Mit dem Konstruktivismus kündigt sich ein Paradigmenwechsel im Elfenbeinturm an, der im wesentlichen die Rehabilitierung der Subjektivität auf neurobiologischer Basis und deren weitläufige Folgen zum Inhalt hat.
Der Rückzug auf eine wie auch immer geartete objektive Wirklichkeit wird damit obsolet; eine vom Beobachter unabhängige unveränderliche Realität zur Fiktion. Objektives Wissen und Gewissheit sind ebenso Termini, die bei eingehender Hinterfragung ihre Allgemeingültigkeit verlieren. Einzig die Viabilität erscheint im Konstruktivismus entscheidend für das Fortbestehen bestimmter Realitätsauffassungen; ihre Fähigkeit also, das Lebewesen und das Milieu in einem funktionierenden Gleichgewichtszustand zu halten. Durch wechselseitige Einflussnahme (Perturbationen) werden dabei immer wieder Strukturveränderungen ausgelöst, die wiederum nach viablen Lösungen hin zu einem Gleichgewicht (Äquilibration) verlangen. So wird die Fragestellung des Konstruktivismus eine epistemologische, eine Frage danach, wie wir wissen oder besser, wie wir Erkenntnis erlangen.
Damit wird die Verantwortlichkeit für das Denken und Handel dorthin verlegt, wo sie hingehört: in das Individuum selbst. Es handelt sich allerdings nicht im Sinne des Solipsismus um das Werk eines isolierten Wesens, sondern findet in Strukturkoppelung mit anderen Artgenossen statt. Eine der konstruktivistischen Grundüberlegungen ist demzufolge, dass der Andere nicht nur notwendige Voraussetzung für eine eigene Wirklichkeit und ebensolches Wissen, sondern auch für das eigene Bewusstsein ist. Das enthebt natürlich keineswegs der eigenen Verantwortung.
Weit ausgebreitet wird von Glaser erörtert, wie „Wissen“ konstruiert wird und wie der Mensch in einer Art Selbstreferenz auf der naturwissenschaftlichen Basis der Wahrnehmungsphysiologie seine Eigenwerte bildet; sich freilich dessen in den wenigsten Fällen bewusst sein muss. Ausführlich zeigt der Autor dieses menschliche Vorgehen am Beispiel der Sprache auf.
Bei entsprechender Verinnerlichung dieser Theorie wird jedes Individuum zum gleichwertigen Konstrukteur seiner Wirklichkeit, was nur mit der Aufgabe von allgemeinen Absolutheitsansprüchen einhergehen kann. Damit ist der Konstruktivismus eine dogmenfreie und prozessorientierte Theorie, die sich schwerlich auf einen Punkt bringen lässt.
Am besten lässt sich das theoretisch Gebäude vielleicht als ein auf Vernunft begründeter Relativismus beschreiben. Das aufklärerische Vernunftideal spielt so im wissenschaftlichen Gebrauch eine Rolle, da andernfalls in diesem Rahmen Disqualifikation auf dem Fuße folgen würde. In anderen Zusammenhängen muss einer praktischen Umsetzung der theoretischen Grundlagen, wie sie der Konstruktivismus bietet, keine Einschränkung wiederfahren. Ein fröhliches Experimentieren im Erschaffen von Realitäten könnte ein konstruktivistisches Angebot sein.
Dieses Werk von Eckehard Glaser hält, was es verspricht. Es ist sowohl Einführung, als auch sorgfältige Präsentation und Rezeption der „Väter“ des Konstruktivismus Paul Watzlawick, Heinz von Foerster, Erich von Glasersfeld und der Chilenen Humberto Maturana und Francisco Varela. Zu deren Werken bietet die Bibliographie gezielten Zugriff und ermöglicht so eine Vertiefung. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich mit dem Werk von Eckehard Glaser, obwohl schon 1999 erschienen, um die beste Einführung in die Gedankenwelt des Konstruktivismus handelt.

Montag, 11. Januar 2010

Frater Oriphiel, Magische Einweihungspfade, Bohmeier Verlag: Leipzig 2005, 132 S., PB,
ISBN 3-89094-435-3, 14,90 €.


"Magische Einweihungspfade" von Frater Oriphiel verdeutlicht hervorragend, dass die Themen traditioneller Magie in ihrer klassischen Bearbeitung erfolgsversprechender Gegenstand okkulter Forschung sein können. Selbst ein langjährig Praktizierender, aktiv in verschiedenen Orden und zudem besonders im Nahen Osten weitgereist, führt der Autor hier in die magischen Angänge hermetischer und kabbalistischer Tradition ein, die in einfacher und klarer Struktur aufbereitet sind. Das erspart eine Menge Zeit, die andernfalls im Studium der fast unüberschaubaren Literatur zu diesen Themen gebunden wäre. Zudem leidet das Werk von Frater Oriphiel nicht an der weit verbreiteten theoretischen Überladung, die häufig einen direkten praktischen Zugang verwehrt.
Einführend findet sich eine sehr persönliche Deutung des Gesetzes des Neuen Äons, bevor die Gliederung der Kabbala behandelt wird. Zu jeder einzelnen Sephira finden sich die wichtigsten Entsprechungen, für den schnellen Zugriff übersichtlich geordnet. Die Pfade werden dabei genauso berücksichtigt. Es gibt ein Kapitel über die wichtigsten Grimoires und nach dieser dichten, vornehmlich theoretischen Grundlage, die sich trotz der vermittelten Komplexität auf die wesentliche Struktur beschränkt und dabei nie unverständlich wird, folgen die Kapitel, die sich der Praxis zuwenden.
Über Grundlagen, wie Asanas, Atemübungen, verschiedene Bannungen oder Zentrierungen, aurastärkenden Ritualen geht es im ersten Teil der magischen Praxis über Visualisation, Konzentration und die Vorstellung von Meditationstechniken hin zu den Pfadarbeiten. Dabei greift der Autor, und das zieht sich durch das gesamte Werk, auf seine eigenen Erfahrungen zurück, die beispielhaft immer wieder angeführt werden.
Verschiedene Sephiroth werden bereist und geben durch die gewählte Form der Darstellung die Möglichkeit, sofort eigene Erfahrungen zu machen.
Ein bemerkenswerte Besonderheit stellt sicher die Beschäftigung des Autors mit dem dunklen Licht dar, ein Thema, über das es andernorts wenig praktische Ausführungen gibt.
Im zweiten Teil zur magischen Praxis wendet sich Frater Oriphiel weiter führenden Techniken und Gegenständen abendländischer Zauberei zu. Neben Anrufung und Beschwörung der einzelnen Elemente, die durch Einblicke in die Tattwa-Lehre vervollständigt werden, nimmt die Kultmagie der Planetenlogoi großen Platz in diesem Werk ein. Ob olympisch oder nach den Werken von Agrippa; die Anführung der Siegel und Korrespondenzen grenzt ans enzyklopädische. Die Arbeit mit magischen Glyphen bis hin zur Erstellung eigener Siegel ist ebenfalls Gegenstand des Buches.
Abschließend dann unternimmt Frater Oriphiel noch einen Ausflug in das Henochische System der Magie.
Bei der Fülle der angesprochenen Themen ist eine letztgültige Erschöpfung natürlich nicht vorgesehen, wenn eine solche überhaupt formuliert werden kann.
Der schmale Band bietet aber alles, was man für einen Einstieg in die magische Tradition unserer Breiten benötigt. Zudem eignet es sich als Nachschlagewerk durch die reiche verdeutlichende graphische Untermalung des Textes und die Vielzahl der angeführten Entsprechungen. Anregung finden dabei sicherlich auch Fortgeschrittene. Liest und behandelt man zudem dieses Werk von Frater Oriphiel als Stufenplan magischer Entwicklung, so hat man einen ausgearbeiteten praktischen Weg vor sich, den man so, wie niedergeschrieben, in jedem einzelnen Schritt nachvollziehen kann. Genau so sollte eine derartige Ausarbeitung beschaffen sein.
Bleibt noch zu hoffen, dass dieses kleine feine Buch eine Fortsetzung erfährt. Bei der Fülle des Wissens, das hier ausgebreitet wird, ist dies nicht nur wahrscheinlich, sondern auch wünschenswert.

Hicks, Esther/ Hicks, Jerry, The Law of Attraction, Allegria Verlag: Berlin 4. Aufl. 2008, Festband, SU, 270 S., ISBN 978-3-7934-2124-5, 16,90 €.


Bezeichnungen wie Radikaler Konstruktivismus, Reality Creation und andere sind mehr oder weniger verschiedene Blickwinkel auf ein viel diskutiertes Grundprinzip menschlicher Erfahrung und das mit der Volksweisheit: Wie es in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus treffend und kurz gefasst werden kann. Das klingt zunächst einmal einfach, fast banal, kann aber recht kompliziert werden, sucht man anhand dieses Paradigmas der Anziehung sein Leben umzugestalten. Eine Vielzahl an Publikationen in den letzten Jahren ist diesem Prinzip verpflichtet und bietet mehr oder weniger Anleitung für die eigene Praxis. Eine der letzten und mit Recht hoch gelobten Veröffentlichungen ist das Buch The Law of Attraction von Esther und Jerry Hicks.
Die aus San Antonio in Texas stammenden Autoren leiten seit 1989 Seminare und schreiben Bücher zu diesem Grundprinzip. Die Herkunft der Botschaft ist in diesem Fall alles andere als gewöhnlich. Nach Jahren meditativer Praxis und Experimenten mit dem Ouija-Brett meldet sich durch Esther Hicks eine Gruppenidentität, die sich selbst Abraham nennt. Nach dem Ouija-Brett ist die Schreibmaschine das technische Instrument der Vermittlung bevor Abraham wenig später direkt durch Esther spricht.
Die vermittelte Lehre ist einfach und in ihrer konsequenten Anwendung von explosiver Durchschlagskraft. Sie besteht aus einem grundlegenden Wirkgesetz: dem Gesetz der Anziehung und der sich daraus ableitenden Prinzipien des Erschaffens und des Zulassens. Zudem beschreibt Abraham eine Technik des abschnittweisen Wünschens, mit der erste Erfahrungen leicht hergestellt werden können.
Im Zentrum steht die eigene Sensibilisierung gegenüber einer inneren Instanz, die Abraham Emotionales Leitsystem nennt. Was gerade gefühlt wird, bietet im Zusammenspiel mit dem was gerade gedacht wird einen sehr genauen Indikator zur eigenen Präsenz. Diesen Ausdruck gilt es zu beobachten, denn in jedem einzelnen Moment stellt man selbst die Anziehung her, die entsprechende Erfahrungen ins Erleben zieht. Anfänglich stellt das eine recht große Herausforderung an die Wachheit, die Achtsamkeit dar, was sich aber mit zunehmender Übung und entsprechenden Erfahrungen fast verselbstständigt. Und natürlich wird es mit dieser Betrachtungsweise unmöglich, jemand anderem die Schuld am eigenen Erleben zu geben: Selbstverantwortung ist bedingungslos gefordert. Weiß man dann nach einer Weile des Beobachtens, wie man sowohl das Geliebte als auch das Unliebsame im eigenen Leben durch Anziehung erschafft, ist der erste Schritt getan und es kann damit begonnen werden, Veränderungen herzustellen. Der Schaffensprozess ist nun durch Erfahrung verdeutlicht und jeder ist imstande, ganz bewusst Schöpfer seiner Erfahrung zu werden, im Gegensatz zum unbewussten Erschaffen eigener Erfahrung, in der viele Menschen ihr gesamtes Leben unzufrieden verbringen.
Jeder einzelne Schritt dieses grundlegenden Schaffensprozesses und des bewussten Gestaltens nach diesen Regeln ist äußerst klar und schnörkelfrei dargelegt und in detaillierter Erläuterung für jeden zweifelsfrei nachvollzieh- und anwendbar. Dabei sind auch die Schwierigkeiten, die mit so schwerwiegenden Veränderungen einhergehen können, nicht verschwiegen und auch hier leistet Abraham Beistand, indem er immer wieder auf Grundsätzliches zurückführt.
Eine Gebrauchsanleitung braucht dieses Buch sicher nicht: Wahrscheinlich empfiehlt es sich, das Werk einmal vollständig zu lesen, um es dann bei Gelegenheit immer wieder zur Hand zu nehmen. Dabei ist es egal, an welcher Stelle man das Buch aufschlägt: Auf unterschiedlichste Weise werden die wichtigen Grundzüge dieses kosmischen Gesetzes immer wieder praktisch eingebunden und eindrücklich vermittelt.
Ein sehr intensives Buch, dass durchaus zum pragmatischen Lebensbegleiter taugt. Mehr braucht man zum Thema nicht.

Norman, Alexander, Das geheime Leben der Dalai Lamas, Lübbe Verlag: Bergisch Gladbach 2007, Festband, SU, 477 S., ISBN 978-3-7857-2284-8, 19,95 €.


Der XIV. Dalai Lama, oberster Würdenträger des tibetischen Buddhismus (Vajrayana), bereist die Welt, ist auf meist medienwirksame Empfänge geladen und leitet Initiationen rund um den Globus. Er lebt im indischen Exil, da seine Heimat von den Chinesen besetzt gehalten wird. So könnte sicher ein jedem geläufiges Bild des berühmtesten Tibeters gezeichnet werden.
Zudem wurde jüngst bekannt, dass Tibet nach Willen der chinesischen Regierung weiter sinologisiert werden soll. So ist es künftig von der Legitimierung der Zentralregierung in Beijing abhängig, wer als Inkarnation eines buddhistischen Meisters (tulku) in Tibet anerkannt ist. Bestes Beispiel ist der aktuelle Panchen Lama, den es gleich zweimal gibt: Einer ist vom Dalai Lama anerkannt und steht irgendwo in China unter strengstem Hausarrest, während Beijing einen eigenen, chinatreuen Panchen Lama eingesetzt hat, den die Tibeter allerdings ablehnen. Dieses Verfahren wird in Zukunft wahrscheinlich Schule machen und könnte auch für den höchsten der tibetischen Lamas gelten, den Dalai Lama. Dieser lebt seit den 50er Jahren mit einem Großteil des tibetischen Volkes in Dharamsala (Indien), während die chinesische Ansicht, Tibet als unveräußerlichen Teil Chinas zu betrachten, immer seltener offiziell hinterfragt wird. Doch noch immer ist er der höchste tibetische Würdenträger in spirituellen und weltlichen Belangen.
Nun erschien ein Buch im Gustav Lübbe Verlag, in welchem die hierzulande weitestgehend unbekannte Geschichte der Institution des Dalai Lamas genauso anschaulich wie spannend erzählt wird.
Geschrieben hat es Alexander Norman, der buddhistische Philosophie studierte und den Dalai Lama 1988 kennen lernte, also ein Jahr bevor jener mit dem Friedensnobelpreis bedacht wurde. Mittlerweile verbindet Freundschaft die beiden. Als Ghostwriter wirkte Norman an den beiden Büchern „Das Buch der Freiheit“ und „Das Buch der Menschlichkeit“ mit und arbeitet nun am Department of Tibetan and Himalayan Studies der Universität Oxford. Zudem wurde er 2001 in das Dalai Lama´s Special Review Committee berufen.
Eingehend macht der Autor klar, dass der Geschichtsschreibung, wie sie im Abendland verstanden wird, eine andere Auffassung von Historiographie bei den Tibetern gegenübersteht. Demnach ist ein Ereignis, dass sich der historischen Prüfung entzieht, nicht zwangsläufig erfunden. Wie es Begebenheiten auf der materiellen Ebene gibt, so existieren, nicht nur, aber gerade in tibetischer Anschauung, ebensolche auf einer spirituellen Ebene. Beide werden als nicht voneinander getrennt gesehen, ähnlich wie in der schamanischen oder aber hermetischen Tradition unseres Kulturkreises. Diese Anschauung wirkt auf die meisten Menschen hier sowohl faszinierend, als auch fremdartig. Da der Autor sein Werk der wichtigsten Institution im tibetischen Buddhismus gewidmet hat, wird er dankenswerter Weise den dortigen Vorstellungen gerecht. Die Perspektive, die er wählt, ist die eines Außenseiters. So beschränkt er die verwendete Literatur auf die englischsprachigen Titel. Dennoch zieht er keine scharfe Trennung zwischen mythischen Erzählungen und historischen Darstellungen, beispielsweise wenn er die überlieferten Wunder der tibetischen Gottkönige schildert. Beides, tibetische Tradition und das, was nach zeitgenössischer westlicher Auffassung als wahr gilt, verwebt er gekonnt zu einem genauso lehrreichen wie unterhaltsamen Werk.
Die Institution des Dalai Lama als solche gibt es seit dem 14. Jahrhundert, wobei die ersten beiden in der Folge der Inkarnationen posthum als solche erkannt wurden. Erst der Dritte galt schon zu Lebzeiten als solcher. Verstanden wird dieser Würdenträger als eine Inkarnation des Gottes Chenrezig, der nach tibetischen Auffassung der Buddha der Barmherzigkeit ist. So erklärt sich der Begriff Gottkönig im Untertitel des vorliegenden Werkes. Zunächst heißt es aber ganz folgerichtig, sich mit der Vorstellung der Reinkarnation und der tibetischen Geschichte vertraut zu machen.
Mit der Einführung des Buddhismus in Tibet im 7. Jahrhundert begann auch die Verehrung dieses erleuchteten Wesens. Aber auch vor dieser Zeit sind bereits Inkarnationen des Chenrezig bekannt. Hier setzt der Autor an und schildert anschaulich die Reihe der (indischen) Wiedergeburten und die schwierige Durchsetzung des Buddhismus in Tibet. Dabei beschönigt Alexander Norman nichts. Neben den hohen religiösen Idealen kommt es von Anfang an innerhalb Tibets auch zu Auseinandersetzungen der verschiedenen Schulen und Lehrmeinungen, bis sich schließlich die Gelug-Schule durchsetzt, die über die Inkarnationsfolge der Dalai Lamas wacht. Zunächst ist das später entstandene Amt des Dalai Lamas als rein spirituelle Würde verstanden worden, bevor unter dem fünften Dalai Lama auch die politische Macht über Tibet dazu kam. Der Potala-Palast in Lhasa zeugt noch heute von der einstigen Pracht. Neben dem fünften ist es besonders der dreizehnte Dalai Lama, der als Herrscher über Religion und Politik bemerkenswert herausragt, wobei die Inkarnationsreihe auch weniger glückliche oder ambitionierte Potentaten aufweist. Gekonnt erzählt Norman deren Leben und Lebensbedingungen.
Dabei spielte das Land politisch meist eine tragische Rolle, ähnlich, wie das in der Gegenwart der Fall ist. Immer wieder wurden wechselnde Allianzen geschmiedet und lediglich die Abhängigkeiten veränderten sich. Ob von der Gnade der mongolischen Khans oder der der chinesischen Kaiser: Es gibt kaum einen Abschnitt tibetischer Geschichte, in denen das Land frei gewesen wäre. Mit leichter Feder zeichnet Norman die bewegte Geschichte Tibets durch die Jahrhunderte nach, wobei er den eigentlichen Gegenstand seines Werkes, den Dalai Lama, nie aus den Augen verliert.
Sicherlich kommen dabei auch weniger erfreuliche Aspekte zur Sprache: So ist beispielsweise die eingangs erwähnte Kontrolle der Inkarnationslinien keineswegs eine neue Erfindung der Chinesen, ganz im Gegenteil. Selbst einer der Dalai Lamas wendete sie als Druckmittel gegen missliebige Schulen an. Diesen Fakt kann natürlich nur werten, wer um die Wichtigkeit dieses Nachfolgesystems weiß. Auch das bietet dieses Buch: ein immer wieder berücksichtigende Darstellung anderer Würden und ihre Träger sowie Erläuterungen zu den verschiedenen Schulen des Vajrayana und deren Verhältnis zueinander.
Damit ergibt sich eine komplexe und kenntnisreiche Darstellung der höchsten Würde im tibetischen Buddhismus und derer kulturelle Einbindung, die in keiner Weise an die skurrile Ikonographie der Pop-Kultur anschließt und selbst unliebsame Ereignisse nicht verschweigt, was im Übrigen ganz im Sinne von Tenzin Gyatso ist, dem derzeit amtierenden XIV. Dalai Lama.
Alexander Norman ist es somit geglückt, eine erstaunliche Faktendichte aus tibetischer Religion und Geschichte sowie aus den Biographien der Lamas in einen sehr unterhaltsamen und hoch informativen Band über Tibet zu wandeln, der viel zum Verständnis der gegenwärtigen Situation der Tibeter beiträgt, ohne verkitschten Vorstellungen anzuhängen.
Das Buch ist mit Kartenmaterial, einer sehr brauchbaren Bibliographie und einem Sachwortregister ausgestattet, was den gezielten Zugriff auf den Text ungemein erleichtert.
Es ist eines dieser Werke, das längst überfällig war und deren Ende man bedauert.

Pagels, Elaine, Das Geheimnis des fünften Evangeliums, dtv: München 2006, TB, 240 S., ISBN 978-3-423-34333-6, 9,50 €.


Die an der Princeton University lehrende Religionswissenschaftlerin Elaine Pagels ist spätestens seit ihren Veröffentlichungen zu den Nag Hammadi Texten auch in Deutschland keine Unbekannte mehr. Erstmals erschien The Gnostic Gospels 1979 in Amerika (dt.: Versuchung durch Erkenntnis) und brachte einer breiten Leserschaft die heterogene Ideenwelt der christlichen Gemeinschaften in den ersten vier Jahrhunderten der aktuell populären Zeitzählung nahe. Was sich bis dahin nur ex negativo aus den Apologeten und Häresiologen (wie Irenäus, Hippolyt etc.) herauslesen lies, bekam mit dem Fund 1945 plötzlich eine genauere Kontur und eine eigene, ungefilterte Stimme. So war Pagels an der Übersetzung und Edition der Texte beteiligt und sollte diesem Thema auch in Folge verbunden bleiben. In ihrer zweiten auf dem deutschen Buchmarkt erschienenen Studie, „Satans Ursprung“, untersuchte sie dann die Rolle des Satans in der Religionsgeschichte. Während der Widersacher im AT in erster Linie ein Verhinderer gewesen ist, mutierte er im NT zum Feind Gottes an sich und wurde so zum inkarnierten Bösen. Die Autorin konnte damals aufzeigen, wie verwoben diese Wandlung mit einem aufkeimenden Antisemitismus in frühkatholischen Reihen war, bevor die Anklagen einer Satansgefolgschaft dann auch gegen sogenannte Heiden erhoben wurden. Genauesten wurde dabei die soziale Funktionalisierung derartiger Vorwürfe herausgearbeitet, die für die Durchsetzung des christlichen Exklusivitätsanspruchs fast schon als notwendig zu bezeichnen ist.
Auch in ihrem letztens veröffentlichten Werk, „Das Geheimnis des fünften Evangeliums“, das nun in der Taschenbuchausgabe vorliegt, bewegt sich die Religionshistorikerin wieder in frühchristlichen Gefilden. Im Zentrum der Untersuchung steht das Thomasevangelium, das vermutlich früher als die kanonischen vier Texte entstanden ist. Damit verbinden sich seit der Auffindung des Textes nach Thomas verschiedene Fragen, die sich sowohl an den Inhalt als auch an die Tradierung des Evangeliums anbinden lassen. Verglichen mit den vier kanonischen beschreibt dieser Text die Lehre Jesu radikal anders als in biblischer Version. Wie sah also die wirkliche Botschaft des Christus aus?
Zentraler Gedanke bei Thomas ist das inwendige Königreich des Herrn, die Gewissheit, dass Göttliche bereits in sich zu tragen. Wie in christlich-gnostischen Gemeinschaften üblich, war damit die Aufforderung gegeben, sich selbst auf den Pfad der Erkenntnis zu begeben und einen mystischen Weg hin zu dem Gott, der man ist, zu gehen. Dass das unvereinbar mit einer Institutionalisierung und Reduktion des Christentums auf Glaubensartikel war, ist verständlich. So stellt die Autorin an markanten Stellen der Schriften des Kirchenvaters Irenäus von Lyon heraus, wie viel argumentativen Aufwand es gekostet hat, der eigenen Gemeinde die gnostische „Gefahr“ immer wieder vor Augen zu halten. Die Praxis, durch eigene Erkenntnis und in eigener Verantwortung zu Gott zu finden, ist vom Beginn an in der Katholika unterbunden oder wenigstens stark eingeschränkt worden. Texte, die den individuell Suchenden Wegweiser sein konnten, wurden planmäßig aus dem Verkehr gezogen und gezielt vernichtet. Das Vermittlungsmonopol der Institution Kirche konnte so fast vollständig gesichert werden und die Zeit von Offenbarungen war in die apostolische Vergangenheit verortet und für beendet erklärt worden. Irenäus war es dann auch, der die vier Evangelien des heuten NT als einzig kanonisch erstmals zusammenstellte. Ein leicht gnostischer Einschlag lässt sich höchstens bei Johannes nachweisen.
Dabei scheint es eine Zeit lang zwischen dem Text des Johannes und dem des Thomas dergestalt Konkurrenz gegeben zu haben, dass Unsicherheit darüber bestand, welcher der beiden Texte denn in der katholischen Kirche anerkannt sein sollte. Die Wahl fiel auf Johannes. Die Autorin vergleicht beide Texte ausgiebig und legt dar, warum die Wahl auf Johannes gefallen sein könnte. Das Buch endet dort, wo die Christen im Römischen Reich anerkannt und protegierte Religionsgemeinschaft geworden sind, mit Kaiser Konstantin also. Allein die sehr verknappte und idealisierte Sicht dieses Mannes könnte als Wermutstropfen in dieser äußerst erhellenden Studie angesehen werden, obwohl natürlich zugegeben werden muss, dass ein ausgiebiger biographischer Abriss den Rahmen des Werken gesprengt hätte.
Das Buch wird durch einen Anmerkungsapparat, ein Personenregister, eine Bibliographie und das Thomasevangelium selbst in der derzeit aktuellen deutschen Übersetzung (Bethge et al.) vervollständigt. Wie alles, was von Elaine Pagels in deutscher Sprache veröffentlicht wurde, kann auch dieses Buch nur empfohlen werden.

Fischbach, Rainer, Mythos Netz. Kommunikation jenseits von Raum und Zeit?, Rotpunktverlag: Zürich 2005, PB, 304 S., ISBN 3-85869-301-4, 22,00 €.


Der enthusiastische, bessere Zukunft verheißende Gebrauch des Begriffe Netz und Netzwerk ist allgegenwärtig. Von Kommunikationsnetzen, die uns Raum und Zeit aufheben sollen bis hin zu Terrornetzwerken: nichts, was sich nicht als Netz deklarieren ließe und dumm, wer dieses zauberhafte Nomen nicht im Repertoire hat. Dass es sich bei diesen Äußerungen meist um vorgebrachte Phantasien technospiritistischer Art handelt, diesen begründeten Gedanken anzuregen ist Rainer Fischbach angetreten.
Der Autor ist Informatikberater, Publizist und forschte als Mitglied der Studiengruppe Peace Research and European Security (AFES-PRESS) zu den Fragen der militärischen Technologiefolgen-Abschätzung.
In vier ausführlichen Essays, die thematisch auf den Netzbegriff und seinen Gebrauch fokussiert sind, wird konsequent hinterfragt, ob sich die Phantasmagorien mit den sich real abbildenden Gegebenheiten irgendwie in Einklang bringen lassen. Das scharfsinnige Ergebnis: meistens nicht.
Wenn die Unabhängigkeit von Raum und Zeit in pseudoreligiösen Termini versprochen, das Internet als dezentral, robust und flexibel dargestellt wird, wird eine verschleiernde, bildhaft assoziative Metaphorik bemüht, die stark von den irdischen Gegebenheiten der profanen Kabelverlegung abweicht. Aus wirtschaftlicher Sicht wäre es eine Katastrophe, in jedes afrikanische Dorf Datenleitungen zu legen. Selbst in der bundesdeutschen Hauptstadt existieren von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich suffiziente Anbindungen an Datenströme. Das illusionäre Bild einer globalen kommunikativen Vereinigung muss so schon innerhalb einer Stadt der ersten Welt Federn lassen. Die erweiterten Möglichkeiten der Telekommunikation macht die Menschen also nicht gleicher und die Welt nicht gerechter, wie ein Vielzahl von Enthusiasten nicht müde wird zu betonen. Das ist auch eine der zentralen Thesen diesen Buches: Die realen Gräben und Gegensätze, welche die Menschheit trennen, bleiben bestehen und werden gar vertieft, während die Cyberapostel in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik das (unwissentlich?) ignorieren und es mit der endlosen Reproduktion ihrer fiebrigen Vision vermögen, genau die Kräfte zu lähmen, die diese Trennung zu überwinden trachten.
Weitere Ideale, wie der reine Markt, die schwerelose Ökonomie, die vernetzte Wissensgesellschaft usw. entpuppen sich ebenfalls, folgt man Fischbachs Analyse, als Blasen in einem Wortflussdurchfall. All diese entkörperten Vorstellungen unterlassen es, die Grundbedingungen materieller Produktion zu berücksichtigen, das Überleben und Gedeihen der Menschheit- also die Verbindungen zu konkretem Wissen und Lernen. In diesem Zusammenhang, der Heroisierung einer Entkoppelung von der Materie Richtung Cyberspace unterstellt Fischbach den Propagandisten in ihrer mangelhaften Reflektion ein enges Bündnis mit einem Phantasma des Todestriebes.
Dass der Raum nicht aufgehoben wird, sondern Neuzonierung vollzogen wird, dafür können Beispiele aus den USA, wie die Gated Communities oder Guarded Shopping Malls herangezogen werden. Die Entstehung von Global Cities, die mit dem agglomerierenden Kapital einhergeht, führt auf der Kehrseite zur Verödung und Schrumpfung von benachteiligten Städten und Regionen. Forschungsergebnisse von Urbanistik und Industriegeographie werden von Fischbach bei diesen Überlegungen einbezogen, genauso wie die von Mathematik, Physik oder Informatik.
Neben den angesprochenen Details aus dem Problemkreis Netzpropaganda erwarten den Leser eine Vielzahl weiterer luzider Gedanken zum Thema. Alles in allem ist dieses Buch eine glänzende Analyse, die wie ein Monolith aus dem weichmachenden ideologischen Einheitsbrei hervorsticht und ihm entgegen steht.

Fiebag, Peter/ Fiebag, Johannes, Das Gralsgeheimnis, Herbig Verlag: München 2006, 416 S., Festband, SU, ISBN 3-7766-2474-4,
22,90 €.


Die Gebrüder Fiebag veröffentlichen bereits seit Mitte der 80er Jahre Bücher zur Entschlüsselung des Grals. Das nun vorliegende Buch „Das Gralsgeheimnis“ stellt dabei ein vorläufiges Endergebnis der geschwisterlichen Forschung dar. Und da Gralsbücher derzeit hoch im Kurs stehen, kommt dieses Werk gerade recht.
Die Autoren grenzen sich gleich eingangs expressis verbis von Theorien ab, die in dem geheimnisvollen Gefäß eine literarische Fiktion, eine gegenständliche Trinkschale oder gar die Blutslinie des Gesalbten sehen wollen und bereiten so die Ausbreitung ihrer eigenen Forschungsergebnisse vor.
Die Ansicht, die im Zentrum ihrer Entschlüsslung des Grals steht, fußt auf der Paläo-SETI-These (SETI = Search for Extraterrestrial Intelligence). Gemäss dieser Vorstellung, deren prominentester Vertreter im deutschsprachigen Raum wahrscheinlich Erich von Däniken ist, bekamen unsere Vorfahren im Altertum Besuch von außerirdischen Intelligenzen. Verschiedene Ableitungen, die an diese Paläo-SETI-Theorie angebunden sind, werden in dem Werk ebenfalls zur Sprache gebracht.
Beim Gral handelt es sich also um eine transferierte außerirdische Technologie, die Moses am Berg Sinai empfangen hat. In alttestamentlichen Darstellungen, dem Manna-Wunder beispielsweise, offenbart sich richtig gelesen die Wirkungsweise dieser Maschine. Demnach brachte sie jeden Morgen eine nährende Substanz hervor (außer an den Tagen der Wartung), ein fachgerechter Umgang war mit dem Allerheiligsten nötig und eine Kommunikation mit „Gott“ war mithilfe dieser Technik auch möglich, war das Gerät doch mit einer Art Gegensprechanlage hin zu den außerirdischen Intelligenzen verbunden.
Neben den biblischen Schilderungen stützen sich die Autoren auf weitere, die diese Technologie detaillierter beschreiben. Im Buch des Mysteriums, der Kleinen Heiligen Versammlung und der Großen Heiligen Versammlung, allesamt Bücher des Sohar, wird eine Apparatur bzw. ein Wesen beschrieben, das „Der Alte der Tage“ (attik jomim bzw. attik jomin, OthIQ IVMIN) genannt wird. Mit technischen Sachverstand gelesen lässt sich eine Bauanleitung extrahieren. Nach dieser haben bereits George Sassoon und Rodney Dale eine Maschine gebaut, mit der sich auf der Basis der Chlorella-Alge ein Art Brot herstellen ließ. Was also bisher lediglich für ambitionierte Magier und Mystiker kabbalistischer Schule relevant war, wird bei den Gebrüdern Fiebag (und anderen) auf technologischer Ebene neu verhandelt. Antrieb der Maschine soll ein Plutoniumreaktor gewesen sein, wodurch die Unfälle (schwere Hautausschläge, Todesfälle) in unbefugter Gegenwart der Maschine, aufbewahrt im Allerheiligsten der Israeliten, erklärbar werden. Die Schilderungen des Speisewunders werden darüber hinaus, den Gralsdichtungen entnommen, in die Argumentation eingefügt und sollen die These einer Manna-Maschine untermauern.
Weiter wird die in der Forschung umstrittene Frage nach dem Provenzialen Kyot, der Quelle Wolframs, von den Autoren entschieden. Ihnen folgend gab es diesen Mann und zudem lagen ihm alte Schriften von Hiram (= Flegetanis), dem Baumeister des Salomonischen Tempels vor. Da dieser Zugang zum Allerheiligsten der Juden hatte, so die Begründung, konnte er die Manna-Maschine als einer der letzten aus eigener Anschauung schildern.
Da dieser Mannaproduktionsapparat auch transportiert werden musste, baute man ihm eine Bundeslade. In den Wirren der Geschichte des jüdischen Volkes geriet später das Wissen um die Nutzung der Technologie in Vergessenheit: In der Folge entwickelte sich ein Cargo-Kult um das Gerät, welcher einen seiner wechselvollen Höhepunkte in der Verehrung durch die Templer erfuhr, die das verschollenen Gerät im Mittelalter ausgruben. Fazit: Das ominöse Idol der Templer, Baphomet, ist identisch mit dem attik jomim, also der außerirdischen Manna-Maschine. Auf den gewundenen Pfaden heimatloser Templer gelangte das gute Stück an die Küste Neu-Schottlands, genauer lokalisiert: auf die Oak-Insel. Da jeder Bergungsversuch in den letzten zwei Jahrhunderten scheiterte, soll sie noch heute dort in einem tiefen unzugänglichen Schacht, dem Money Pit, ihrer Hebung harren. Soweit die zusammengefassten Ergebnisse des Bruderpaars.
In dieser phantastischen argumentativen Verquickung von außerirdischer Manna-Maschine, Moses, der Bundeslade, Hiram, dem kabbalistischen „Alten der Tage“, dem Templeridol und der Gralsdichtung, welche die Autoren hier leisten, steht doch bei der Konstruktion einiger Zusammenhänge Spekulation vor echter Beweiskraft; trotzdem bietet das Buch von Peter und Johannes Fiebag sehr anregende und kurzweilige Lektüre. Für Gralinteressierte sowieso.

Faivre, Antoine, Esoterik im Überblick. Geheime Geschichte..., Herder Verlag: Freiburg i.Br. 2001, TB, 159 S., ISBN 3-451-04961-9; 8,90 €.


Da gibt es also wieder einmal eine Geschichte der abendländischen Esoterik.
In diesem Falle, und dieses Buch ist schon einige Zeit auf dem Markt, von akademischer Seite. Der an der Pariser Sorbonne lehrende Wissenschaftler Antoine Faivre ist einer von zwei Lehrstuhlinhabern im akademischen Europa für das Gebiet der Esoterik. 1965 wurde an der Ecole pratique des Hautes Etudes, Section des Sciences religieuses der Lehrstuhl „Geschichte der christlichen Esoterik“ geschaffen, der 1979 als Lehrstuhl für „Geschichte der esoterischen und mystischen Strömungen im Europa der Neuzeit und der Gegenwart“ umdefiniert wurde. Weitere derartige universitäre Unterfangen existieren seit 1999 mit einem Lehrstuhl an der Staatlichen Universität in Amsterdam und in der neuen Welt seit 1997 mit dem Arbeitseminar an der American Academy of Religion; der programmatische Titel „Western Esotericism since the Early Modern Period“.
An erster Stelle steht in diesem kleinen Bändchen die Legitimierung der eigenen Forschungseinrichtung. Da werden die „unberufenen“ Kollegen kritisiert, dass es eine Freude ist. In wessen Auftrag haben sich Theologen, Historiker, Sozialwissenschaftler jedweder Couleur zur Esoterik zu äußern? Dass es auch im universitären Bereich um ein tieferes Verständnis des komplexen Gebietes der okkulten Wissenschaften gehen könnte, ist Faivre eines der Hauptanliegen in diesem Buch. So ist denn der erste Teil des Werkes mit dem Versuch befasst, Esoterik als Denkform, der bestimmte Komponenten zugeschrieben werden können, zu umreißen. Dabei werden diese Bestandteile nicht in einem absoluten Sinne verhandelt; einzelne können verschiedenen Denkformen angehören, von denen die wissenschaftliche, die mystische und die theologische expressis verbis aufgeführt sind.
Mit diesen Vorüberlegungen hofft der Autor, eine Betrachtung der esoterischen Strömungen im Abendland handwerklich zu bewältigen.
Was dann anfolgt, ist die phänomenologische Betrachtung der schriftlichen und gelegentlich auch künstlerischen Äußerungen, auf die sich die vorher definierten Kriterien anwenden lassen. Eine intellektuelle Zeitreise.
Und los geht die Fahrt. Von der alexandrinischen Hermetik, Neupythagorismus, Stoizismus und dem Neuplatonismus ins mittelalterliche Denken, hin zur jüdischen und dann christlichen Kabbala, führt die Reise weiter über Naturphilosophie, Theosophie, Alchemie, Freimaurerei, Spiritismus und Okkultismus. Am Ende steht die Betrachtung gegenwärtiger Äußerungen okkulter Einsichten, daraus entwickelter Lebensentwürfe und deren Umsetzung in verschiedenen Gemeinschaften.
Alles Material, dem in irgend einer Art und Weise die vorher festgelegten sechs primären Eigenschaften (Entsprechungen, Natur, Imagination/ Meditation und Transmutationserfahrung) und die zwei sekundären Eigenschaften (Konkordanzbildung, Transmission) zugeschrieben werden kann, wird phänomenologisch in Zusammenhang gesetzt. Damit handelt es sich also bei diesem Buch in erster Linie um eine gelehrte Motivsuche, die in eine dichte Aufzählung von Werkstiteln und Personennamen ausartet.
Der Wert dieses Buches mag nach den hervorragenden Arbeiten eines Karl R. H. Frick nicht sogleich einleuchten. Es dokumentiert hervorragend einen neueren Versuch der Gemeinde im Elfenbeinturm, sich dem Thema vorurteilsfrei und suffizient zu nähern. Das ist selten, wie der Autor selbst bedauert. Der theoretische Ansatz hingegen wird außerhalb der professionellen Athletik des Denkens kaum eine Rolle spielen; wer aber auf der Jagd nach Namen und Schriften ist, wird in dem trotz seiner geringen Seitenzahl fast enzyklopädisch zu nennenden Werk sicher fündig werden.

d´Albert, Yan, Das Lexikon der spirituellen Wege, Lüchow Verlag: Stuttgart 2007, TB, 200 S.,
ISBN 978-3-363-03130-0, 16,95 €.


Der Anspruch lexikalisch zu arbeiten, scheint derzeit wie eine Virus zu grassieren, führt man sich die allenthalben erscheinenden Lexika, Enzyklopädien oder Wörterbücher zu esoterischen Themen vor Augen. Dieses Genre ist nun wieder um eine Publikation erweitert, Das Lexikon der spirituellen Wege.
Der Autor, Yan d´Albert, kommt praktisch aus der Tradition islamischer Mystik und wird auf dem Rückentext des Bandes geheimnisvoll als „Neo-Derwisch“ bezeichnet. Darüber hinaus beschäftigt er sich offensichtlich auch mit anderen esoterischen Strömungen, was ihn in den Stand setzt, ein Lexikon der spirituellen Wege abzufassen. Zeugnis für sein breitgestreutes esoterischen Interesse sind seine vielfältigen Tätigkeiten. Er leitet Seminare, schreibt Bücher und komponiert Musik. So sind von d´Albert verschiedene CDs erhältlich, deren Inhalt Edelsteinmeditationen, Engel- und Reikiklänge oder aber Mantren umfangen kann. Seine bisherigen Buchpublikationen können vielleicht nicht als bestes Aushängeschild gelten, zeichnet sich d´Albert doch für eine Autorschaft der VGS/Pro7- Reihe zur Magie verantwortlich. Titel wie Das Buch der Magie, Das Buch der magischen Orte, Das Buch der magischen Feste oder Das Buch der magischen Rituale lassen nach kurzer Sichtung eher die Alarmglocken schrill läuten, als dass sie zu ernsthaftem Studium beitragen könnten.
Wie bei jedem Buch, besonders aber bei Nachschlagewerken, hat der kritische Leser die Aufgabe, Nachlässigkeiten gegen die dargebotenen Informationen und ihre Nutzbarkeit abzuwägen, wobei hier mit dem ersteren angefangen sein soll. So findet sich beispielsweise unter Baumhoroskop ein knapper Eintrag, der diese weit verbreitete Charakterkunde auf die Kelten zurückführt. Wer heute noch derartiges behauptet, läuft Gefahr sich schlicht und einfach lächerlich zu machen. Das sogenannte Keltische Baumhoroskop ist seit einigen Jahren zweifelsfrei als artifizielle Schöpfung einer französischen Modezeitung erkannt, was selbst von Autoren eingestanden wird, die nach wie vor Ratgeber zu diesem Thema veröffentlichen.
Stichworte wie Fluffy Bunny hingegen sind Merkwürdigkeiten, die fast völlig relevanzfrei in diesem Lexikon stehen oder zumindest die Frage virulent werden lassen, an wen sich das Buch denn eigentlich richtet. Oder ist es wirklich von Interesse, dass Wicca-Anhänger so angeblich junge weibliche Neulinge nennen, die von TV-Serien beeinflusst zum Wicca finden?
Die Einträge zu den islamischen Begriffen sind, ob der geistigen Verbundenheit des Autors mit dem Sufitum, noch die am besten benutzbaren. Zu dieser Tradition sind in nächster Zeit weitere Beiträge des Autors zu erwarten, sowohl in Buchform als auch musikalische auf CD.
Aber das Buch hat auch Stärken. Einige sonst, wahrscheinlich wegen unzureichender Historie noch wenig berücksichtigte Stichworte finden sich bei d´Albert: So sind beispielsweise Damanhur oder etwa Findhorn verschlagwortet. Zu fast allen Einträgen gibt der Autor Literaturhinweise und, wenn vorhanden, Netzadressen an, mithilfe derer weitere Informationen eingeholt werden können. Daneben sind die eingestreuten Kästen, die Listen zu speziellen Stichworten beinhalten, redaktionell ganz praktische umgesetzt. Die Dalai Lama-Liste, der Engel-Exkurs, das Gottheiten-ABC oder das Verzeichnis der Steine bieten einen pragmatisch orientierten knappen Schnellzugriff, wie es von einem Lexikon wünschbar ist.
Insgesamt ist jedoch an einer durchgehend vorhandenen relativen Oberflächlichkeit deutlich zu merken, dass der Autor, wie er selbst im Vorwort eingesteht, vielfach auf Netzinhalte zugriff und aus diesen erst einzelne Schlagworte entwickelte. Somit ist das Lexikon von d´Albert wahrscheinlich am ehesten ein Buch, dass nicht abschließend klären, sondern einen ersten Zugriff geben will und das in aller Kürze auch kann. Disqualifizierend für den Gebrauch sind Falschdarstellungen und die Aufnahme völlig belangloser Begriffe, die nur mit viel gutem Willen überhaupt in der Peripherie spiritueller Wege ausgemacht werden können.

Crowley, Aleister /Fuller, J.F.C., Die Pfadarbeiten von Aleister Crowley, Bohmeier Verlag: Leipzig 2003, 104 S., PB, ISBN 3-89094-388-8, 14,90 €.


1.

Hinter diesem Titel verbirgt sich die sorgfältig gemachte erste deutsche Gesamtausgabe von „Liber 963“ oder „Das Schatzhaus der Bilder“ von Captain J.F.C. Fuller, zu seiner Zeit Militärstratege, Musterschüler von Aleister Crowley und Mitarbeiter beim legendären „Equinox“. Dies ist ein seltenes, und damit wertvolles Buch. Es ist selten, weil es eine der wenigen Schriften ist, die im Kanon der thelemischen Literatur auftaucht, die nicht aus der Feder des Mstr. Therion stammt. Lassen Sie sich von dem Titel „Die Pfadarbeiten von Aleister Crowley“ nicht täuschen – die wenigen schlauen Worte, die er zu diesem Werk beigesteuert hat, passen alle auf eine Seite. Es erscheint einfach opportun, seine Involvierung hervorzukehren, wahrscheinlich weil der eigentliche Autor, nur dem eingefleischten Studenten der Tradition vertraut ist, das „Grosse Tier“ jedoch jedermann vertraut ist, der weiß, daß Magie nicht nur ein Kartenspiel ist.

Dies ist ein seltenes, und damit wertvolles Buch. Es ist selten, weil es vor allem ein Kunstwerk ist. Kunst! Ein Wort, das im Zusammenhang mit dem Okkulten nur noch zögerlich gebraucht wird, Zeugnis einer schleichenden Uminterpretierung des Magischen von einer kreativen Kulturleistung zu einer analytischen Technologieart oder archaischen Gestalttherapie. Dabei fiel die okkulte Renaissance der Jahrhundertwende (zum 20., nicht dem 21.!) gerade unter den Avantgardisten und Decadents des Kontinents auf fruchtbaren Boden – Initiierte schlossen Figuren wie den Schriftsteller Arthur Machen (ein erklärtes Vorbild von H.P. Lovecraft), Gustav Meyrinck, den Nobelpreisträger Yeats oder den renommierten Designer Albin Grau ein, aber auch andere Künstler, Professionelle und begabte Dilettanten. Ein Auge für Stil und Schönheit verband sich mit der Suche nach den ewigen Wahrheiten – in manchen Schriften wird Schönheit sogar als „offenbarte Wahrheit“ deklariert. In dieser Tradition stellt das „Schatzhaus der Bilder“ ein aussergewöhnliches Dokument dar.

Dies ist ein seltenes, und damit wertvolles Buch. Es ist wertvoll, weil es vor allem ein Kunstwerk ist. Man kann die im „Schatzhaus der Bilder“ gesammelten Texte als religiöse Prosagedichte beschreiben, oder mystische Meditationen über die verschiedenen Erscheinungsformen des Göttlichen. Im Genre der religiösen Literatur ist es ein Einzelfall, da es keinem spezifischen Pantheon verpflichtet ist, sondern seine Energie aus dem Symbolismus der Astrologie schöpft. Somit sind diese Texte universell verwendbar. Jeder Leser kann einen Bezug zu ihnen herstellen – via sein Geburtszeichen, oder auch einen spezifischen Charakterzug, den er auf meditative oder rituelle Weise zu erforschen wünscht. In der hier besprochenen Ausgabe sind einige modernere Texte beigefügt, die sich mit den Aspekten der Persönlichkeitsarbeit und Selbsterkenntnis mit Hilfe transpersonaler Techniken wie der Astrologie und dem Tarot befassen. Diese Texte bleiben jedoch seltsam trocken, vergleicht man sie mit den Hymnen des „Schatzhauses“ – sie sind bestenfalls technische Papiere, während die Bildwelt Cap. Fullers lebendig bleibt.

Die Energie und Gewissenhaftigkeit, mit der Fuller sein poetisches Konzept zu Ende geführt hat, kann man nur bewundern. Die Sprache ist blumig, ein Reigen von Verbildlichungen, lässt aber glücklicherweise die didaktische Lektion vermissen, die andere Kunst so oft verschandelt. Dies ist eine seltene Kunst, eine so umfangreiche Sammlung von Prosagedichten zu schaffen, die nicht belehren, sondern stattdessen nur illustrieren und aufzuzeigen vermögen. Sicherlich sind dies keine heiligen Schriften, dennoch scheint es fast ein wenig kleinlich, dass der Mstr. Therion dies Werk nur als eine Schrift der Klasse B klassifizierte, während er seine Miniaturvorbemerkung das Prädikat „A“ verlieh.

Der Unterschied zwischen „Kunst“ und Kunst, so schrieb der große Arthur Machen einmal, ist Ekstase. Captain Fuller war vor allem dies – ein Ekstatischer Dichter, ein Künstler mit Vision. Man kann ihn nicht wirklich innovativ nennen, aber er schaffte es für sich – und seine Leser – bestehende Symbole und Vorstellung zum Leben zu erwecken und somit den Schritt vom rein akademischen Wissen zum tieferen Verständnis zu meistern. Seine Ekstase wirkt auf den Leser immer noch inspirierend. Was kann man von einem Kunstwerk mehr erhoffen?

2.

Die deutsche Ausgabe von „Das Schatzhaus der Bilder“ ist eine sorgfältige 1:1 Übertragung der englischen Ausgabe von New Falcon Publications. Sie finden hier jeden Text, der in der englischen Ausgabe enthalten ist; wobei der englische Originaltext von Fullers Anrufungen auf den Seiten links der Übertragung abgedruckt wird. Man hat sich große Mühe gegeben, dem Original getreu zu werden; selbst die Seitenanzahl ist fast identisch. Und gerade darin liegt das Problem. Während die englische Ausgabe sich bei diesem Buch von der kruden und unansehnlichen Typographie gelöst hat, die die Publikationen dieses Hauses oft verschandelten, hat man es in der deutschen Ausgabe tatsächlich geschafft – vor allem durch die Benutzung eines kleineren Schriftgrösse und die Vermeidung von Abständen unter den Absätzen, die eine bessere Lesbarkeit unterstützen würden – ein Design von anspruchsloser Hässlichkeit zu kreieren. Dass das deutsche Format im Vergleich zum englischen noch einen cm breiter ist, verlängert vor allem die Zeilen, strapaziert die Lesbarkeit jedoch noch mehr.

Wie bereits erwähnt, wird das Wort „Kunst“ im Zusammenhang mit dem Okkulten nur noch zögerlich gebraucht. Vergleichen wir moderne Erzeugnisse aus diesem Genre mit Werken vor hundert Jahren, mit ihrer sorgfältigen Wahl von Type, Format, Papier und Farbe, sehen wir, daß es eine entscheidende Umorientierung gegeben haben muss – dabei sollte man nicht vergessen, daß Eleganz nicht automatisch ein Kontrollmechanismus der Medienmaschinerie ist und „krude“ nicht automatisch „authentisch“ impliziert. Ein gutes Beispiel ist die Umschlaggestaltung in diesem Falle: Während die englische Ausgabe schwarzen Text auf weißem Hintergrund über und unter eines Kreuzmotivs verwendet, wurde in der deutschen Ausgabe der ganze Text in schattiert hinterlegtem Grün auf einen dunkelroten Hintergrund (!) projiziert, während das Bildmotiv seitenbreit füllend vergrößert wurde, wodurch es vom unteren Teil der Seite zu rutschen scheint. Schrift und Bildmotiv wirken dadurch etwas schmuddelig, was dem Inhalt dieses Buches wenig angemessen ist. Zudem sollte jeder, der sich mit klassischen Themen der Magie befasst, wissen dass Komplementärkontraste (grün auf rot) im telesmatischen Bereich nur zur Anziehung marsischer Energien genutzt werden – womit ich mit der ärgerlichen Emphasis der letzten Zeilen nur zu gerne folgen will.

3.

Es ist immerhin mehr als lobenswert, wenn ein so seltenes und wertvolles, aber auch im kommerziellen Sinne „sperriges“ Buch in deutscher Sprache veröffentlicht wird. Ein Lob auch dem deutschen Übersetzer, Herrn Mons, für die Mühe, die er aufgewendet hat, um die Atmosphäre und den lyrischen Impuls von Fullers Hymnen zu erhalten. Bei dem viktorianisch gefärbten Englisch der „Equinox“-Ära sicherlich keine leichte Aufgabe. Weitaus schlechtere Übersetzungen aus der „Crowleyanity“ fand man bisher nur an eher esoterischen Orten – so gab es vor vielen Jahrzehnten einmal einen partiellen Abdruck von „963“ in der „Oriflamme“ des Schweizer O.T.O./Illuminaten-Ordens. In einer Zeit der zunehmenden „Technologisierung des ID“ ist das „Schatzhaus der Bilder“ sicherlich eine angenehme Abwechslung, gerade weil es so klassizistisch (oder „retro“) ist.

Die Bildersprache der einzelnen Texte ist ebenfalls auch eine schöne Möglichkeit, Anwendungen kabbalistischen Symbolismus und der dazugehörigen “Schattensprache” zu studieren. Das offensichtliche Thema, das dem ganzen Buch zugrunde liegt, ist „Einheit“ – die Einheit Gottes und seiner Schöpfung. Dem hebräischen Wort für Einheit, achad, wird der Zahlenwert 13 zugeordnet, eine Zahl, die nicht ohne Bedeutung im kabbalistischen und thelemischen Kontext ist. „Liber 963“ kann als vollständiger Kommentar zu dieser Zahl begreifen werden: wenn man sich dem Volksaberglauben verschließt, wird man schnell erkennen, dass diese Zahl in Beziehung steht zur Sonne und den 12 Stationen ihrer jährlichen Wanderschaft. Der 13. Punkt ist die Nabe eines Rades mit zwölf Speichen – das Zentrum, die Axis, der Nullpunkt. Fast alle solaren Mythen können in diese Richtung interpretiert werden – selbst der Jesus der Evangelien, der stets umgeben ist vom Dutzend seiner Chelas.

Man kann in dieser Zahl die Welt der solaren Erscheinungen als Widerspiegelungen der zentralen unverrückbaren Wahrheit interpretieren – das holografische Universum des Wortes. Es ist daher durchaus angemessen, daß der Hauptteil von „Liber 963“ die zwölf zodiakalen Widerspiegelungen der Gottheit und ihre Zentrierung umfasst. Jede dieser 13 Meditationen umfasst wiederum 13 Verse, während das folgende Kapitel „Die Hundert und Neunundsechzig Ausrufe der Anbetung und die Einheit davon“ aus 13 x 13 Versen besteht. Selbst der technische Titel „Liber 963“ bezieht sich auf achad/13; diese Zahl erhält man, wenn man die einzelnen Buchstaben des Wortes achad vollständig ausschreibt (aleph, cheth & tav) und die Buchstaben dieser Wörter zueinander addiert. Alles ist aus der Einheit entstanden und ist in der Einheit eingeschlossen. „Deswegen ist es Ein Ganzes, und nicht zwei halbe; und Eins zu sein ist Dreizehn, welche Nichts genannt wird, da sie Alles ist.“ Dies mag den Mathematiker vielleicht nicht überzeugen, auf einer tieferen Ebene aber jeden, der sich mit der Welt der Erscheinungen nicht aus reinem Selbstzweck beschäftigt, sondern weil in ihr eine Widerspiegelung der zentralen diamantenen Wahrheit enthalten ist, welche Nichts genannt wird, da sie Alles ist. Aum. Ha.

Burkert, Walter, Antike Mysterien. Funktionen und Gehalt, C.H.Beck: München 1994, 153 S., Festband, SU, ISBN 3-406-34259-0, 24,90 €.


In vorliegendem Werk gibt der Autor, mittlerweile emeritierter Professor für klassische Philologie an der Universität Zürich und profunder Kenner antiker Religionssysteme, einen wohl strukturierten Überblick über das antike Phänomen der Mysterienkulte. Anhand von Fragmenten, Hinweisen und Anspielungen antiker Überlieferung wird versucht durch Interpretation Formen religiösen Handelns, die längst verschwunden sind, verständlich zu machen. Diesem Anliegen wird das Werk in vollem Umfang gerecht, hervorzuheben dabei ist die Nüchternheit, mit der sich der Autor dem Thema nähert. Dies ist gerade in diesem Zusammenhang anzumerken, da nach wie vor das faktische Wissen um exoterische und esoterische Aspekte der Mysterien nur in Ansätzen vorhanden ist und so viel Raum für, zum Teil unseriöse, Spekulation bleibt.
Anhand von fünf Mysterienkulten, die durchaus als die Hauptvertreter gelten können, werden Gemeinsamkeiten, wie Erfahrung des Heiligen, Transformation und Heilung, sowie die Unterschiede in Organisation und Inhalt des Kultes vorgestellt in einer auch dem historischen und religionswissenschaftlichen Laien verständlichen Sprache, wobei die reichhaltigen Fußnoten dem Profi sicherlich das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen.
Der Autor charakterisiert Mysterien als eine persönliche Option im Rahmen des allgemeinen polytheistischen Systems, die dem Mysten die Chance geben, in direkten Kontakt mit den Göttern zu treten und durch die Erfahrung des Heiligen einen neuen Status der Bewusstheit zu erlangen. Diese Erfahrung wurde unterschiedlich gestaltet, während es bei den Eleusinischen Mysterien die einmal jährliche Mysterienweihe war, an der fast jeder teilnehmen konnte, waren innerhalb des Mithraskultes eine genau festgelegte Gradhierarchie, die an die heutigen Freimaurerorden erinnert, zu durchlaufen, dabei waren zum Mithraskult nur Männer zugelassen, ein Urbild des exklusiven Klubs.
Neben wirklich interessanten Fakten verschweigt der Autor nicht die überaus spärliche Quellenlage, die den Religionswissenschaftler vor das schier unlösbare Problem stellt, die Inhalte der Mysterienkulte zu erhellen, was sicherlich auch in der altbekannten Tradition von Geheimgesellschaften begründet liegt, integrale Bestandteile des Kultes unter dem Siegel der Verschwiegenheit und nur mündlich weiterzugeben.
Die indirekten Quellen die hier zu Rate gezogen werden sind die gnostisch-hermetische Literatur, die Zauberpapyri, die griechisch-römische Romanliteratur und Texte von Philosophen wie Platon und Plutarch. Das dritte Kapitel, das sich mit diesen Quellen auseinandersetzt, bildet sicherlich einen Glanzpunkt des Buches.
So ist es dem Verlag C.H.Beck gelungen ein rundum solides, gut aufgemachtes Werk herauszugeben, das selbst moderne Quellen einschließt und durch einen Bildteil anschaulich illustriert ist. Als Einstieg in die Thematik aber auch zur Vertiefung unbedingt geeignet.

Brennan, J.H., Mönche, Magier und Schamanen. Die geheimen Praktiken..., Lotos Verlag: München 2006, PB, 256 S., ISBN 3-7787-8188-X, 17,95 €.


Tibet besitzt mit dem Bön und dem Vajrayana gleich zwei schwergewichtige religiöse Traditionen, die sowohl magische als auch mystische Züge aufweisen. Beide beeinflussten sich über Jahrhunderte gegenseitig und eine genauere Differenzierung soll Tibetologen vorbehalten sein. In dem vorliegende Werk sind akademische Spitzfindigkeiten von geringer Einfluss. Die natürlich ihrerseits nicht herabgesetzt sein sollen. In einem Land, in dem vor dem Einmarsch der Chinesen jede/r Vierte als Mönch oder Nonne lebte, spiegelt sich die lange kontemplative Tradition selbst in der Sprache wieder, in der es Worte für fein nuancierte Bewusstseinszustände gibt, die kaum sinnhaft übersetzbar sind.
Das Buch „Mönche, Magier und Schamanen. Die geheimen Praktiken der spirituellen Meister Tibets“ von J. H. Brennan trägt das Programm schon im Titel. Der Autor zahlreicher recht unterschiedlicher Titel, mit Sicherheit selbst mit praktischen Erfahrungen in den spirituellen Disziplinen Tibets behaftet, bringt denn auch so einiges an Erstaunlichem zusammen.
Einführend liefert er einen sehr knappen Anriss, in dem die historischen Konturen Tibets aufgezeigt werden. Die Darstellung des dort tradierten Energiesystems mit seinen Chakren (Khor-lo) und Nadis (Rtsa), mit seinen Energien (Rlung) und subtilen Essenzen (Thig-le) bildet die Basis der im Folgenden betrachteten magischen Techniken. Dem bekannteren indischen Energieparadigma nicht unähnlich, parallelisiert auch Brennan zur besseren Veranschaulichung beide.
Der Hauptteil des Buches ist dann in vier Abschnitte untergliedert, die mit Magie, Mystik, Schlaf und Traum sowie Sterben und Tod betitelt sind. All diesen Bereichen sind verschiedene Verfahren zugeordnet; in vielen Fällen mit einer Anleitung für erste eigene Schritte. Das Kaleidoskop der so zu Buche geschlagenen Techniken reicht von vorbereitenden Übungen zur Meditation über Meditation, Gtum-mo (Tummo), Chöd, Phowa, die Yidam- und Mantram-Praxis, das Traumyoga, das Schlafyoga bis hin zur Erschaffung von Tulpas, also wesenhafter Materialisationen durch anhaltende Visualisierungspraxis.
Das Buch ist dabei reich durchsetzt von Schilderungen aus der Reise- und Forschungsliteratur vergangener Tage. Immer wieder werden die Darstellungen von Alexandra David-Neel und Henry Kjellson paraphrasiert oder aber Teile der Lebensgeschichte von Milarepa nach Evan-Wentz eingeflochten. Dabei sind es vornehmlich Berichte, die Beobachtungen der außergewöhnlichen Kräfte einiger Lamas beinhalten. Da bewegen sich Mönche in einem tranceartigen Zustand in eigentlich menschenunmöglicher Geschwindigkeit, andere lassen nackt im Schnee sitzend diesen um sich herum schmelzen und weitere intonieren bestimmte von Instrumenten begleitete Mantrams und levitieren mit diesen tonnenschwere Steine zum Bau eines Klosters an einer Felswand hoch.
Dass es bei der spirituellen Praxis nicht vordergründig um den Erwerb derartiger Fähigkeiten geht, macht der Autor besonders in den Teilen seines Buches klar, die von Schlaf, Traum, Sterben, Tod und Wiedergeburt handeln. Kurze praktische Anleitungen nach Erläuterung der mit diesen Bereichen verbundenen Zielsetzungen sind auch hier zu finden (z. Bsp. zum Traumyoga) und vieles dessen, was den Praktizierenden an Eindrücken erwartet, ist beispielhaft geschildert und im Bezugsrahmen des Bardo Thödol interpretiert.
Selbstverständlich kann ein Buch keinen Lehrer ersetzen. Das hätte Brennan deutlicher machen können. Gerade im Vajrayana ist das Verhältnis von Schüler und Lehrer recht eng und die Entwicklung von Fähigkeiten und Einsichten ist häufig von Übertragungen begleitet. Insofern sollten die Anleitungen eher als orientierender Praxiseinblick dienen und als eventueller Katalysator, sich einen Lehrer zu suchen.
Insgesamt ist „Mönche, Magier und Schamanen“ ein sehr guter Überblick über das Weltbild des Vajrayana im allgemeinen sowie im speziellen über die wichtigsten magischen und mystischen Lehren und Techniken. Das sehr kurzweilig zu lesende Buch ist klar strukturiert und bleibt durchgängig verständlich und spannend. Ein Glossar vervollständigt das Werk.

Blake, William, Die Hochzeit von Himmel und Hölle, area Verlag: Erftstadt 2005, 192 S., Festband, ISBN 3-89996-429-2; 5,00 €.


William Blake (1757-1827) ist den meisten wohl eher durch seine Malerei bekannt denn durch seine Dichtungen. Bildwerke wie „Der Traum des Nebukadnezar“, „Leviathan“ oder „Der Alte der Tage“ wird sicher jeder kennen. Um so erfreulicher, dass nach langer Pause nun ein Reprintverlag beschlossen hat, einige seiner Poeme wieder aufzulegen. Die Ausgabe enthält Blakes zentrales Werk, welchem dem Band auch den Namen gab, neben den großen epischen Dichtungen „Ahania“, „Los“, „Thel“ und „Urizen“. Komplettiert wird das Ganze durch die Werke „Weissagungen der Unschuld“, „Visionen der Töchter Albions“, „Amerika“, „Europa“ und „Los und Enitharmon“. Dabei handelt es sich um die Auswahl, die einer Ausgabe von 1907 entspricht, wobei lediglich die Orthographie angepasst wurde.
Der 1757 als drittes von sieben Kindern geborene Maler, Dichter und Kupferstecher erfuhr seine Inspiration aus für ihn erschütternden Visionen, die ihn schon als achtjähriges Kind zum Außenseiter machten. Damals sah er nach eigenen Auskünften das erste Mal Engelsgestalten in Bäumen, die mit ihm Kontakt aufnahmen. Damit stand er nicht allein. Auch sein älterer Bruder erlebte die visionäre Schau: er gab an, mit Moses und Abraham in Kontakt getreten zu sein. Schon als Kind widersetzte sich Blake den Zwängen, die von außen an ihn heran getragen wurden. So wagten seine Eltern es nicht, ihn zur Schule zu schicken; seine Bildung erlangte er durch autodidaktische Studien unter der helfenden Anleitung seiner Mutter. Diese Haltung sollte ein Leben lang Bestand haben; er betrachtete Vernunft und Bildung als eine Erzsünde. Zeichenschulen hingegen besuchte er seit frühester Kindheit mit Unterstützung seiner Eltern.
Die Bibel blieb neben seinen Visionen für Blake ein Leben lang Kern seiner künstlerischen Auseinandersetzung. Zudem wandte sich der junge Blake okkulter Literatur und spiritistischen Gruppen unter dem Einfluss von Swedenborg zu; daneben beeindruckten ihn in dieser frühen Phase seines Schaffens offenbar auch die Schriften der heiligen Theresa.
Der aus einem sehr religiösen, allerdings von der anglikanischen Hochkirche abweichenden Haushalt stammende Dichterprophet wandte sich später von Swedenborg ab und Paracelsus und Jakob Böhme zu. In diese Phase seines Lebens fällt die Fertigstellung seines ersten illuminierten Buches, wie er seine kleinen zeitlosen Werke später nannte, „Die Hochzeit von Himmel und Hölle“. Die Verbindung von Text und Bild, welche direkt auf die Kupferplatte aufgebracht wurden, war bis dahin einmalig. Gerade diese Verbindung von Dichtung und bildnerischer Darstellung suchte er immer wieder; beide Künste sah er als Bestandteil derselben Vision, die es wieder zu vereinigen galt. Und in dieser Zeit schrieb er seine stärksten Epigramme, so beispielsweise die letzten Worte der „Hochzeit“: „Denn alles was lebt ist heilig“ oder aber „Der zerschnittene Wurm verzeiht dem Pflug“ aus „Sprichwörter der Hölle“. Die Verherrlichung von leidenschaftlicher Tugend, Energie und Sexualität zieht sich durch all seine erleuchteten Schriften. Luvah nannte er dieses Prinzip in seiner persönlichen Mythologie. Meist sind also Phantasie und Eros als archaische Kräfte Gegenstand seiner feierlichen Gesänge.
Bei den Zeitgenossen soll Blake immer wieder auf Unverständnis gestoßen sein, was sicherlich nicht erstaunt. So soll es zum Skandal gekommen sein, als sich Herr und Frau Blake nackt in ihrem Garten präsentierten und in verteilten Rollen „Paradise Lost“ rezitierten.
Neben seine eigenen Arbeiten illustrierte er die Werke von Milton, Dante oder aber das Buch Hiob, zu dem er eine besondere Beziehung zu haben schien.. Dass diese Auftragsarbeiten, von denen er lebte, häufig nicht termingerecht abgeliefert werden konnten, lag in erster Linie an der „Beeinträchtigung“ seiner Arbeit durch immer wiederkehrende Visionen. So erscheinen ihm Geister, Engel, der Erzengel Gabriel, sein toter Bruder, Michelangelo oder aber Teufel, die sich in seinem künstlerischen Schaffen zu Wort melden. Um der künstlerischen Umsetzung seiner Einsichten nachgehen zu können, lehnte es Blake zeitlebens ab, Unterricht in größerem Stile zu geben, so als ihm eine hochdotierte Stellung am Hof in London offeriert wurde. Während sein Bildwerk nach wie vor lebendig ist, sind seine Poeme im deutschen Sprachraum eher unbekannt. Dieses Missverhältnis ist mit dem vorliegenden empfehlenswerten Band nun etwas ausgeglichener.
Alles in allem handelt es sich bei diesem Reprint um eine sehr schöne repräsentative Sammlung der wichtigsten Dichtungen dieses Visionärs, auch wenn bei der Einbandgestaltung Abstriche gemacht werden können.

Bey, Hakim, Grenzverletzungen. Essays, Edition Ka (Hadit Verlag): Albersdorf 2004, 96 S.,
ISBN 3-9808560-4-6, 12,90 €.


Der Hadit Verlag, der sich auch für das Erscheinen des Golem, einer beachtenswerten Zeitschrift mit den Themen Magick, Gnosis und Metaphysik (so im Untertitel) verantwortlich zeichnet, veröffentlicht hier den dritten Band seiner jüngst gestarteten „Edition Ka“. Diese wurde ins Leben gerufen, um interessante Texte an den Leser zu bringen, welche für den Golem zu ausführlich erscheinen.
In diesem kleinen Werk nun finden sich sieben Essays des amerikanischen Schriftstellers Hakim Bey (Pseudonym von Peter Lamborn Wilson). Er ist unter anderem Dichter, Rundfunkmacher, Reisender, Übersetzer persischer Dichtung und Theoretiker eines ontologischen Anarchismus. Bey selbst sieht sich in der Tradition islamischer Häresie stehen und ist mit seiner von Sufi-Mystik, archaischer Magie und Chaos inspirierten anarchistischen Gesellschaftskritik, der Ideen wie der poetische Terrorismus und die der Kommunikationsguerilla entspringen, wohl derzeit einzigartig im Kosmos schriftlicher Äußerung.
Bekannt ist der Autor hierzulande besonders durch das Konzept der „Temporären Autonomen Zone“ (TAZ), der in fast allen in diesem Bändchen gesammelten Essays eine für die Weiterentwickelung/Befreiung der Individuen autopoietische Schlüsselrolle zukommt. Spontan gebildet und von unterschiedlicher Halbwertszeit könnte sie die herzustellende Keimzelle von unterschiedlichst gearteter freiheitlicher Äußerung sein. Einige Möglichkeiten der Nutzung derartiger Zonen regt der Autor selbst an; weiteres ist der Kreativität des Lesers bei etwaiger Umsetzung überlassen.
Beys Aufsätze bestechen besonders durch eine freie analytische Blickrichtung. So, wenn ihm Multikulturalismus als Ende des Sozialen und Verhinderung tatsächlicher Autonomie gemeinschaftlichen Lebens erscheint oder aber wenn er sich bildende Sperrzonen als Bereiche gesellschaftlicher Marginalisierung formuliert und betrachtet. Auch allgegenwärtige Paradigmata werden geistreich „gegen den Strich“ gelesen, wie beispielsweise das vom Informationszeitalter in seiner Leibfeindlichkeit.
Entgegen der derzeitigen allgemeinen Tendenz, (Er-)Leben in die allmächtigen Bahnen des Konsums zu zwingen, bricht der Autor radikal mit dieser, gelinde formuliert, stumpfsinnigen Haltung und regt an.
Jenseits medialer Gleichschaltung denkt Hakim Bey vor und selten nach. Neben seinen analytischen Überlegungen kreiert er Gegenentwürfe, wie beispielsweise die bereits erwähnte TAZ, das DadaVoodoo, oder aber die Möglichkeit, Sperrzonen einzunehmen und als befreite und selbstverwaltete Lebensbereich zu organisieren. Dabei plädiert er meist für „Gefährliches“, für Sinnenfreuden und Freiheit.
Neben „Grenzverletzungen“ und „Primitive und Extropianer“ beinhaltet die Schriftensammlung die Aufsätze „Der Informationskrieg“, „Sperrzone“, „Gegen Multikulturalismus“, „Obsessive Liebe“ und „Media Hex: Der okkulte Angriff auf die Institutionen“. Alle Essays, zum größten Teil in den 90er Jahren geschrieben, sind in englischer Sprache im Netz verfügbar (Quellnachweise finden sich im Buch) und die beiden erstgenannten Beiträge erschienen bereits im Golem. Für diese Zusammenstellung sind erstmalig Übersetzungen ins Deutsche besorgt worden und werden dem einheimischen Leser nun zur Verfügung und Verführung gestellt. Wer Hakim Bey noch nicht kennt, hat nun die Möglichkeit, mit dieser kleinen Auswahl aus dem Hadit Verlag einen ersten Cocktail aus dem (Quer-)Denken dieses provokanten und unangepassten Ausnahmeschriftstellers in deutscher Sprache zu genießen.