Sonntag, 17. Januar 2010

Schenk, Amélie, Gesang des Himmels, O.W. Barth Verlag: Frankfurt/M. 2006, Festband, SU, 288 S., ISBN 3-502-61142-4, 19,90 €.


Galbe ist eine achtzehnjährige junge Frau, als sie im Winter 1994 den Ruf der Geister vernimmt. Sie gehört dem Volk der Tuwa an, die nomadisierend durch die Berge des Altai ziehen. Kurz zuvor war ihre Großmutter Pürwü gestorben, eine erfahrene und weitgerühmte Schamanin des Volkes. Ihre anfolgende Initiation beginnt mit 18 Tagen, in denen sie weder isst, noch schläft und kaum trinkt. Zwischen den Welten wankend nehmen die Geister Besitz von ihr. Und dann, kaum Zeit in ihre neue Rolle hinein zu wachsen, kommen die Menschen von nah und fern, um sich ihren Rat zu holen.
Das Buch handelt von eben diesem schwierigen Weg, der für die junge Frau von den Geistern vorgesehen ist. Von der Verantwortung ihrem Volk und dessen Lebensraum gegenüber. Und auch davon, wie wichtig die Schamanin für die Tuwa- Nomaden ist.
Die Autorin, Amélie Schenk ist Ethnologin und forschte als solche bereits bei den nordamerikanischen Indianern, lehrte dann an der Hindi-Universität in Benares (Indien), bevor sich ihr Forschungsschwerpunkt in die Mongolei verlagerte. Dort lebt sie seit Jahren immer wieder für lange Monate und war so in der Lage, diese außergewöhnliche Geschichte zu dokumentieren. Das tut sie nicht, indem sie sich dem nicht einzuhaltenden Ideal irgendeiner wissenschaftlichen Objektivität verschreibt, sondern indem sie klar Position bezieht und von Anfang an emotional involviert ist. Damit wird sie akzeptiert und kommt den Menschen im Altai wahrscheinlich sehr viel näher, als diese es sonst zulassen würden.
So darf Schenk an Totenritualen teilnehmen und vieles aus der alten oralen Tradition der Tuwa schriftlich festhalten, wie Ritualtexte, Mythen, Legenden und heilkundliche Verfahren. Sie begleitet Galbe auf dem schwierigen Weg, den es zu gehen gilt, bis aus dem Nomadenmädchen eine große Schamanin wird. Bei allen Schwierigkeiten, Irrungen und Erfolgen ist die Autorin Zeuge; wann immer Galbe in schamanischer Trance mit den Geistern der Natur und der Ahnen umgeht oder heilt, darf Schenk dabei sein. Gemeinsam reisen sie zu heiligen Plätzen, opfern und sprechen ihre Gebete. Dem Leser wird damit eine weitestgehend verschlossene Welt eröffnet; das macht dieses Buch besonders. Dabei ist die Autorin auch sprachlich eher emotionalen Stimmungsbildern verpflichtet; immer wieder werden innere und äußere Wahrnehmung miteinander verflochten. Das kann erst einmal ein verwirrendes Leseerlebnis darstellen, führt aber nach einigen Seiten sehr bildhaft in diese außergewöhnlichen Lebensumstände ein. Unterstützt wird der Text dabei durch ausgesuchte Fotos von Land und Leuten.
Vielleicht ist ein weiterer Aspekt, der diesen Erfahrungsbericht in der Form möglich machte, auch der Umstand, dass die Schamanen im Altai der Gegenwart eine Abnahme an Spiritualität attestieren. Genau wird registriert, dass die Bindung des Menschen an die Erde und die Geister abnimmt und damit viel Wissen verloren geht. Zwar gäbe es einerseits immer mehr Schamanen, andererseits arbeiten diese aber wirkungslos wie nie. Ein Werk wie dieses, welches einen Teil der bedrohten Traditionen dokumentiert, kann also auch aus diesem Grund nötig sein. Zudem sind die Völker des Altai wirtschaftlichen Zwängen ausgesetzt, die es zunehmend schwierig machen, den Lebensraum zu behaupten und die nomadisierende Lebensweise aufrecht zu erhalten. Neben den eindruckvollen Einblicken in das Leben einer Tuwa- Schamanin wird somit genauso das der gesamten Nomadengemeinschaft thematisiert.
Entstanden ist ein eindrucksvolles und engagiertes Buch, das ein intensives Bild eines der kärgsten Landstriche der Erde und seiner Bewohner zeichnet.