Montag, 4. Januar 2010

Hitchens, Christopher, Der Herr ist kein Hirte, Karl Blessing Verlag: München 3. Aufl. 2007, PB, 349 S., ISBN 978-3-89667-355-8, 17,95 €.


Religion ist ja bekanntlich ein beliebtes Thema, an dem sich regelmäßig mit unterschiedlicher Intensität die Geister scheiden. Die fast seit Menschengedenken geführte Debatte, was zu glauben richtig ist, wird derzeit von atheistischer Seite vermehrt belebt. Gerade in Nordamerika äußern sich Autoren, die eine Abschaffung jedweder Religion fordern. Einer dieser Beiträge, das Buch Der Herr ist kein Hirte, ist von Christopher Hitchens verfasst, wurde im deutschen Feuilleton gefeiert und mit hohen Platzierungen in Bestsellerlisten bedacht. Das verwundert nicht, erfreut sich doch das Thema Religion aktuell großer Beliebtheit. Es wäre das Fehlen einer Facette dieses Interesses, würde da nicht auch die Abschaffung jeglicher Religion gefordert. Und genau das will Hitchens, folgt man seiner atheistischen oder besser antitheistischen Polemik, die als solche naturgemäß kein Angebot zum Dialog darstellt.
Der in Amerika lebende englische Journalist scheint sich dabei durch vielfältige Erfahrungen mit der Religion zu einem solchen Buch berufen zu fühlen. So berichtete er aus vielen Krisengebieten der Erde, in denen die kriegerischen Auseinandersetzungen vielfach religiös motiviert waren und sind. Er war der Advocatus Diaboli bei der Seligsprechung von Mutter Teresa, versteckte Salman Rushdie in seiner Wohnung und war einmal griechisch-orthodox und ein zweites Mal jüdisch verheiratet. All das und das Studium religiöser Schriften veranlasste Hitchens, einen Generalangriff auf die Religion an sich zu schrieben, der dem Magazin Spiegel als scharfzüngig, quecksilbrig und klug gilt.
Im Wesentlichen sind es vier Argumente, die Hitchens gegen Religionen vorzubringen hat. An erster Stelle steht die Verfälschung der Entstehungsgeschichte von Erde und Mensch durch religiöse Lehren. Dann entwickelt der Mensch laut Autor ein zugleich devotes und selbstsüchtiges Wesen in einem religiösen Rahmen. An dritter Stelle steht eine gefährlich repressiv gehandhabte Sexualität und zu guter Letzt basiert jede Religion auf Illusionen. Jeder einzelne Punkt wird mit Beispielen unterlegt, die quer durch Zeiten, Orte und Religionen zusammen getragen sind. Das ist legitim, handelt es sich doch um eine Polemik, einen Angriff also, der nicht zwangsläufig an geradlinige Sachlichkeit gebunden ist. Dieses Vorgehen erschwert aber vielfach die Lesbarkeit des Buches und lässt es teilweise wie eine Baustelle aus Textversatzstücken erscheinen, die in ihrer Anhäufung von Namen und Orten ermüdend wirken kann. Zudem sind Hitchens Argumente nicht neu, kennt man die Geschichte der Religionskritik.
Originell ist der Autor hingegen an den Stellen seines Buches, wo er weit über sein Ziel hinaus schießt. So hat es wohl weniger mit einer neuen Aufklärung als vielmehr mit antireligiösem blinden Fanatismus zu tun, wenn ein allzeit überragendes wissenschaftliches Denken als prinzipiell unvereinbar mit religiösen Anschauungen dargestellt wird. Hier lehrt die Wissenschaftsgeschichte etwas ganz anderes, vertieft man sich einmal wahllos in die Biographien einzelner Gelehrter. Zudem erinnert diese Betrachtungsweise sehr an eine evolutionäre Theorie der Geistesentwicklung, wie sie beispielsweise von James George Frazer formuliert wurde und von der sich heute jeder Forscher, der ernstgenommen werden will, verabschiedet hat. Die Frage, ob religiöse Menschen die neuen Primitiven sind, würde Hitchens wahrscheinlich mit ja beantworten.
Weitere Zweifel am kritischen Urteilvermögen des Autors können aufkommen, wenn er sich in die Behauptung versteigt, dass jedwede Äußerung in Malerei, Musik, bildender Kunst und Literatur auch ohne die Religion ausgekommen wäre. Hier kann schon ein durchschnittlich kunsthistorisch gebildeter Mensch erfolgreich widersprechen.
Damit soll hier keine Apologie der Religion geschrieben sein. Eine Vielzahl von Aspekten religiöser Theorie und Praxis ist zweifelhaft, vom institutionellen Machtmissbrauch gar nicht zu reden. Gelehrte wie beispielsweise Karlheinz Deschner arbeiten seit Jahrzehnten an wissenschaftlich fundierter Religionskritik mit weit weniger Breitenerfolg als Hitchens, der im Stile Michael Moores halbinformiert mit dem Hammer umherzieht.
Am Ende scheint diese Buch mit seinem antireligiösen Missionseifer eine fast gesetzmäßige Gegenreaktion zu religiösem Fundamentalismus zu sein. Beides scheint kein rechtes Mittel zu sein, dem Menschen geistig Befreiung zu schenken. In jeglicher Form von Weltanschauung sollte hingegen ein frei handhabbares Angebot gesehen werden (können).
So hält man es doch besser mit der Propagierung eines freiheitlichen Mottos: Jedem Tierchen sein Plaisirchen.