Montag, 4. Januar 2010
Pasi, Marco, Aleister Crowley und die Versuchung der Politik, Ares Verlag: Graz 2006, Festband,
335 S., ISBN 978-3-902475-14-5, 24,90 €.
Neben den Schriften von Aleister Crowley selbst, der Exegese seines Werkes und eher journalistisch gearbeiteten, meist biographischen Entwürfen, scheint nun auch das wissenschaftliche Interesse am „Großen Tier“ zu wachsen.
Der österreichische Ares Verlag veröffentlichte nun eine Studie zu Aleister Crowley von Marco Pasi. Dieser arbeitet derzeit als Mitarbeiter am Institut für Religionswissenschaft der Universität Amsterdam. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Beziehung zwischen moderner Esoterik und der Politik. Dieses Spannungsfeld ist auch das zentrale Thema des vorliegenden Buches. Basierend auf seiner 1993/1994 vorgelegten Dissertation an der Università degli Studi in Mailand untersucht der Autor Crowleys Position und Agieren im politischen Rahmen.
Einige Erwähnungen finden sich schon bei den Biographen Crowleys, allerdings bleiben die Angaben im besten Falle nebulös und eher im weiten Feld gängiger Verschwörungstheorien zu verorten. Von einer Spionagetätigkeit ist da die Rede, von einer pro-deutschen Haltung während der ersten Jahre nationalsozialistischer Herrschaft oder aber von einem Mitwirken Crowleys bei der geheimdienstlichen Operation, mit der Rudolf Heß nach Schottland gelockt wurde. Diesen verstreuten Hinweisen einmal genauer nachzugehen war bisher eine noch anzunehmende Herausforderung und ist, vorweg gesagt, von Pasi sehr gut bewältigt worden.
Dazu machte sich der Autor Quellen zugänglich, die bisher entweder brach lagen oder nur einem sehr kleinen Kreis zugänglich waren. So konnte er auf unveröffentlichtes Material des O.T.O. International, des Warburg Institutes in London, verschiedener Nationalbibliotheken und Archive zurück greifen. Für letztere seien als Beispiele das Pessoa-Archivs in Lissabon genannte, die Sammlung der Fuller Papers oder aber die Regardie Papers. Mit der Auswertung der aufgefundenen Dokumente ist so ein Werk entstanden, das ein äußerst differenziertes Bild von Crowleys politischen Ambitionen, jenseits von Spekulationen, entwirft.
Dabei kommt alles ausführlich zur Sprache, was andernorts angesprochen ist. Ausgegangen wird dabei von einem kurzen biographischen Abriss, der im Gros ein gegen den Strich gelesener Symonds ist. Weiter geht es mit Crowleys früher politisch-romantischen Phase, in der er mit reaktionären Bewegungen in Europa sympathisierte, die die lokalen Königshäuser wieder inthronisiert sehen wollten. In der Folge wurde er zum glühenden Verfechter irischer Unabhängigkeit, was ihm erlaubte, das viktorianische England herauszufordern. Es folgen die bisher ungenügend kolportierten Ereignisse, die Crowley dazu brachten, in der amerikanischen Zeitschrift The Fatherland von George Viereck deutsche Propaganda zu schreiben.
Die Annahme des bereits 1904 empfangenen Buches „Liber Al“ veränderte die Motivation der politischen Interessen Crowleys. Zunehmend gelangte die von ihm angestrebte Positionierung als Weltenheiland in der Vordergrund. Die damit verbundene Verbreitung von Thelema sah Crowley am wahrscheinlichsten in antiklerikal agierenden Staaten gegeben. So erklärt sich seine Hinwendung zum deutschen Nationalsozialismus, zum italienischen Faschismus und sogar zum russischen Sozialismus. Aus diesen hochtrabenden Plänen entwickelte sich allerdings nicht die gewünschte Annahme von Crowleys Religion. Amüsant ist dabei auch die Rolle Martha Küntzels, die Hitler ja zeitweilig als ihren magischen Sohn betrachtet hat. Diese sehr abenteuerlichen Geschichten präsentiert Marco Pasi immer in Verbindung mit den entsprechenden Stellen der zugezogenen Dokumente, so dass hier mit gängigen Spekulationen aufgeräumt werden kann, die Crowleys Thelema angeblich historisch begründet gern in der Nähe menschenverachtender Ideologie ansiedeln wollen.
Die Kontakte, die Crowley zu Vertretern aller gesellschaftlicher Facetten seiner Zeit unterhielt, waren also in erster Linie funktional darauf ausgerichtet, Thelema unter die Leute zu bringen.
Ein weiteres Kapitel (es soll nicht zu viel verraten sein) schildert die Zusammenhänge um den Flug von Rudolf Heß nach Schottland, soweit sie sich rekonstruieren lassen. Die kurzzeitig ventilierte Idee, Heß durch Crowley beeinflussen zu lassen, wurde dabei nicht umgesetzt. Crowleys Freundschaft mit dem portugiesischen Dichter Pessoa wird untersucht, der seinerseits eigenartige politische Utopien sein eigen nannte, inklusive dem vorgetäuschten Selbstmord Crowleys in Portugal. Abschließend folgt dann noch ein Kapitel zu Julius Evola im Zusammenhang mit Crowley einerseits und Konstruktionen jüdisch-freimaurerischer Weltverschwörungen andererseits.
Wie es sich für ein akademisches Werk gehört, sind die Quellen transparent und können, so Zweifel an den dargebrachten Fakten aufkommen sollten, selbst konsultiert werden. Also handelt es sich bei Pasis „Aleister Crowley und die Versuchung der Politik“ nicht um ein Einstiegswerk zu Leben und Wirken dieses Mannes, sondern um recht spezielle Lektüre.
Die magische oder religionsschöpferische Seite Crowleys tritt dabei auch häufig in den Hintergrund der Studie, ist aber dort zugezogen, wo sich daraus die Motivationen zu politischem Handeln erklären lassen.
Damit hat Pasi ein originelles Buch zu Crowley geschrieben, dass einerseits keine der bisherigen Veröffentlichungen unbeachtet lässt, sich andererseits aber auch nicht von diesen abhängig macht. Der Unart des gegenseitigen Abschreibens ist damit erfolgreich entgegen getreten und ein weiterer wichtiger Puzzlestein zum Verständnis eines der umstrittensten Männer des 20. Jahrhunderts beigetragen.
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