Sonntag, 30. Mai 2010

Hoffman, Kay, Das Arbeitsbuch zur Trance, Hugendubel Verlag: München 1996, Festband,
182 S., ISBN 978-3-88034-904-5, 19,90 €.


Die Autorin, Kay Hoffman, kann auf ein bisher bewegtes Leben zurückblicken. Nach Studien in Amerika und Europa arbeitete sie als Textildesignerin und dann als Lehrerin für afrikanische Tänze. Eine Vielzahl von Reisen und Ausbildungen schlossen sich an und zunehmend wurde das dem afrikanischen Tanz innewohnende Potenzial zur Induktion einer Trance zentral in ihrem Denken und Forschen. Diesem Interesse auch auf anderen methodischen Feldern folgend, bildete sich die Autorin in den core-schamanischen Methoden der FSS (Michael Harner et al.) und im therapeutischen Vorgehen nach Milton Erickson (NLP: Richard Bandler, John Grinder et al.). Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches konnte Frau Hoffman bereits auf fast zwanzig Jahre Erfahrung als Autorin, Referentin und Trainerin zurück blicken. Da ist sicherlich genug Zeit, die Vielzahl der erlernten Methoden an sich und den Seminarteilnehmern auf Wirksamkeit zu testen. Und aus dieser Erfahrung heraus ist das vorliegende Buch geschrieben worden.
Vieles von dem, was Kay Hoffman schreibt, ist in den zehn Jahren seit der Veröffentlichung auch an anderer Stelle zugänglich geworden. Was dieses Buch immer noch lesenswert macht, ist die Zusammenstellung und der Fokus, den die Autorin in ihrer Arbeit hat. NLP und Core-Schamanismus habe sich natürlich weiter entwickelt und werden vielerorts wie Fastfood konsumiert. Der Wellness-Boom der letzten Jahre verwässerte vieles von den ernsthaften Ansätzen, von denen beispielsweise die Autorin noch beseelt scheint. So geht es nicht darum, im Job besser klar zu kommen oder sich mit unannehmbaren Situationen via Suggestion zu arrangieren. Was Hoffman vorschlägt ist der Einsatz von Trancetechniken für das persönliche Wachstum und Befreiung. Dass es dabei auch Härten zu überwinden gibt, bleibt nicht verschwiegen. Thematisch findet sich davon vieles im „Spirituellen NLP“ wieder, dass in letzter Zeit immer mehr Gewicht gegenüber den funktional ausgerichteten Management-Kursen gewinnt.
Vom Aufbau ist das Werk ein klassisches Lehrbuch. Beginnend mit einigen Versuchen zu der Frage, was unter Trance verstanden werden könnte, führt die Autorin von den Grundprinzipen klassischer Hypnose (Monodeismus, Monotonie) zu moderneren neurologischen Ansätzen und verbindet das Ganze mit archaischen Tranceebenen. Dabei werden grundlegende Verständnisprobleme, die meist als Vorurteile geäußert gegen Trancezustande vorgebracht werden, aus dem Weg geräumt. Aus Alltagsbewusstsein/ -wahrnehmung wird so die Alltagstrance operationalisiert. Hypnose wird damit zur De-Hypnose.
Wird dieser alltägliche Modus durch einen anderen ersetzt, sind Erfahrungen möglich, die ansonsten unangetastetes Potential aktivieren und persönliches Wachstum ermöglichen können. Die Befreiung aus negativen Trancezuständen ist dabei fast eine beiläufig auftretende Wohltat. Ganze symptomatische Komplexe können recht einfach behoben werden: Schlafstörungen, Angststörungen, Stress kann abgebaut werden, Einfallslosigkeit kann in Kreativitätsfluss überführt werden oder Entscheidungsfindungen werden ermöglicht. Wichtig ist die Initiation von inneren Suchprozessen durch die Trance, mithilfe derer sich für jedes Problem eine Lösung finden lässt. Im sprachlichen Bild Platons, nachdem jedes Wissen eine Erinnerung ist, kann die Trance ein suffizientes Werkzeug sein, die Instanz in sich zu erreichen, die ganz natürlich weiß.
Der Weg, der in der Trance genommen werden kann, sollte aber individuell abgestimmt sein. Da das vorliegende Buch auch dieser Erfordernis gerecht wird, ist der Begriff Arbeitsbuch wörtlich zu nehmen. Neben den visuellen, auditiven und kinästhetischen Zugängen sind von Hoffman auch die gustatorischen und olfaktorischen berücksichtigt. Zu allen Typen gibt es eine Vielzahl von Beispielen, wie sprachlich in Trance geführt werden kann. Dabei werden auch Techniken wie das Gibberish der Sufis vorgestellt und selbst nonverbale Zugänge wie Räucherrituale oder Trancetänze. Die Autorin zitiert ausgiebig ihren Erfahrungsschatz und kombiniert verschiedene Methoden als Anregung zur Entwicklung von eigenen kreativen Methoden. Kulturvergleiche mit Gesellschaften, in denen der Trance ein integrativer Stellenwert zukommt, werden eingeflochten und illustrieren zusätzlich die Übungsanleitungen.
In einem gesonderten Kapitel beschäftigt sich Kay Hoffman dann ausgiebig mit den rituellen Trancezuständen, wie sie vom einigermaßen erfahrenen Leser nachvollzogen werden könnte. Aufbauend auf der Lehre von den vier Elementen (Wasser, Erde, Feuer, Luft) füllt sie Inhalte in Sprachmuster, die die Energie des jeweiligen Elements nutzbar machen. Am Anfang einer Trance könnten dabei wässrige Aussagen stehen, um den Alltagsmodus aufzuweichen. Am Ende hingegen wären erdige Aussagen angebracht, um die Tranceerfahrung und das damit verbundene Wissen auf den Boden zu holen. Nach diesem Schema, hier nur angedeutet, lassen sich je nach Konstitution und Bedürfnis des Rezipienten verschiedenste Abläufe konzipieren, die trotz der Fülle der dargestellten Beispiele noch wesentlich individuell weitergeführt werden können. Zusätzlich inspiriert die Autorin zu Versuchen mit dem Raum- und Zeitparadigma, die sich in Trancezuständen ebenfalls spielerisch umgehen lassen.
Im letzten Teil dann finden sich unter der Überschrift Funktion der Trance in den Religionen verschiedene theoretische Ansätze der Verbindung von Spiritualität und Trance. Sei es die ökologische Arbeit der Schamanen oder die mystische oder ekstatische Trance von Mönchen, Priestern oder Medien: Das Phänomen Trance ist so alt wie die Menschheit. Weitere Gedanken kreisen um die Funktionalität der Trance als Transformationsmittel, als Vehikel zur Selbsterkenntnis und als Zugang zu Transzendenz und Erwachen.
Eine runde Sache, Das Arbeitsbuch zur Trance von Kay Hoffman, dass auch zehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung noch mehr zu bieten hat als eine ganze Reihe nachfolgender Publikationen zum Thema.