Montag, 11. Januar 2010

Brennan, J.H., Mönche, Magier und Schamanen. Die geheimen Praktiken..., Lotos Verlag: München 2006, PB, 256 S., ISBN 3-7787-8188-X, 17,95 €.


Tibet besitzt mit dem Bön und dem Vajrayana gleich zwei schwergewichtige religiöse Traditionen, die sowohl magische als auch mystische Züge aufweisen. Beide beeinflussten sich über Jahrhunderte gegenseitig und eine genauere Differenzierung soll Tibetologen vorbehalten sein. In dem vorliegende Werk sind akademische Spitzfindigkeiten von geringer Einfluss. Die natürlich ihrerseits nicht herabgesetzt sein sollen. In einem Land, in dem vor dem Einmarsch der Chinesen jede/r Vierte als Mönch oder Nonne lebte, spiegelt sich die lange kontemplative Tradition selbst in der Sprache wieder, in der es Worte für fein nuancierte Bewusstseinszustände gibt, die kaum sinnhaft übersetzbar sind.
Das Buch „Mönche, Magier und Schamanen. Die geheimen Praktiken der spirituellen Meister Tibets“ von J. H. Brennan trägt das Programm schon im Titel. Der Autor zahlreicher recht unterschiedlicher Titel, mit Sicherheit selbst mit praktischen Erfahrungen in den spirituellen Disziplinen Tibets behaftet, bringt denn auch so einiges an Erstaunlichem zusammen.
Einführend liefert er einen sehr knappen Anriss, in dem die historischen Konturen Tibets aufgezeigt werden. Die Darstellung des dort tradierten Energiesystems mit seinen Chakren (Khor-lo) und Nadis (Rtsa), mit seinen Energien (Rlung) und subtilen Essenzen (Thig-le) bildet die Basis der im Folgenden betrachteten magischen Techniken. Dem bekannteren indischen Energieparadigma nicht unähnlich, parallelisiert auch Brennan zur besseren Veranschaulichung beide.
Der Hauptteil des Buches ist dann in vier Abschnitte untergliedert, die mit Magie, Mystik, Schlaf und Traum sowie Sterben und Tod betitelt sind. All diesen Bereichen sind verschiedene Verfahren zugeordnet; in vielen Fällen mit einer Anleitung für erste eigene Schritte. Das Kaleidoskop der so zu Buche geschlagenen Techniken reicht von vorbereitenden Übungen zur Meditation über Meditation, Gtum-mo (Tummo), Chöd, Phowa, die Yidam- und Mantram-Praxis, das Traumyoga, das Schlafyoga bis hin zur Erschaffung von Tulpas, also wesenhafter Materialisationen durch anhaltende Visualisierungspraxis.
Das Buch ist dabei reich durchsetzt von Schilderungen aus der Reise- und Forschungsliteratur vergangener Tage. Immer wieder werden die Darstellungen von Alexandra David-Neel und Henry Kjellson paraphrasiert oder aber Teile der Lebensgeschichte von Milarepa nach Evan-Wentz eingeflochten. Dabei sind es vornehmlich Berichte, die Beobachtungen der außergewöhnlichen Kräfte einiger Lamas beinhalten. Da bewegen sich Mönche in einem tranceartigen Zustand in eigentlich menschenunmöglicher Geschwindigkeit, andere lassen nackt im Schnee sitzend diesen um sich herum schmelzen und weitere intonieren bestimmte von Instrumenten begleitete Mantrams und levitieren mit diesen tonnenschwere Steine zum Bau eines Klosters an einer Felswand hoch.
Dass es bei der spirituellen Praxis nicht vordergründig um den Erwerb derartiger Fähigkeiten geht, macht der Autor besonders in den Teilen seines Buches klar, die von Schlaf, Traum, Sterben, Tod und Wiedergeburt handeln. Kurze praktische Anleitungen nach Erläuterung der mit diesen Bereichen verbundenen Zielsetzungen sind auch hier zu finden (z. Bsp. zum Traumyoga) und vieles dessen, was den Praktizierenden an Eindrücken erwartet, ist beispielhaft geschildert und im Bezugsrahmen des Bardo Thödol interpretiert.
Selbstverständlich kann ein Buch keinen Lehrer ersetzen. Das hätte Brennan deutlicher machen können. Gerade im Vajrayana ist das Verhältnis von Schüler und Lehrer recht eng und die Entwicklung von Fähigkeiten und Einsichten ist häufig von Übertragungen begleitet. Insofern sollten die Anleitungen eher als orientierender Praxiseinblick dienen und als eventueller Katalysator, sich einen Lehrer zu suchen.
Insgesamt ist „Mönche, Magier und Schamanen“ ein sehr guter Überblick über das Weltbild des Vajrayana im allgemeinen sowie im speziellen über die wichtigsten magischen und mystischen Lehren und Techniken. Das sehr kurzweilig zu lesende Buch ist klar strukturiert und bleibt durchgängig verständlich und spannend. Ein Glossar vervollständigt das Werk.