Samstag, 2. Januar 2010

Baigent, Michael, Die Gottesmacher, Lübbe Verlag: Bergisch-Gladbach 2006, 378 S., Festband, SU, ISBN 3-7875-2252-4, 19,90 €.


Der bekannte Neuseeländer Michael Baigent hat wieder zugeschlagen. Jüngst in einer Plagiatsklage gegen den Bestseller-Autor Dan Brown unterlegen, legt er fast zeitgleich sein neuestes Werk vor. „Die Gottesmacher“ schließt da an, wo der mittlerweile zum Klassiker avancierte Titel „Der Heilige Gral und seine Erben“ aufhörte. Damals noch mit seinen Mitautoren Henry Lincoln und Richard Leigh unterwegs, zeichnet er sich für das nun vorliegende Buch allein verantwortlich.
Die Thesen, die in diesem Buch für die Öffentlichkeit kritisiert werden, sind nicht neu, sondern katholische Dogmata. Diesen Beanstandungen folgend, ist Jesus von Nazareth nicht, wie in christlicher Lehre, Sohn Gottes, am Kreuz gestorben, wiederauferstanden und gen Himmel gefahren.
Soweit handelt es sich um teilweise schon bekannte Ansätze im Forschen von Baigent. Bereits im 1982 erschienenen Gralsbuch stellte er die These einer Dynastie aus dem Hause Davids auf, welche die Basis der europäischen Tradition bilden soll. Jesus, verheiratet mit Maria Magdalena, ist der Urahn dieser Genealogie.
Nun wird untersucht, wer Jesus von Nazareth gewesen sei. Zuvorderst wird dabei der historische Jesus von dem katholischer Mythologie geschieden. Demnach war er nicht Sohn Gottes (wie bereits im ersten Band beschrieben), sondern ein Schüler antiker Einweihungsmysterien. Akribisch untersucht Baigent verschiedene dieser Traditionen und kommt zu dem Schluss, dass, nimmt man die auf uns gekommenen Texte wörtlich, es sich am ehesten um Umschreibungen von Seelenfahrten handelt, die nicht nach dem Tode des Einzelnen vonstatten gehen, sondern in initiatorischen Zeremonien von den Eingeweihten zu Lebzeiten vollzogen wurden. Jesus war demnach Wissender um schamanische Einweihungspraktiken, die es dem Menschen ermöglichen, zu Lebzeiten mit seiner Seele das Himmelreich zu erreichen. Darauf deuten einige kryptische Aussprüche Jesu hin, die sich sowohl in der kanonischen Literatur wie auch in den apokryphen Schriften finden lassen. Dieses Wissen ist nach Baigent das geheime Erbe des Nazareners, respektive der Kirche. Zur Untermauerung dieser These werden immer wieder Ausgrabungsbefunde und Dokumente ältesten Datums herangezogen. Schwierig bei den Letztgenannten ist, dass es auch um Schriftstücke handelt, zu denen die Wissenschaft keinen Zugang hat, sondern die in der Grauzone von Antiquitätenhändlern und -sammlern kursieren. Das ist natürlich schwer nachzuvollziehen; hier muss man dem Autor Glauben schenken.
Aber Baigent geht noch weiter. Er macht einen jüdischen Tempel in Alexandria aus, in dem Jesus seine Ausbildung zum mystischen Pragmatismus erhalten haben soll. Baigent konstruiert eine Geheimlehre, die genaue Anweisungen zur Seelenfahrt in himmlische Gefilde vermittelte. Schlüssel dabei ist eine Deprivation, wie sie durch eine scheinbare Grablegung erreicht wurde. „Das Himmelreich ist innen und außen“, so die weitergegebene Erfahrung an die Jünger. Diese Lehren führten dann zum Konflikt mit den bestehenden, etablierten Glaubenssätzen im Nahen Osten des 1. Jahrhunderts. Die Kreuzigung folgte auf dem Fuße.
Nachdem Jesus vom Kreuz genommen wurde, war er aber keineswegs tot, sondern wurde von Joseph von Arimathea und Nikodemus medizinisch behandelt und genas. Danach begab er sich nach Ägypten, an seine Ausbildungsstätte zurück und lehrte dort in der alexandrinischen Gemeinschaft der Therapeuten bis an sein Lebensende.
Was sich zunächst phantastisch liest, ist bei genauerem Hinsehen eine durchaus mögliche Sichtweise auf das Leben Jesu. Die Möglichkeit, Jesus als charismatischen Magier und Eingeweihten zu sehen, ist in der historischen Nazarenerforschung seit einigen Jahrzehnten eine immer wieder ventilierte These, die ihr Nischendasein hartnäckig gegen die dominierende theologische Auslegung behauptet. Somit befindet sich Baigent in bester Gesellschaft.
Das Werk „Die Gottesmacher“ ist von geistvoller Querulanz geprägt. Es werden unbequeme, berechtigte Fragen gestellt und der Versuch unternommen, mögliche Antworten zu geben. Vielfach spekulativ und teilweise auf nicht zugänglichen Quellen fußend, bleibt Baigent weitestgehend kohärent in seine Überlegungen und stellt wieder einmal die christlich tradierten Glaubenssätze auf den Prüfstand. Dabei ist die von ihm entwickelte Sichtweise durchaus lesenswert.
Aber es bleibt vorerst dabei: Alles eine Frage des Glaubens.