Montag, 4. Januar 2010

Palmer, Martin, Die Jesus Sutras, Ansata Verlag: München 2002, Festband, SU, 335 S.,
ISBN 3-7787-7190-6, 22,00 €.


Es war einmal...
Durchaus könnte die Geschichte in ihrem märchenhaften Daherkommen auch so anfangen. Wenn man wie Martin Palmer Theologie und Sinologie in Cambridge studiert hat, nimmt es sicherlich nicht Wunder, wenn am Ende ein Buch dabei heraus kommt, in welchem Christentum und Daoismus auf dem Boden des Reiches der Mitte zusammengeführt sind.
Aber es ist doch mehr als ein Märchen, das Palmer da erzählt, wenn die Fundstücke richtig gewichtet und ausgedeutet sind.
1998 machte der Sinologe eine Entdeckung in China, die der frühen Ausbreitung der Ostkirche eine weitere Dimension hinzufügt. Dabei ist Palmer von einer bereits bekannten Stele aus Stein ausgegangen, die im Museum „Wald der steinernen Stelen“ in Xian (Zentralchina) steht. Der Text ist seit einiger Zeit in einer alten Übersetzung zumindest einigen Fachleuten bekannt. 1625 bei Bauarbeiten gefunden, berichtet die zwei Tonnen schwere, auf das Jahr 781 datierte Stele von einer neuen Religion in China. Der Text war eine in poetischer Sprache abgefasste Version der Schöpfungsgeschichte, eine Schilderung des von Jesus gegangenen Erlösungspfades und eine kurze Beschreibung, wie die christliche Mission nach China gelangt ist. Bis dato war man davon ausgegangen, dass die ersten missionierenden Christen erst im 16. Jahrhundert chinesischen Boden betraten.
Mit fortgesetzter Suche nach Spuren dieser frühen Christen fanden sich weitere Texte. Die Gruppe unter Aluoben, die 635 (Tang-Dynastie) am kaiserlichen Hof in Chang-an eintraf, wurde dort freundlich aufgenommen und errichtete in der Folge unter kaiserlichem Protektorat Klöster und Bibliotheken. Neben der Stele gab es eine Vielzahl von Schriftrollen aus christlicher Produktion. Den Weg einer größeren Anzahl von Rollen konnte der Autor nachvollziehen und kam so auf eine 1005 versiegelte Höhle in Dunhuang, die im 19. Jahrhundert eröffnet wurde und deren Texte über obskure Händler zumeist ihren Weg in japanische Privatsammlungen nahmen. Eine Vielzahl dieser Texte konnte sich der Autor zugänglich machen. Dabei handelt es sich natürlich um christliche Schriften, die allerdings dem chinesischen Vorstellungshorizont angepasst wurden.
Und darin liegt auch die Besonderheit dieser Texte. So existieren keine Vergleichsmomente mit dem christlichen Missionsgebaren in Südamerika, wo das Christentum zumeist nach dem Motto „Friss oder Stirb“ unter die Leute gezwungen wurde. Im Gegenteil. In diesen Texten finden sich christliche Glaubensüberzeugungen in taoistischen, buddhistischen und konfuzianischen Bildern, Gedanken von Karma und Reinkarnation sind spielerisch leicht eingearbeitet. Die „Leuchtende Religion“, wie das Christentum in kaiserlichen Dokumenten der Zeit genannt wird, schien sich regional und zeitlich begrenzt in China einiger Beliebtheit erfreut zu haben. Weitere Spuren finden sich in Klosterbauten, die Palmer identifizieren konnte.
In der Nähe des Tempels Lou Guan Tai, wo Lao-zi das Tao Te Ching geschrieben haben soll, fand er die halb verfallenene Pagode des Klosters Da Quin, von dem zumindest noch einige Bewohner des naheliegenden Dorfes aus mündlicher Überlieferung wussten, dass es ursprünglich von „denen aus dem Westen, die an den Einen glauben“ gebaut wurde. Der seit Jahrhunderten ungenutzte Bau wurde zugänglich gemacht und offenbarte in seinem Innern Spuren christlichen Lebens. Der Autor ist vorerst am Ziel seiner Reise und seiner Wünsche.
In Verschränkung der Textzeugen mit den historischen Bauten erklärt Martin Palmer dann, und das ist schade für das Buch, diese frühchristliche Missionsgemeinde zur experimentellsten Kirche, die das Ideal einer Weltreligion vorweggenommen hätte, indem sie Ost und West verbindet und so heute in Vorbildfunktion Eckstein einer globalen Ökumene sein könnte. Das asiatische Qumram soll damit gefunden sein.
Da ist am Schluss, ganz frei gesagt, in vielerlei Hinsicht die Kirche nicht im Dorf geblieben...