Sonntag, 30. Mai 2010
Adelaars, A./ Rätsch, Ch./ Müller-Ebeling, C., Ayahuasca. Rituale..., AT Verlag: Baden - München 2006, Festband, 312 S., ISBN 3-03800-270-4, 24,90 €.
Bekanntlich ist Ayahuasca (auch: yagé) ein in Südamerika weit verbreitetes Heilmittel, das rituell von bestimmten amazonischen Schamanen (ayahuasqueros) eingesetzt wird. Dabei handelt es sich um einen Sud aus zumeist zwei Pflanzen, von denen eine die Dschungelliane Banisteriopsis caapi ist. Neben Pflanzenteilen der Liane ergänzen DMT-haltige Blätter einer weiteren Pflanze den bitteren Sud. Das Gebräu ist im schamanischen Kontext sowohl Heilmittel als auch visionäres Gefährt zur Erkenntnis, vergleichbar vielleicht mit dem abendländischen Gebrauch von Fliegenpilz und Co.. Ayahuasca wird wahrscheinlich schon Jahrtausende als Reisemittel in die Welt der Seelen genutzt und nun zunehmend im Westen populär. Etliche Menschen westeuropäischer Sozialisierung haben bisher die "bittere Brühe" gekostet und ihre Wirkung zu schätzen gelernt; einige sind bereits so erfahren, dass sie Ayahuasca- Seminare anbieten.
Die drei Autoren Christian Rätsch, Claudia Müller-Ebeling und Arno Adelaars sind ausgewiesene Experten in den Bereichen Ethnologie, Pharmakologie und besonders, zusammengefasst, der Ethnobotanik. In ihrem Gemeinschaftswerk werden viele der denkbaren Aspekte, die mit Ayahuasca zusammen hängen, berücksichtigt. Neben der Nachzeichnung ritueller Verwendung der Meisterpflanzen werden weitere kulturelle Spuren gesucht, die pharmakologische Seite beleuchtet und nicht zuletzt eigene Erfahrungen geschildert. Die Dreiteilung des Werkes unterstützt dabei die angedeutete Vielfalt in der Betrachtung der Pflanze.
So beschäftigt sich Christian Rätsch im ersten Teil (Ethnobotanica Ayahuasca) mit der Frage von Ursprung, Entdeckung und Bedeutung von Pflanzen und Trank im kulturellen und pharmakologischen Kontext. Dabei werden verschiedene im Amazonasgebiet gebräuchliche Rezepte vorgestellt und herausgestellt, wie die unterschiedlichen Additva wirken, die dem Trank zugesetzt werden können. Neben den Visionspflanzen kennt der Schamane in Südamerika (hauptsächlich in Kolumbien, Ekuador, Peru und Brasilien) eine Anzahl weiterer entheogener Pflanzen, mit denen geheilt wird und die Rätsch umfassend in ihrer Herkunft und Nutzung beschreibt. Zu nennen sind dabei die Engelstrompete, der Stechapfel, Yopo-Pulver, Dschungeltabak, verschiedene Kakteen sowie Räucherstoffe wie Copal. Die gesamte Darstellung bleibt vom ersten Augenblick nicht bei einer theoretischen Schilderung stehen, sondern ist immer wieder durchsetzt von Einblicken in die praktische Erfahrung mit den Pflanzen.
Im zweiten Teil, größtenteils von Claudia Müller-Ebeling verfasst, wird dieser praktische Aspekt auf der Ebene künstlerischer Reflexionen vertieft. Viele der während einer Ayahuasca- Zeremonie geschauten Visionen finden sich künstlerisch ausgeformt sowohl in Südamerika als auch als Elaborate westlicher Künstler. Ausgehend von verschiedenen Formkonstanten in der Kunst indigener Völker, wie charakteristischen Zickzackmustern, Spiralen und Kreisen, lassen sich auch bestimmte Tiersymbole (Jaguar, Schlange) mit Ayahuasca in Verbindung bringen. Besonders bei den Shipibo-Conibo kann die Autorin exemplarisch belegen, wie eng der Zusammenhang zwischen Dschungelmedizin und dem allgegenwärtigen künstlerischen Ausdruck ist. Neben archäologischen Artefakten und lokalen Alltagsgegenständen befasst sich Müller-Ebeling aber auch mit der visionären Malerei der Gegenwart, die beispielsweise mit so unterschiedlichen Künstlern wie Pablo Amaringo, Yando Rios, Mati Klarwein, Nana Nauwald und Alex Grey verbunden ist. Ein weitere anregende Betrachtung gilt dann dem musikalischen Ausdruck von Ayahuasca- Erfahrungen.
Im dritten Teil zeigt Arno Adelaars, der selbst Ayahuasca- Rituale in Europa zelebriert, in welchem Kontext jeweils mit diesem Heilmittel des Dschungels umgegangen wird. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der rituellen Ausgestaltung. Die eindrücklichen Schilderungen reichen hier von verschiedenen Zeremonien in Kolumbien, Peru (Stichwort: Ayahuasca- Tourismus) und Ecuador hin zu brasilianischen Kirchen (Santo Daime), in denen Ayahuasca als Sakrament innerhalb des Gottesdienstes zur Verwendung kommt. Auch Adelaars geht immer von seinen Feldforschungen aus, die er in bester ethnologischer Manier mit einer Fülle weiterer Informationen anreichert. Als eine Besonderheit dieses Kapitels kann die Darstellung moderner Rituale im Westen stehen. Obwohl der kulturelle Transfer nicht ohne problematische Begleiterscheinungen ist, bleibt der Autor weit davon entfernt, indigene Gebräuche zu glorifizieren und diese per se für unübertragbar zu erklären. Die sogenannten Do-It-Yourself- Rituale können genauso eindrücklich und heilsam sein, wenn Intention und Erfahrung, Set und Setting stimmig sind. Auch hier werden wieder sowohl positive als auch missglückte Erfahrungen nebeneinander gestellt, so dass sich der Leser ein eigenes Urteil bilden kann. Interviews mit westlichen Ayahuasca- Trinkern und ein Klärung des rechtlichen Status runden dieses hervorragende Buch zum Thema ab.
"Ayahuasca" von Christian Rätsch, Claudia Müller-Ebeling und Arno Adelaars ist neben der enormen Erfahrungs- und Informationsfülle, die aus den Zeilen spricht, eine sehr angenehme und anregende Lektüre. Es ist ohne Übertreibung das beste und umfassendste Buch zum Thema, das es derzeit in deutscher Sprache gibt.