Sonntag, 30. Mai 2010

Rätsch, Christian, Walpurgisnacht. Von fliegenden Hexen..., AT Verlag: Baden - München 2007, Festband, 112 S., ISBN 978-3-03800-312-0,
19,90 €.


Mit einem Stereotyp aus dem 16. Jahrhundert, festgeschrieben in Johann Georg Gödelmanns „Von Zauberern, Hexen und Unholden, wahrhaftiger und wohlbegründeter Bericht“ (1592), beginnt die Geschichte der Walpurgisnacht und das unlängst zu diesem Thema erschienene Buch von Christian Rätsch.
In der historischen Beschreibung finden sich erstmalig die Elemente, welche die Walpurgisnacht, die Nacht vom 30. April auf den 1. Mai, als kognitives Muster auszeichnen und die der Studie von Rätsch die inhaltliche Struktur vorgeben. Es sind in erster Linie also die Topoi Datum und Ort des Geschehens, die Ausfahrt der Hexen, die Flug- und Buhlsalbe, die Hexenversammlung, der Teufelpakt, die sexuellen Ausschweifungen, ekstatische Musik, das Hexenmahl und schlussendlich die Ketzerei, die das Geschehen dieser als besonders angesehenen Nacht ausmachen.
Nachdem die einzelnen Bestandteil herausdestilliert sind, seziert der Ethnopharmakologe Rätsch, der in bisherigen Publikation besonders den Zauberpflanzen dieser Erde zugetan war, die allseits bekannte Hexennacht aus kulturwissenschaftlicher Sicht.
Der Frage beispielsweise, was eigentlich eine Hexe ist, spürt er akribisch nach. Vom altgermanischen hagazussa über weitere Namensgebungen, die im Volksmund gebräuchlich sind, bis hin zu einer Schreibweise in Runenschrift analysiert der Autor den Bedeutungsgehalt des Wortes.
Eine anfolgende Betrachtung geht der Namenspatronin des Festes nach, der Hl. Walpurga (auch: Walburga, Walpurgis). Die katholische Pestpatronin, die auch bei Unterleibs- und Augenleiden angerufen wird, scheint mit ihrem Namenstag eine gewollte Überlagerung darzustellen; ein früher Versuch der Kirche, die heidnischen Ursprünge der Maienfeste zu verschleiern. Zudem erscheinen in der germanischen Mythologie zauberkräftige Frauen, für die bereits Jacob Grimm einen Bezug zur Walpurga herstellte: Demnach leite sich ein Teil des Namens vom althochdeutschen vala, Zauberin, her. Diese etymologische Detailarbeit illustriert der Autor immer wieder mit spannenden Episoden aus den einheimisch-volkskundlichen Erzählungen.
Auf dieselbe unterhaltsame wie faktisch fundierte Art widmet sich Rätsch den Hexenplätzen im Harz, den Blocksbergen und dem griechischen Parnass, einem kultisch genutzten Platz der Dionysosanhängerinnen. Dabei werden einige Parallelen zum frühneuzeitlichen Hexentreiben augenfällig.
Für die den Hexen vielfach zugeschriebene Flugfähigkeit, die auf einer speziell zubereiteten Salbe beruhen soll, findet Rätsch einiges an Rezepturen für Einreibungen und Räuchermischungen, die sowohl von Hexen als auch gegen Hexen eingesetzt worden sein sollen. In der Überzahl der Zubereitungen stellt die Familie der Nachtschattengewächse mindestens einen Teil des Wirkstoffgemisches, was der Autor einerseits zum Anlass nimmt, die sogenannten Hexenpflanzen zu porträtieren als auch zu mutmaßen, dass es sich beim Walpurgisspektakel um ein astrales Ereignis gehandelt haben könnte. Die visionsinduzierende und aphrodisiakische Wirkung der Pflanzen würde dazu passen. Problematisch bleibt dabei, dass die überkommenen Rezepturen in ihrer Authentizität fragwürdig sind.
In weiteren Teilen des Buches beschäftigt sich Rätsch mit dem literarischen und musikalischen Niederschlag der Walpurgisnacht bis in die Gegenwart hinein, etwas mit der Faust-Legende oder aber dem Schaffen von Hector Berlioz.
Das Werk von Christian Rätsch ist also eine äußerst gelungene und vielseitige Darstellung des Themas Walpurgisnacht, welches von den heidnischen Ursprüngen bis in die heutige Zeit detailliert verfolgt wird. Zudem isst das Auge mit: Das Buch ist durchgehend aufwendig und sehr ansprechend illustriert.
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