Sonntag, 30. Mai 2010

Grüter, Thomas, Freimaurer, Illuminaten..., Scherz Verlag: Frankfurt/Main 2006, Festband, SU, 320 S., ISBN 978-3-502-15047-3, 17,90 €.


Robert Anton Wilson stellte einmal fest, dass es schwer möglich ist, sich unvoreingenommen und offen mit Konspirationstheorien zu beschäftigen. Die mit Verschwörungstheorien verbundenen Haltungen von Befürwortung und Ablehnung sind in den meisten Fällen rigide Muster und die Reaktionen auf Hinterfragung mechanisch. Gegner von Konspirationstheorien bemühen schnell die Kategorie des Paranoiden: Jemandem, der Verschwörungen für denkbar hält, wird die geistige Gesundheit in Abrede gestellt. Die Menschen hingegen, die von sich der Meinung sind, durch besondere Schläue eine weltumfassende Verschwörung nachweisen zu können, werden auf kritische Nachfragen damit beginnen, einen als Agent der Gegenseite zu etikettieren, der die Wahrheit durch hohle Spitzfindigkeiten zu verschleiern versucht. Von welcher Seite auch immer man sich also Konspirationstheorien nähert, sollte man darauf gefasst sein, vermintes Gebiet zu betreten.
Einen möglichst unvoreingenommenen Zugang sucht auch Thomas Grüter zu diesem Thema. Der Autor, studierter Mediziner und später Gründer eines Softwareunternehmens in Münster, nimmt seinen Ausgangspunkt in den theoretischen Grundlagen von Verschwörungstheorien und konstatiert gleich anfänglich einen definitorischen Missstand. Ergo interessiert vorerst die Frage, was eine Verschwörungstheorie überhaupt ausmacht. Dabei entwickelt der Autor eine Dreiteilung von Begriffen, die zusammenhängen, aber als Kriterien nicht alle erfüllt sein müssen. Erst in ihrer Vollständigkeit ergibt sich die erdachte konkrete Verschwörung. Am Anfang steht dabei der Verschwörungsglauben, die diffuse Vorstellung also, eine mehr oder weniger bestimmte Gruppe könnte sich zu verbrecherischen Taten verabreden. Im nächsten Schritt führt Grüter den Begriff der Verschwörungslegende ein, der Umdeutungen konkreter Ereignisse im Sinne des Verschwörungsglaubens umschreibt. Schlussendlich steht der Begriff der Verschwörungstheorie. In ihr werden mehrere Verschwörungslegenden im Sinne eines Verschwörungsglaubens in einen logischen, aber pseudowissenschaftlichen Zusammenhang gebracht. Pseudowissenschaftlich meint Grüter nach den Kriterien von Karl Popper, nach dem die wichtigste Kategorie für eine wissenschaftliche Theorie ihre Falsifiziertbarkeit ist: „Sie muss widerlegbar sein, andere Wissenschaftler müssen sie überprüfen und gegebenenfalls verwerfen können.“ (S.52)
Nach einem klaren analytischen Ansatz kommt der Autor wohl ein wenig ins Schleudern, da Verschwörungstheorien natürlich widerlegt werden können, somit stricto sensu wissenschaftlich sind. Ob sich hingegen deren Anhänger überzeugen lassen, steht auf einer anderen Rechnung. Beides, die Theorie und ihre Verhandlung, müssten sehr viel genauer getrennt werden.
Zur Untermauerung seiner analytischen Dreiteilung führt Grüter eine Unzahl von Verschwörungen an, sowohl historischer als auch heute noch aktueller. Dabei zeigt sich, dass die von ihm entwickelten Kategorien wirklich tragfähig sind. Ob es um die ominös gedachte Entstehung von AIDS, das Attentat auf das World Trade Center oder die Rolle von Freimaurern und Illuminaten in der Weltgeschichte geht: Es lassen sich alle Verschwörungstheorien in ihren Bestandteilen den Kategorien zuordnen.
Um die Struktur von erfolgreichen Konspirationstheorien weiter zu illustrieren, strickt der Autor eine eigene, sehr amüsante Geschichte, die suffizient verdeutlicht, wie diese Gedankengebäude funktionieren. Ein entspannter und spielerischer Umgang mit Verschwörungstheorien könnte daraus abgeleitet werden, unterbleibt aber.
Dabei will der Autor sicherlich nicht per se abstreiten, dass es keine konspirativen Absprachen gibt. Auch für Verschwörungen gibt es Belege, etwa bei der Ermordung Cäsars.
Mit dem Glauben an eine Verschwörung geht zumeist ein weiteres Phänomen einher, der Verfolgungswahn. Auf diesem Terrain versucht sich der Autor mit der nötigen Vorsicht zu bewegen; explizite Pauschalverurteilungen werden unterlassen, obwohl ihnen in Auswahl und Darstellung der Beispiele implizit Vorschub geleistet wird.
Einige der unheilvollen Fälle, in denen die Verschränkung von Verschwörungsglauben und Verfolgungswahn, gepaart mit Macht, großen Schaden angerichtet haben, sind ausführlich behandelter Bestandteil des Buches. Nach einer Einführung in das (klinische) Wesen des Wahns, werden die Fälle von Heinrich Kramer (Verfasser des Malleus Maleficarum), von Josef Stalin (russischer Diktator, der sich zeit seines Lebens von Verschwörungen umgeben sah) und Joseph McCarthy (ein paranoider „Kommunistenjäger“ im Amerika der 50er Jahre) untersucht. Augenfällig wird dabei die Gefährlichkeit der Kombination von Verfolgungswahn und Macht. Das kann unbeschränkt gelten, obwohl diese Verknüpfung nicht zwangsläufig mit Verschwörungsglauben zusammen fallen muss. In den angeführten Fällen handelt es sich allerdings ausschließlich um solche und diese Auswahl ist sicherlich dem Thema des Buches und den Voreinstellungen des Autors geschuldet. Aber auch hier wäre eine weitere Differenzierung interessant gewesen. Nicht nur der Verfolgungswahn, auch einige andere Formen von Wahn können sehr gefährlich sein, sind sie mit politischer Macht gepaart. Man denke nur an den Eifersuchtswahn, den Größen- oder den Querulantenwahn. Der Glaube an Verschwörungen kann ein hinzukommendes Phänomen sein, muss es aber nicht. Durch die Auswahl der Fälle und die Art der gedanklichen Ableitungen wird eine Pathologisierung des Konspirationsglaubens nahe gelegt, wo eigentlich der Zusammenhang von Macht und Wahn gemeint ist.
So verfügt das Werk von Thomas Grüter insgesamt über einen interessanten theoretischen Ansatz, mit dem Verschwörungstheorien sowohl analysiert als auch kreiert werden können. Zudem finden sich eine Unzahl gut lesbar aufbereiteter Verschwörungstheorien. Die Bezüge zur Psychopathologie hätten hingegen differenzierter dargestellt sein können und der häufig unfreiwillige Humor fehlt, der Konspirationstheorien eigen sein kann.
Das eingangs paraphrasierte wilsonsche Diktum der mechanischen Reaktionen bleibt so auch in weiten Teilen dieses Werkes gültig.