Montag, 18. Januar 2010
Trungpa, Chögyam, Spirituellen Materialismus durchschneiden, Theseus Verlag: Stuttgart 2009, Festband, SU, 262 S., ISBN 978-3-7831-9563-7, 22,95 €.
Das Buch „Spirituellen Materialismus durchschneiden“ von Chögyam Trungpa (1939–1987) ist mittlerweile ein Klassiker (Erstveröffentlichung 1973) und war lange nicht in deutscher Sprache erhältlich. Diesem Zustand verschaffte der Theseus Verlag mit der Neuveröffentlichung des Werkes in der Reihe Theseus Klassik Abhilfe.
Trungpa selbst wurde als Kind vom 16. Karmapa als tulku erkannt, also als eine bewusste Reinkarnation eines Meisters des Vajrayana-Buddhismus. Er erhielt eine umfassende klösterliche Ausbildung, wurde 1948 Mönchsnovize und 1959 voll ordiniert. Er wurde Abt eines Klosters und Gouverneur eines Distrikts in Tibet, dazu Linienhalter der Nyingma- und Kagyü- Tradition des tibetischen Buddhismus. Im selben Jahr floh Trungpa nach Indien und wurde dort geistiger Berater der Young Lamas Home School, bevor er ein Stipendium für Oxford erhielt und dort, im fernen England, Vergleichende Religionswissenschaft studierte. In England begann er als buddhistischer Lehrer zu unterrichten. 1969 gab er sein Mönchsgelübde auf und heiratete. Auf Einladung seiner Schüler siedelte er Anfang der 70er Jahre in die USA über. Dort und in Kanada gründete er mehrere Institute und war bis zu seinem Tod 1987 als buddhistischer Lehrer tätig.
Chögyam Trungpa war somit einer der ersten Lehrer des tibetischen Buddhismus, die im Westen lehrten. Das nun wieder vorliegende Buch versammelt 15 seiner Vorträge, die er 1970/71 kurz nach seiner Ankunft in den USA in Boulder, Colorado hielt.
Die buddhistischen Lehren stießen zu dieser Zeit auf starkes Interesse und Trungpa hatte innerhalb weniger Wochen eine große Anzahl westlicher Schüler. Eines der größten immer wieder auftauchenden Probleme, mit denen er sich in seiner Lehrtätigkeit konfrontiert sah, war die Motivation, aus der heraus seine Anhänger den sogenannten offenen Weg gehen wollten. Idealerweise mündet der offene Weg in einer Erleuchtung, einem Zustand, in dem jedes Streben und jede Selbsttäuschung zu Ende ist. Der Mensch öffnet sich vollständig dem Leben und ist präsent. Ein Raum für Ängste, Sorgen oder Stolz, generell für alle ichbezogenen Regungen, existiert dann nicht mehr.
In diesem erleuchteten Zustand sieht der Buddhist eines der wichtigen Ziele seiner Entwicklung. Das Leiden ist beendet und eine der Grundanschauungen des Buddhismus, die vom illusionären Charakter des Egos, ist erfahren, durchdrungen und praktisch überwunden. Die Illusion, die Selbsttäuschung hat eine Ende gefunden.
Für jeden, der diesen Weg gehen will, beginnen hier die Fallstricke auszuliegen. Das Ego ist geschickt und hat selbstredend ein starkes Interesse daran, sich als Instanz selbst zu erhalten. Schließlich identifiziert sich der Mensch gewöhnlich vollständig mit dem Ego. Und die Beschäftigung mit Religion oder Spiritualität und die damit verbundenen Hoffnungen und Wünsche sind natürlich Bewegungen des Egos. So ist beispielsweise jedes Streben nach Fortschritt oder Weiterentwicklung ichbezogen. Dieser grundlegende Irrtum, die Stärkung der Ich-Bezogenheit durch spirituelle Techniken, ist mit dem titelgebenden Begriff, spiritueller Materialismus, gemeint. Diese Irrwege und Sackgassen, so verschiedenartig sie in Erscheinung treten können, sind es, denen sich Chögyam Trungpa in seinen Vorträgen aus verschiedenen Blickwinkeln widmet.
Zu den Reden sind Fragen und Antworten kompiliert, soweit sie zur Vertiefung des Referats beitragen können. Aber die Sammlung hat noch mehr zu bieten: Neben der Beschäftigung mit den verschiedenen Formen des spirituellen Materialismus betrachtet Trungpa weitere, ganz grundlegende Elemente der tibetisch-buddhistischen Tradition: die Hingabe des Eingeweihten, das Verhältnis zum Guru, die Eigenschaften des Weges, die Wichtigkeit des Humors, die Natur des Egos, die Eigenarten der sechs Bereiche und vieles mehr.
So bietet das Buch neben der Aufdeckung der Mechanismen der Selbsttäuschung auf dem spirituellen Weg auch noch eine anschauliche Einführung in den tibetischen Buddhismus. Aber nicht nur in diesem zweiten Punkt kann sicherlich auch der Leser, der nicht die Verwirklichung im buddhistischen Kontext anstrebt, dem Inhalt des Buches einiges abgewinnen.
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