Montag, 11. Januar 2010

Bey, Hakim, Grenzverletzungen. Essays, Edition Ka (Hadit Verlag): Albersdorf 2004, 96 S.,
ISBN 3-9808560-4-6, 12,90 €.


Der Hadit Verlag, der sich auch für das Erscheinen des Golem, einer beachtenswerten Zeitschrift mit den Themen Magick, Gnosis und Metaphysik (so im Untertitel) verantwortlich zeichnet, veröffentlicht hier den dritten Band seiner jüngst gestarteten „Edition Ka“. Diese wurde ins Leben gerufen, um interessante Texte an den Leser zu bringen, welche für den Golem zu ausführlich erscheinen.
In diesem kleinen Werk nun finden sich sieben Essays des amerikanischen Schriftstellers Hakim Bey (Pseudonym von Peter Lamborn Wilson). Er ist unter anderem Dichter, Rundfunkmacher, Reisender, Übersetzer persischer Dichtung und Theoretiker eines ontologischen Anarchismus. Bey selbst sieht sich in der Tradition islamischer Häresie stehen und ist mit seiner von Sufi-Mystik, archaischer Magie und Chaos inspirierten anarchistischen Gesellschaftskritik, der Ideen wie der poetische Terrorismus und die der Kommunikationsguerilla entspringen, wohl derzeit einzigartig im Kosmos schriftlicher Äußerung.
Bekannt ist der Autor hierzulande besonders durch das Konzept der „Temporären Autonomen Zone“ (TAZ), der in fast allen in diesem Bändchen gesammelten Essays eine für die Weiterentwickelung/Befreiung der Individuen autopoietische Schlüsselrolle zukommt. Spontan gebildet und von unterschiedlicher Halbwertszeit könnte sie die herzustellende Keimzelle von unterschiedlichst gearteter freiheitlicher Äußerung sein. Einige Möglichkeiten der Nutzung derartiger Zonen regt der Autor selbst an; weiteres ist der Kreativität des Lesers bei etwaiger Umsetzung überlassen.
Beys Aufsätze bestechen besonders durch eine freie analytische Blickrichtung. So, wenn ihm Multikulturalismus als Ende des Sozialen und Verhinderung tatsächlicher Autonomie gemeinschaftlichen Lebens erscheint oder aber wenn er sich bildende Sperrzonen als Bereiche gesellschaftlicher Marginalisierung formuliert und betrachtet. Auch allgegenwärtige Paradigmata werden geistreich „gegen den Strich“ gelesen, wie beispielsweise das vom Informationszeitalter in seiner Leibfeindlichkeit.
Entgegen der derzeitigen allgemeinen Tendenz, (Er-)Leben in die allmächtigen Bahnen des Konsums zu zwingen, bricht der Autor radikal mit dieser, gelinde formuliert, stumpfsinnigen Haltung und regt an.
Jenseits medialer Gleichschaltung denkt Hakim Bey vor und selten nach. Neben seinen analytischen Überlegungen kreiert er Gegenentwürfe, wie beispielsweise die bereits erwähnte TAZ, das DadaVoodoo, oder aber die Möglichkeit, Sperrzonen einzunehmen und als befreite und selbstverwaltete Lebensbereich zu organisieren. Dabei plädiert er meist für „Gefährliches“, für Sinnenfreuden und Freiheit.
Neben „Grenzverletzungen“ und „Primitive und Extropianer“ beinhaltet die Schriftensammlung die Aufsätze „Der Informationskrieg“, „Sperrzone“, „Gegen Multikulturalismus“, „Obsessive Liebe“ und „Media Hex: Der okkulte Angriff auf die Institutionen“. Alle Essays, zum größten Teil in den 90er Jahren geschrieben, sind in englischer Sprache im Netz verfügbar (Quellnachweise finden sich im Buch) und die beiden erstgenannten Beiträge erschienen bereits im Golem. Für diese Zusammenstellung sind erstmalig Übersetzungen ins Deutsche besorgt worden und werden dem einheimischen Leser nun zur Verfügung und Verführung gestellt. Wer Hakim Bey noch nicht kennt, hat nun die Möglichkeit, mit dieser kleinen Auswahl aus dem Hadit Verlag einen ersten Cocktail aus dem (Quer-)Denken dieses provokanten und unangepassten Ausnahmeschriftstellers in deutscher Sprache zu genießen.