Samstag, 2. Januar 2010

Assmann, Jan, Monotheismus und die Sprache der Gewalt, Picus Verlag: Wien 3. Aufl. 2007, 63 S., Festband, ISBN 978-3-85452516-5, 7,90 €.


Seit 1987 existiert im Wiener Rathaus eine Vorlesungsreihe, zu der Lehrende verschiedener Universitäten Vorträge zu dringlichen Fragen menschlichen Lebens halten. Zielpublikum dieser Veranstaltung sind die Bürger von Wien, die im Anschluss an die Vorträge mit den Experten diskutieren. Diese Referate werden dann durch Veröffentlichung in einigem zeitlichen Abstand einem größeren Publikum bekannt gemacht.
Einer dieser Vorträge, Jan Assmanns „Monotheismus und die Sprache der Gewalt“, gehalten am 17. November 2004, ist nun im Wiener Picus Verlag in dritter Auflage erschienen.
Jan Assmann bekleidete 28 Jahre lang den Lehrstuhl für Ägyptologie an der Universität Heidelberg und ist nun, als Emeritus, noch immer der archäologischen Basisarbeit an den Gräbern Thebens verpflichtet. Neben seinen einflussreichen ägyptologischen Veröffentlichungen, besonders zu Fragen der Religion, machte sich der Träger des Deutschen Historikerpreises einen Namen als Kulturtheoretiker mit der Formulierung eines kulturellen Gedächtnisses, welches zu einem besseren Verständnis von individueller und kollektiver Identität verhelfen soll. Dabei beschränkte sich Assmann nicht nur auf Ägypten, sondern kam über die Untersuchung der Zusammenhänge von Symbolen und Riten mit dem Gedächtnis zu einer allgemein abendländischen Gedächtnisgeschichte.
Das für diesen Vortrag gewählte Thema kann durchaus als aktuell begriffen werden, wie es Assmann in den einleitenden Fragestellungen tut. Im Zentrum seiner Betrachtung steht die narrative Selbstinszenierung des Monotheismus im Alten Testament. Dass diese vielfach in einer äußerst gewalttätigen Sprache abgefasst ist, kann als weithin bekannt vorausgesetzt werden. Und auch das Erstarken der Religion in jüngster Zeit vollzieht sich vielfach mit Gewalt, ist geprägt von Bedrohungsbewusstsein, Angst, Hass und mit der Produktion von Feindbildern verbunden. (S. 19)
Ohne gleich in abgestandene Polemik zu verfallen, soll in diesem Zusammenhang der exklusive Wahrheitsanspruch monotheistischer Religionen untersucht werden. Dieser Untersuchung liegt das Konzept der kulturellen Semantik zugrunde, also die Betrachtung der großen Erzählungen und Leitunterscheidungen, mithilfe derer sich eine Gesellschaft in Welt und Zeit orientiert. Weitere Ausprägungen dieser Semantik sind Mythen, Symbole, Bilder und literarische Texte, die Handeln, Denken, Erinnern und Planen derer beeinflussen, die unter diesem semantischen Horizont leben. Kulturellen Semantiken sind dabei nicht statisch, sondern können sich verändern und überlagern. Als eine solche kulturelle Semantik kann der Monotheismus begriffen werden, womit Assmann zur eigentlichen Fragestellung kommt: Warum wurde die Darstellung der Durchsetzung des Monotheismus in der Sprache der Gewalt vollzogen und erinnert? (S. 22)
Nach Entwicklung dieser Fragestellung kreist Assmann den Monotheismus gedanklich ein. Dieser begegnet in zwei Formen: als inklusiver Monotheismus („Alle Götter sind eins“; der Reifezustand des Polytheismus nach C. S. Lewis) und als exklusiver Monotheismus. Letzterer verhält sich nicht evolutionär, sondern revolutionär zum Polytheismus. Und nur er spricht nach Assmann die Sprache der Gewalt.
Das illustriert er im folgenden an alttestamentlichen Szenen, so an der Geschichte um das Goldene Kalb etwa oder aber an den Strafandrohungen Gottes für den Fall der Vernachlässigung der Gesetze. Den in den Beispielen deutlich werdenden Despotismus Gottes verortet Assmann als semantische Transposition der Äußerungen der Gewaltherrschaft assyrischer Königshäuser auf den monotheistischen Gott und wertet das Ganze in der Folge als Akt der Befreiung Israels, die so in Zeiten von Deportation und Zerstörung innerliche Unabhängigkeit erlangten. (S. 31)
Unabhängig, ob man den Schlussfolgerungen folgen will, rechnet exklusiver Monotheismus immer mit konkurrierenden Macht und Wahrheitsansprüchen, so Assmann weiter. Damit ist die Forderung nach Treue eng verbunden, ebenso wie die Angst vor Verführung, die sich wiederum in den Forderungen spiegelt, wie beispielsweise auf Gottes Geheiß mit eroberten Landstrichen oder Städten verfahren werden soll: Sie sind zu zerstören. Auch hierfür liefert Assmann die entsprechenden alttestamentlichen Textzeugen. Diese Gewalt wendet sich nicht nur nach außen, sondern auch nach innen, wenn es sich etwa um abgefallene Stämme handelt. Historische und literarische Parallelen finden sich im Zelotismus, in den Schriften zum Djihad und auch in denen des Christentums; letztere lässt Assmann bemerkenswerterweise aus.
Einen augenfälligen Kernpunkt filtert er heraus: „Das umstürzend Neue an dem exklusiven Monotheismus ist, dass er nicht nur eine Sache des Kults und vielleicht auch des allgemeinen Weltverhältnisses ist, sondern die gesamte Lebensführung, Festtag und Alltag, bis ins kleinste Detail hinein regeln will.“ (S. 46)
An dieser Stelle unterscheidet Assmann zwischen zwei Formen von Schriftlichkeit: zwischen informativem und performativem Ausdruck. Die Schriften des exklusiven Monotheismus gehören zum Ausdruck letzterer Klasse: In ihnen wird Recht gesetzt und nicht über Recht und Unrecht informiert. Damit können diese Schriften in ihrer Gesamtheit als Kanon bezeichnet werden; das Leben wird zur Schrifterfüllung. Und erst unter diesem Horizont, dem imperativen „Keine anderen Götter!“, werden Töten und Martyrium für Gott, genauso wie das Motiv der Konversion, verständlich. Mit diesem Imperativ und der Übertragung assyrisch-königlichen Sprachgebrauchs auf Gott erklärt sich nach Assmann nun die gewalttätige Semantik des exklusiven Monotheismus: beschrieben wird der Bruch, die Abgrenzung, Konversion, der Zwang zur Entscheidung, die Pflicht zur Erinnerung und der ständige innere Nachvollzug, verbunden mit der Angst vor Rückfall und Vergessen. (S. 51)
Zudem konstatiert Assmann eine enge Verwandtschaft zwischen Konversion und Reue; beides resultiert aus negativer Selbsterkenntnis.
Bis zu diesem Punkt der kleinen Schrift können die vorgebrachten Überlegungen als folgerichtig gedacht angesehen werden, übersieht man Auslassungen und lässt die Prämissen Assmanns gelten. Unverständlich wird der sehr kurz geratene Ausblick, den er bietet. Ausgehend von der Überlegung, dass wir vielleicht heutigentags an einer ähnlichen Wende stehen wie die Menschen der Antike, als sie sich dem Monotheismus zuwandten, spricht Assmann zunächst versöhnlich davon, dass wir uns über die mosaischen Grundlagen unserer Kultur Rechenschaft ablegen sollten. Nach seinem Dafürhalten ist dem exklusiven Monotheismus die Gewalttätigkeit nämlich nicht zwangsläufig eingeschrieben. Schließlich entsprang diese Form der Äußerung einem politischen Druck. Das kann als reines Wunschdenken abgeschrieben werden, kann doch gerade das Verhältnis von gewalttätiger Sprache und Monotheismus genauso berechtigt als zwangsläufig angesehen werden. Selbst Assmanns Beispiele sprechen ausnahmslos dafür, in diese Richtung weiter zu denken.
Zudem entsprechen seine Wunschvorstellungen allem an schriftlicher Erinnerung, was auf uns gekommen sind und was derzeit re-/produziert wird. Wenn die revolutionäre Rhetorik der Konversion nicht mehr eifernd bemüht werden müsste, wie Assmann resultiert, bleibt nur zu fragen, warum sie permanent bemüht wird. Aber auch darauf versucht Herr Assmann eine Antwort: Dieses Phänomen im Ausdruck schreibt er Fundamentalisten zu, die er von Gläubigen unterscheidet. Erstere bedienten sich demnach lediglich gewalttätig-religiöser Rhetorik um politische Ziele zu erreichen. Wenn man im Gegenzug wiederum diese Motive historisiert, so der wahrscheinlich verwirrte Autor, würde in der Aufdeckung ihrer Genese ihre Geltung einzuschränken sein.
Nach einer guten intellektuellen Analyse der Gewalttätigkeit monotheistischer Semantik schafft es Assmann also nicht, die Theorie dergestalt auf Realien anzuwenden, dass sich aktuelle Äußerungen aus exklusiv-monotheistischen Strömungen in Schrift und Tat erklären lassen. So wird in keiner Weise klar, worin sich Fundamentalisten von Gläubigen unterscheiden, wie ihr Verhältnis zueinander gestaltet ist, was Fundamentalismus eigentlich ist, ob es exklusiven Monotheismus ohne Fundamentalismus überhaupt geben kann, was gegebenenfalls aus Gläubigen Fundamentalisten macht etc.pp. Kann überhaupt exklusiver Monotheismus von politischem Machtstreben abstrahiert werden oder ist exklusiver Wahrheitsanspruch hingegen nicht immer, je nach Umstand mit Macht oder Ohnmacht, auch im politischen Rahmen, verbunden?
Diese Fragen ließen sich fortsetzen, womit wohl der Anspruch der Vorträge im Wiener Rathaus ausreichend illustriert ist: Die Vorträge sind, wie ihre Verschriftlichung in dieser kleinen Reihe, ausgezeichnete Grundlagen weiterführender Diskussion.
Nicht weniger, nicht mehr.