Mittwoch, 8. September 2010

Wallrath, Bertram, Das keltische Baum-Horoskop, Iris Verlag: Saarbrücken 2007, Paperback, 128 S., ISBN 978-3-89060-248-6, 9,80 €.


Würde heutzutage so ein alter Kelte via Zeitreise in eine deutsche Buchhandlung gehen können und das Esoterikregal in Augenschein nehmen, würde er wahrscheinlich ziemlich erstaunt sein, was ihm und seinen Volksgenossen so angedichtet wird. Eine dieser Merkwürdigkeiten ist das Keltische Baumhoroskop, das seit Mitte des 20. Jahrhunderts gehandelt wird. Schlägt man in der akademischen Literatur zur keltischen Religion nach, lässt sich wohl einiges zur Astrologie in altirischen und altwalisischen Quellen finden, allerdings nicht in Zusammenhang mit Bäumen. Für derart elaborierte, durch die Zeiten auf uns gekommene keltische Systematik lässt sich dort kein Anhaltspunkt beibringen.
Die vermeintliche Tradition, der vielfach ein Alter von tausenden Jahren zugeschrieben wird, entpuppt sich schnell als Kunstschöpfung des britischen Schriftstellers Robert Graves, der in seinem 1946 erschienenem Buch The White Goddess eine Zuordnung von Ogham-Zeichen und einzelnen Bäumen herstellte und so den Vorläufer des heute gebräuchlichen Keltischen Baumhoroskop in die Welt brachte.
Aber damit ist die Geschichte, man ahnt es, noch nicht abgeschlossen. Die französische Journalistin Paule Delsol entwickelte 1971 im Auftrag eines Modemagazins (Marie Claire) verschiedene Horoskopsysteme, die alten Kulturen entstammen oder aber auf diese verweisen sollten. Neben einer arabischen und einer tibetischen Horoskopie entwickelte sie in Anlehnung an Robert Graves ein keltisches Baumhoroskop (Horoscope Gaulois). Einige Jahre später, 1984, erschien das erste Buch zum keltischen Baumhoroskop in deutscher Sprache (Bäume lügen nicht - Das Keltische Baumhoroskop), in dem dann vom sagenhaften Alter dieser Überlieferung die Rede ist. Ältester erhaltener Textzeuge, wenngleich natürlich nicht der Ursprung des Systems, sollte demnach ein Mauskript sein, welches in einem polnischen Kloster verwahrt wird.
Unglücklicherweise für die Fama befasste sich der Bundesgerichtshof Anfang der 1990er Jahre mit dem Keltischen Baumhoroskop, da zwischen den mittlerweile vermehrt publizierenden Verlagen zum Thema Streitfragen zu Urheberrecht und Verwertungslizenzen aufkamen. Die nachfolgenden Verlage nahmen nämlich für ihre Publikationen in Anspruch, nicht von dem 1984 veröffentlichten Buch abhängig zu sein und, so weiter argumentiert, schließlich sei das Keltische Baumhoroskop doch ältestes Kulturerbe der gesamten Menschheit, womit Fragen nach Urheberschaft und Verwertung obsolet würden. Dem war aber nun nicht so, wie von Seiten der Richter beschieden wurde. Die deutsche Fassung von 1984 entstammte einem polnischen Gartenkalender (das vermeintliche Klostermanuskript), dem wiederum textlich ein französischer Artikel zugrunde liegt. Im Nachvollziehen der Übersetzung ergab es sich, dass bei der Übertragung vom Französischen ins Polnische ein bedeutender aber unauffälliger Fehler gemacht wurde. Dieser Fehler wurde in die deutsche Ausgabe von 1984 übernommen und alle nachfolgenden Bücher zum Thema Keltisches Baumhoroskop kopierten diesen Fehler. Damit war der Nachweis erbracht, dass die gesamte deutsche Literatur zum Baumhoroskop von der ersten Version abhing. Damit ist das Keltische Baumhoroskop nun ganz offiziell eine britisch-französische Schöpfung, die über einen polnischen Gartenkalender zu uns kam. Die Umstände werden in dem vorliegenden, von Bertram Wallrath herausgegebenen Buch unumwunden ausgebreitet.
Der Fehler ist mittlerweile korrigiert und auf eine legendäre keltische Tradition wird verzichtet. Trotz der mittlerweile entlarvten Herkunft ist diese Form der Dendrohoroskopie im Kanon des Neupaganismus angekommen, wo mit dem System mehr oder weniger reflektiert umgegangen wird. Aber eines sollte dennoch bedacht werden: Die Antwort auf die Frage, ob das charakterologische System von altehrwürdiger keltischer Abstammung oder keltophile Schöpfung des 20. Jahrhundert ist, trifft nicht unbedingt eine Aussage über eine etwaige Nutzbarkeit und Wirksamkeit für Erkenntnis und Charakterschulung.
Natürlich wäre eine autochthone keltische Herkunft origineller als das dargelegte System, in dem sich sowohl Anlehnung an die herkömmliche abendländische Astrologie finden lässt als auch an den Keltischen Jahreskreis. So regieren vier Bäume jeweils nur einen Tag (die Sonnenwenden und die Tag- und Nachtgleichen), während 15 Bäumen jeweils zwei und zwei Bäumen jeweils drei Dekaden des Tierkreises zugeordnet sind. Zudem lassen sich zwischen den jeweiligen Bäumen und den Arkana des Tarot Beziehungen herstellen, die in diesem Buch allerdings nur angesprochen, nicht aber ausgeführt sind. Zur weiterführenden Lektüre kann auf Das Keltische Baumtarot verwiesen werden, das von Leah Levine und Bertram Wallrath geschrieben ist.
Ganz klassisch enthält dieses Buch zum Keltischen Baumhoroskop eine Datentabelle, in der man sein Geburtsdatum heraussucht. Dahinter findet sich dann der zugehörige Baum und der entsprechende Abschnitt kann nachgeschlagen werden. Neben der Charakterkunde, die verhältnismäßig kurz aber prägnant ausfällt, ist zum jeweiligen Baum einiges an kulturhistorischen Fakten zusammengetragen.
Somit ist das Buch am ehesten eine knappe Einführung in das Problemfeld Keltisches Baumhoroskop und eine Darstellung der einzelnen Bäume in ihrer charakterologischen Aussagekraft nach Paule Delsol. Die beigefügten kulturhistorischen Gegebenheiten zu den jeweiligen Bäumen entstammen zumeist mittelalterlichen Folianten zur Heilkunde, in die das Wissen keltischer Druiden wirklich Eingang gefunden haben könnte. Allerdings ist das nicht zweifelsfrei nachzuweisen.
Aber schlussendlich kommt es darauf an, ob dieses System auf dem Weg der Erkenntnis hilfreich werden kann. Und das ist möglich, individuellen Zugang vorausgesetzt.