Dienstag, 19. Januar 2010

Benecke, Mark et al., Vampire unter uns!, Edition Roter Drache: Rudolstadt 2009, Festband, 112 S., ISBN 978-3-939459-24-8, 12,00 €.


Mit der Veröffentlichung des Vampirromans „Dracula“ 1897 hat der Ire Bram Stoker einen der ganz großen modernen Mythen geschaffen. Obwohl Stoker selbst nie in Transsilvanien gewesen ist und sowohl bei der Ortswahl als auch bei den historischen Anlehnungen seines Vampirs an reale Vorbilder des 15. Jahrhunderts mehr als großzügig mit den Fakten umging, bleibt Transsilvanien wohl im kulturellen Gedächtnis auf ewig mit dem blutsaugenden Aristokraten verbunden. Und auch heute noch sind es nicht nur die Hollywood-Produktionen wie Interview mit einem Vampir, Underworld, Blade oder Twilight (um nur einige zu nennen...), die die blutige Vampir-Romantik heraufbeschwören.
Dem Thema Vampire ist nun ein Buch aus der Edition Roter Drache gewidmet. Der schmale Band präsentiert neun Beiträge verschiedener Autoren, die sich des Themas Vampirismus auf unterschiedliche Art und Weise annehmen.
Da wäre zunächst der Kriminalbiologe Mark Benecke, der Vorsitzende der deutschen Sektion der Transylvanian Society of Dracula. Einer seiner Beiträge beleuchtet einen subkulturellen und somit wahrhaft gelebten Vampirismus, der in der Gothic-Szene angesiedelt ist. Der Leser erfährt vom Unterschied zwischen Energie- und Blutvampirismus und lernt die unterschiedlichen Spielarten letzterer Form kennen. Diese interessanten Einblicke werden durch das Interview mit einem weiblichen Vampir komplettiert. Da das Ganze etwas abseits dessen ist, was Ottonormalbürger für psychisch gesund halten würden, kommt zu diesem Thema auch eine Psychologin (Ewelin Wawrzyniak) zu Wort. Sie bricht in ihrem Beitrag eine Lanze für die Bereitschaft in der Gothic-Szene, dunkle Persönlichkeitsanteile zu akzeptieren und zu integrieren. Warum eigentlich kein Vampir sein?
Weg von der Subkultur geht es dann zur Pathologie.
Ein weiterer Beitrag von Benecke beleuchtet, gemäß der Profession des Autors, den Zusammenhang von Verwesungsprozessen und den sogenannten Vampirzeichen, an denen die Untoten zu erkennen sind. Diesen Zusammenhang gibt es und der Kriminalbiologe stellt ihn dar.
Im nächsten Schritt wird es historisch. Die Person, der Stoker zumindest den Namen für seine Romanfigur nahm, war Vlad Tepes (Vlad Draculea III.; 1431–1476). Dieser Herrscher über die Walachei kämpfte sein Leben lang, teilweise mit drastischen Abschreckungsmaßnahmen gegen seine Gegner, einen Zweifrontenkrieg gegen Ungarn und die Ottomanen. Dass dieser rumänische Herrscher außer dem Namen wenig mit dem Vampir gemein hat, wird genauso herausgestellt wie die Verwirrung geklärt wird, wo denn nun das bei Stoker beschriebene Schloss des Blutsaugers zu verorten wäre. Besonders unterhaltsam ist dabei das Interview mit dem mittlerweile verstorbenen Nicolae Paduraru, der jahrelang für das rumänische Tourismusministerium gearbeitet hat und sich dabei mit den Vorstellungen und Wünschen westlicher Stoker- und Dracula-Fans auseinander zu setzen hatte. Erst durch diese Touristen hörte man in den 60ern und 70ern in Rumänien von Dracula; der Roman wurde erst in den frühen 90ern ins Rumänische übersetzt. Was dieser Vampir-Boom für Rumänien bedeutete und wie darauf reagiert wurde, auch das schildert Paduraru im Interview.
Abgeschlossen wird dieses sehr unterhaltsame Buch mit Beiträgen, die die gegenwärtige Arbeit der Transylvanian Society of Dracula genauer unter die Lupe nehmen.
Und so vermittelt diese dunkelbunte Buch dem Leser: Mythos und Realität des Vampirs sind keineswegs tot! Aber das liegt ja in der Natur der Sache...