Montag, 11. Januar 2010
Pagels, Elaine, Das Geheimnis des fünften Evangeliums, dtv: München 2006, TB, 240 S., ISBN 978-3-423-34333-6, 9,50 €.
Die an der Princeton University lehrende Religionswissenschaftlerin Elaine Pagels ist spätestens seit ihren Veröffentlichungen zu den Nag Hammadi Texten auch in Deutschland keine Unbekannte mehr. Erstmals erschien The Gnostic Gospels 1979 in Amerika (dt.: Versuchung durch Erkenntnis) und brachte einer breiten Leserschaft die heterogene Ideenwelt der christlichen Gemeinschaften in den ersten vier Jahrhunderten der aktuell populären Zeitzählung nahe. Was sich bis dahin nur ex negativo aus den Apologeten und Häresiologen (wie Irenäus, Hippolyt etc.) herauslesen lies, bekam mit dem Fund 1945 plötzlich eine genauere Kontur und eine eigene, ungefilterte Stimme. So war Pagels an der Übersetzung und Edition der Texte beteiligt und sollte diesem Thema auch in Folge verbunden bleiben. In ihrer zweiten auf dem deutschen Buchmarkt erschienenen Studie, „Satans Ursprung“, untersuchte sie dann die Rolle des Satans in der Religionsgeschichte. Während der Widersacher im AT in erster Linie ein Verhinderer gewesen ist, mutierte er im NT zum Feind Gottes an sich und wurde so zum inkarnierten Bösen. Die Autorin konnte damals aufzeigen, wie verwoben diese Wandlung mit einem aufkeimenden Antisemitismus in frühkatholischen Reihen war, bevor die Anklagen einer Satansgefolgschaft dann auch gegen sogenannte Heiden erhoben wurden. Genauesten wurde dabei die soziale Funktionalisierung derartiger Vorwürfe herausgearbeitet, die für die Durchsetzung des christlichen Exklusivitätsanspruchs fast schon als notwendig zu bezeichnen ist.
Auch in ihrem letztens veröffentlichten Werk, „Das Geheimnis des fünften Evangeliums“, das nun in der Taschenbuchausgabe vorliegt, bewegt sich die Religionshistorikerin wieder in frühchristlichen Gefilden. Im Zentrum der Untersuchung steht das Thomasevangelium, das vermutlich früher als die kanonischen vier Texte entstanden ist. Damit verbinden sich seit der Auffindung des Textes nach Thomas verschiedene Fragen, die sich sowohl an den Inhalt als auch an die Tradierung des Evangeliums anbinden lassen. Verglichen mit den vier kanonischen beschreibt dieser Text die Lehre Jesu radikal anders als in biblischer Version. Wie sah also die wirkliche Botschaft des Christus aus?
Zentraler Gedanke bei Thomas ist das inwendige Königreich des Herrn, die Gewissheit, dass Göttliche bereits in sich zu tragen. Wie in christlich-gnostischen Gemeinschaften üblich, war damit die Aufforderung gegeben, sich selbst auf den Pfad der Erkenntnis zu begeben und einen mystischen Weg hin zu dem Gott, der man ist, zu gehen. Dass das unvereinbar mit einer Institutionalisierung und Reduktion des Christentums auf Glaubensartikel war, ist verständlich. So stellt die Autorin an markanten Stellen der Schriften des Kirchenvaters Irenäus von Lyon heraus, wie viel argumentativen Aufwand es gekostet hat, der eigenen Gemeinde die gnostische „Gefahr“ immer wieder vor Augen zu halten. Die Praxis, durch eigene Erkenntnis und in eigener Verantwortung zu Gott zu finden, ist vom Beginn an in der Katholika unterbunden oder wenigstens stark eingeschränkt worden. Texte, die den individuell Suchenden Wegweiser sein konnten, wurden planmäßig aus dem Verkehr gezogen und gezielt vernichtet. Das Vermittlungsmonopol der Institution Kirche konnte so fast vollständig gesichert werden und die Zeit von Offenbarungen war in die apostolische Vergangenheit verortet und für beendet erklärt worden. Irenäus war es dann auch, der die vier Evangelien des heuten NT als einzig kanonisch erstmals zusammenstellte. Ein leicht gnostischer Einschlag lässt sich höchstens bei Johannes nachweisen.
Dabei scheint es eine Zeit lang zwischen dem Text des Johannes und dem des Thomas dergestalt Konkurrenz gegeben zu haben, dass Unsicherheit darüber bestand, welcher der beiden Texte denn in der katholischen Kirche anerkannt sein sollte. Die Wahl fiel auf Johannes. Die Autorin vergleicht beide Texte ausgiebig und legt dar, warum die Wahl auf Johannes gefallen sein könnte. Das Buch endet dort, wo die Christen im Römischen Reich anerkannt und protegierte Religionsgemeinschaft geworden sind, mit Kaiser Konstantin also. Allein die sehr verknappte und idealisierte Sicht dieses Mannes könnte als Wermutstropfen in dieser äußerst erhellenden Studie angesehen werden, obwohl natürlich zugegeben werden muss, dass ein ausgiebiger biographischer Abriss den Rahmen des Werken gesprengt hätte.
Das Buch wird durch einen Anmerkungsapparat, ein Personenregister, eine Bibliographie und das Thomasevangelium selbst in der derzeit aktuellen deutschen Übersetzung (Bethge et al.) vervollständigt. Wie alles, was von Elaine Pagels in deutscher Sprache veröffentlicht wurde, kann auch dieses Buch nur empfohlen werden.
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