Sonntag, 30. Mai 2010
Rätsch, Christian, Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, AT Verlag: Aarau 8. Aufl. 2007, Festband, SU, 941 S., ISBN 978-3-03800-352-6, 99,00 €.
Die Betrachtung von psychoaktiven Pflanzen ist in der öffentlichen Diskussion meist unter den Gesichtspunkten von Vergiftung und Verminderung geistiger und physischer Leistungsfähigkeit, die Nutzung derselben durch Kriminalisierung geprägt. Dabei sind Rauschdrogen kulturgeschichtlich immer auch wichtige Hilfsmittel gewesen, spirituelle Einsichten zu gewinnen. In der islamischen Mystik, dem Sufismus, im südamerikanischen Schamanismus oder bei den hinduistischen Shaivas beispielweise sind rauscherzeugende Pflanzen essentieller Bestandteil religiöser Erfahrung, mithilfe derer Visionen zur Gottesschau hervorgerufen werden oder aber, allgemeiner, Zugang zur geistigen Welt induziert wird. Diese Pflanzen werden als Werkzeuge betrachtet, die gezielt dazu eingesetzt werden können, den menschlichen Bewusstseinszustand dergestalt aufzuheben, dass die Grenzen dieser Welt transparent und Einsichten aus einer Anderswelt gewonnen werden können. Damit werden sie in vielen Kulturen selbst vielfach zu verehrten Lehrern. Diese kulturelle Bedeutung und geistige Potenz der halluzinogenen Pflanzen nicht zu vergessen hat sich ein Teilbereich der ethnobotanischen Forschung auf die Fahnen geschrieben.
Einer der herausragendsten Forscher weltweit auf diesem Gebiet ist Christian Rätsch, dessen Bücher im Rahmen der Chela-Rezensionen immer wieder Thema gewesen sind. Der Ethnopharmakologe erforscht nun seit zwanzig Jahren besonders schamanische Kulturen und deren Gebrauch von psychoaktiven Pflanzen. Sein umfangreichstes Buch und gleichzeitig international das ethnobotanische Standardwerk zu pflanzlichen Halluzinogenen ist die Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, die nun schon in der achten Auflage im AT Verlag erschienen ist. Eingeleitet ist der Band von einem der großen Alten in der Erforschung psychoaktiver Substanzen, von Albert Hofmann. Dieser formuliert, was wie damals so heute die Motivation der Erforschung von Entheogenen ist: Die Menschheit benötigt einen Bewusstseinswandel hin zu Zuständen, die Einblicke hinter die Subjekt-Objekt-Schranke zu geben vermögen um die Ignoranz und ihre fatalen Folgen für die Natur einschließlich den Menschen abzuwenden. Hier könnte ein intelligenter Einsatz von psychoaktiven Pflanzen wertvolle Hilfestellung leisten, wie die ethnologische Empirie abseits der Industrienationen der ersten Welt zeigen konnte. Die bei weiteren Forschungen offenbar gewordene Tradition Mitteleuropas zur Nutzung heiliger Pflanzen wurde erst in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckt, wobei vermutlich viel Wissen bereits unwiederbringlich verloren ist.
Da sind es dann Forscher wie Christian Rätsch, deren ausgeprägtes Interesse sie rastlos antreibt und die gegen Dummheit und deren Äußerung, Verbote, Wissen aus eigener Erfahrung setzen und davon erzählen. Seit Jahrzehnten erforscht Rätsch also nun Entheogene in den verschiedenen Teilen dieser Welt, sowohl im Selbstversuch als auch in pharmakologischer und kultureller Theorie und Praxis. Ergebnis ist nun die Enzyklopädie, die der Autor selbst sein „erstes Lebenswerk“ nennt und in der die Ergebnisse dieser Forschungen geordnet und verdichtet sind. Und das Ergebnis sprich für sich: Enzyklopädie meint die Gesamtheit des Wissens zu einem Gebiet und diesem hohen Anspruch wird vom Autor bravourös Rechnung getragen.
Von den angeführten Pflanzen sind 102 Gattungen umfangreich monographisch erfasst und neben allen Informationen auf der Höhe heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis zu Botanik, Aussehen und Anbaumethoden bietet Rätsch Angaben zu Inhaltsstoffen, zur Zubereitung, Dosierung, Geschichte der rituellen und/ oder medizinischen Nutzung und zur Wirkung. In kleinen Monographien sind 133 weniger erforschte Pflanzen verzeichnet. Weitere Kapitel führen psychoaktive Produkte und Pflanzenwirkstoffe auf. Die exzellent bebilderte Enzyklopädie wird durch ein umfangreiches Stichwortverzeichnis und eine ebenso umfassende Biblio- und Diskographie komplettiert. Immer wieder ergänzt und erweitert kann der voluminöse Band nur in Superlativen beschrieben werden. Unübertroffen.
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