Samstag, 2. Januar 2010
Armstrong, Karen, Die Achsenzeit. Vom Ursprung der Weltreligionen, Siedler Verlag: München 2006, Leinen, SU, 624 S., ISBN 3-88680-856-4, 28,00 €.
Karl Jaspers konstruierte 1949 die "Achsenzeit", um über große räumliche und zeitliche Entfernungen hinweg Geschichte handhabbar machen zu können. Einst konstruiert ist dieser Begriff titelgebend für das vorliegende Werk, welches dem Leser den Ursprung der Weltreligionen näher bringen soll.
Vorab kann schon einmal gesagt werden, dass das der Autorin gelingt, allerdings sind der Weg dorthin und die vorgenommenen Verknüpfungen zumindest freundlich zu hinterfragen. Allzu deutlich nämlich schreibt Armstrong tendenziös, sowohl in ihrer Wertung als auch in ihrer Quellenauswahl. Was an sich nicht verkehrt ist; wenn man jedoch ein wissenschaftliches Buch schreibt, disqualifiziert man sich ohne das Bemühen um methodische Objektivität.
Einer der Gründe könnte sein, dass die 1945 geborene Autorin vor ihrer wissenschaftlichen Karriere bis hin zur heute viel gelesenen und übersetzten Religionswissenschaftlerin, Nonne einer katholischen Ordensgemeinschaft gewesen ist. 1969 verließ sie dann den Orden. Es ist anzunehmen, dass sich ihre Vorstellungen von Religion dort nicht realisieren ließen; zumindest könnte man das ex negativo aus ihrem neusten Buch heraus lesen. Zumindest weiß sie einen gegenwärtigen Niedergang der Spiritualität zu verzeichnen, was einer ihrer Hauptmotivatoren zu sein scheint, sich der Vergangenheit zuzuwenden.
Mit Vorgeschichte ist der zeitliche Aufriss gigantisch. Von 1600 v.u.Z bis circa 200 v.u.Z. reicht die Betrachtung der Autorin; ein weitgespannter Zeitrahmen, wobei naturgemäß vieles in der Bearbeitung skizzenhaft bleiben muss. Weiterhin sind es vier Ecken der Welt, an welche die Arbeit gebunden ist: Indien, Israel, Griechenland und China. Jedes der zehn Kapitel, die chronologisch geordnet sind, untergliedert sich also in vier regionale Teile.
Verbindend nach Armstrong sind die in etwa gleichlaufenden Entwicklungen in geistesgeschichtlicher bzw. religiöser Hinsicht. In den griechischen poleis, den chinesischen Staaten, in Israel und in Indien entwickelten Weise innerhalb des angegebenen Zeitrahmens grundlegende Ideale menschlicher Spiritualität, die auch heute noch universal sind und nicht übertroffen wurden. Nach Phasen von kenosis, Erkenntnis, Leiden kommen dann Empathie, universelle Fürsorglichkeit, gefolgt von der Einsicht, dass alles eins sei. Entsprechend dem Werkstitel waren diese Erkenntnisse religiöser Natur und eine Umsetzung gab es höchstens partikular. (Zumindest für Griechenland, wo die entsprechenden Impulse aus der Philosophie kamen, ist der Werkstitel unzutreffend.) Aber um die Umsetzung geht es in dem Werk von Armstrong auch nicht. Hier wird eher Ideengeschichte geschrieben, die dort endet, wo große Imperien (weltliche und geistliche) dafür verantwortlich gemacht werden, dass derartige Ideen nicht umgesetzt und zeitweise gar in Vergessenheit geraten sind. Durch die Zeiten und Orte wird weitläufig zitiert, wobei die Autorin eine Unzahl von Quellen gesichtet hat und diese dem Leser teleologisch auf die präferierten Werte hin zugänglich macht. Viele der angegebenen Zusammenhänge bleiben bei aller Aussagekraft der Schriften des Altertums doch etwas bemüht und müssen so kausal nicht gesetzt werden. Zumindest ist ein derartiges Arbeiten im wissenschaftlichen Rahmen hinterfragbar. Alles leitend, und da ist die Autorin ja offenherzig, ist das Ideal des selbstlosen Menschen, der mit sich und anderen empathisch liebend vor dem Hintergrund universaler Einheit umgeht.
In diesem Sinne, so mahnt die Autorin, haben uns die Weisen der Achsenzeit noch viel beizubringen; zu dieser Zeit war man in zwischenmenschlichen Fragen wohl auf einem höheren ethischen Stand als heute.
Ganz richtig ist natürlich, dass in der "Achsenzeit", folgt man dieser Zeiteinteilung, diese Ideen originär waren, zumindest soweit es sich anhand schriftlicher Quellen nachvollziehen lässt. Dass hingegen früher alles besser war, wie Karen Armstrong dem Leser nahe bringen will, dürfte wohl nur ausgeprägte Kulturpessimisten freuen.
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