Montag, 11. Januar 2010

Fischbach, Rainer, Mythos Netz. Kommunikation jenseits von Raum und Zeit?, Rotpunktverlag: Zürich 2005, PB, 304 S., ISBN 3-85869-301-4, 22,00 €.


Der enthusiastische, bessere Zukunft verheißende Gebrauch des Begriffe Netz und Netzwerk ist allgegenwärtig. Von Kommunikationsnetzen, die uns Raum und Zeit aufheben sollen bis hin zu Terrornetzwerken: nichts, was sich nicht als Netz deklarieren ließe und dumm, wer dieses zauberhafte Nomen nicht im Repertoire hat. Dass es sich bei diesen Äußerungen meist um vorgebrachte Phantasien technospiritistischer Art handelt, diesen begründeten Gedanken anzuregen ist Rainer Fischbach angetreten.
Der Autor ist Informatikberater, Publizist und forschte als Mitglied der Studiengruppe Peace Research and European Security (AFES-PRESS) zu den Fragen der militärischen Technologiefolgen-Abschätzung.
In vier ausführlichen Essays, die thematisch auf den Netzbegriff und seinen Gebrauch fokussiert sind, wird konsequent hinterfragt, ob sich die Phantasmagorien mit den sich real abbildenden Gegebenheiten irgendwie in Einklang bringen lassen. Das scharfsinnige Ergebnis: meistens nicht.
Wenn die Unabhängigkeit von Raum und Zeit in pseudoreligiösen Termini versprochen, das Internet als dezentral, robust und flexibel dargestellt wird, wird eine verschleiernde, bildhaft assoziative Metaphorik bemüht, die stark von den irdischen Gegebenheiten der profanen Kabelverlegung abweicht. Aus wirtschaftlicher Sicht wäre es eine Katastrophe, in jedes afrikanische Dorf Datenleitungen zu legen. Selbst in der bundesdeutschen Hauptstadt existieren von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich suffiziente Anbindungen an Datenströme. Das illusionäre Bild einer globalen kommunikativen Vereinigung muss so schon innerhalb einer Stadt der ersten Welt Federn lassen. Die erweiterten Möglichkeiten der Telekommunikation macht die Menschen also nicht gleicher und die Welt nicht gerechter, wie ein Vielzahl von Enthusiasten nicht müde wird zu betonen. Das ist auch eine der zentralen Thesen diesen Buches: Die realen Gräben und Gegensätze, welche die Menschheit trennen, bleiben bestehen und werden gar vertieft, während die Cyberapostel in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik das (unwissentlich?) ignorieren und es mit der endlosen Reproduktion ihrer fiebrigen Vision vermögen, genau die Kräfte zu lähmen, die diese Trennung zu überwinden trachten.
Weitere Ideale, wie der reine Markt, die schwerelose Ökonomie, die vernetzte Wissensgesellschaft usw. entpuppen sich ebenfalls, folgt man Fischbachs Analyse, als Blasen in einem Wortflussdurchfall. All diese entkörperten Vorstellungen unterlassen es, die Grundbedingungen materieller Produktion zu berücksichtigen, das Überleben und Gedeihen der Menschheit- also die Verbindungen zu konkretem Wissen und Lernen. In diesem Zusammenhang, der Heroisierung einer Entkoppelung von der Materie Richtung Cyberspace unterstellt Fischbach den Propagandisten in ihrer mangelhaften Reflektion ein enges Bündnis mit einem Phantasma des Todestriebes.
Dass der Raum nicht aufgehoben wird, sondern Neuzonierung vollzogen wird, dafür können Beispiele aus den USA, wie die Gated Communities oder Guarded Shopping Malls herangezogen werden. Die Entstehung von Global Cities, die mit dem agglomerierenden Kapital einhergeht, führt auf der Kehrseite zur Verödung und Schrumpfung von benachteiligten Städten und Regionen. Forschungsergebnisse von Urbanistik und Industriegeographie werden von Fischbach bei diesen Überlegungen einbezogen, genauso wie die von Mathematik, Physik oder Informatik.
Neben den angesprochenen Details aus dem Problemkreis Netzpropaganda erwarten den Leser eine Vielzahl weiterer luzider Gedanken zum Thema. Alles in allem ist dieses Buch eine glänzende Analyse, die wie ein Monolith aus dem weichmachenden ideologischen Einheitsbrei hervorsticht und ihm entgegen steht.