Montag, 4. Januar 2010
Narby, Jeremy, Intelligenz in der Natur,
AT Verlag: Baden-München 2006, Festband, SU, 272 S., ISBN 2-03800-257-7, 21,90 €.
In seinem 2001 erschienenen Buch „Die kosmische Schlange“ (2004 als Taschenbuch) stellte der kanadische Anthropologe Jeremy Narby nach jahrelangen Forschungen im Amazonasgebiet und einer tiefgreifenden Ayahuasca-Erfahrung die These auf, dass die Schamanen bewusst auf die molekulare Ebene des Lebens vordringen können und in ihren Visionen direkten Zugang zu DNS-basierten Informationen haben. Er entwickelte eine Betrachtungsweise, die er den stereoskopischen Blick nannte und mit dem er schamanisches Wissen und molekularbiologische Erkenntnisse gleichzeitig im Fokus behalten wollte. Auf dieser Linie bewegt er sich auch mit seinem neuesten Buch, das jetzt auf deutsch erhältlich ist. Auch wenn der stereoskopische Blick hier keine explizite Erwähnung findet.
Ausgehend vom schamanischen Erfahrungswissen einer intelligenten, beseelten Natur geht Narby diesen Zuschreibungen nach und fragt in der westlichen Fachwelt expressis verbis nach Intelligenz bei Pflanzen und Tieren. Quer durch die Forschungslabore dieser Welt geht seine Reise zu meistenteils Biologen, die am Verhalten von Tieren und Pflanzen forschen.
Am Anfang steht natürlich die fachliche Einarbeitung; ein Anthropologe ist schließlich kein Naturwissenschaftler. An diesem Studium jüngerer Ausgaben verschiedenster Fachjournale wie Nature, Scientific American etc. lässt Narby auch den Leser teilhaben. Hier fand er seine Inspiration und vielfach auch die Konkretisierung seiner Fragestellungen. Und über diese Unmenge an durchgearbeitetem Material gelangte er dann auch an seine Gesprächspartner und mit diesen an die Themen, die Aufnahme in das Buch gefunden haben.
Schnell wird dabei klar, dass es um die althergebrachten Intelligenzbegriffe nicht gehen kann. Vielfach ist Intelligenz durch menschliche Fähigkeiten definiert oder aber an das Vorhandensein eines möglichst großen Gehirns gekoppelt. Also zurück zum Etymologischen: interlegere bezieht sich auf einen Vorgang des Auswählens oder Entscheidens bei Vorhandensein mehrerer Alternativen. Und von diesem Vermögen zeugen die zusammengetragenen Beispiele aus Flora und Fauna.
Viele der Impulse der „Intelligenzforschung“ ging von japanischen Wissenschaftlern aus, deren kultureller Hintergrund beseelten Tieren und Pflanzen ungleich viel offener gegenübersteht als das beispielsweise in Europa oder Nordamerika der Fall ist.
Narby berichtet so von Besuchen in Japan, aber auch von Reisen in die Schweiz, nach Großbritannien oder nach den USA, wo „zielstrebiges“ Verhalten in der Natur erforscht wird. Die neuesten Experimente mit Bienen, Schmetterlingen, Tabakpflanzen oder aber Plasmodien liefern verblüffende Ergebnisse. Im Endeffekt lässt sich der Autor von den intelligenten Fähigkeiten von Pflanze und Tier überzeugen, für die er eine Vielzahl von Beweisen gesammelt hat. Zudem schlägt er eine begriffliche Neubesetzung mit dem japanische Konzept des chi-sei (übertragen etwa: Wissensfähigkeit, Erkenntnisfähigkeit) vor, um Blickverstellungen durch den belasteten Terminus Intelligenz und den damit verbundenen Debatten vorzubeugen. Wie schon in seinem ersten Buch plädiert der Autor für unbelastete Offenheit in der naturwissenschaftlichen Forschung: „Wir sind noch eine junge Spezies. Wir beginnen gerade erst zu begreifen.“
Strukturell ist das nun erschienene Buch von Jeremy Narby in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil sind die Entwicklung seiner Fragestellungen sowie die Schilderungen seiner Laborbesuche und Gespräche dargestellt. Der zweite Teil orientiert sich am Inhaltsverzeichnis des ersten; hier finden sich thematisch zugeordnet ausgiebig zitierte Abschnitte der wichtigsten Forschungsbeiträge der letzten Jahre. Das ganze Werk ist dann durch eine ausführliche Bibliographie und ein Sachwortregister komplettiert und ermöglicht so den schnellen Zugriff auf den Text, der durchaus als Dokument eines wissenschaftlichen Bewusstseinswandels gelesen werden kann.
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