Freitag, 10. September 2010

Storl, Wolf-Dieter, Heilkräuter und Zauberpflanzen..., AT Verlag: Aarau-Baden 2007, Festband, SU, 179 S., ISBN 978-3-85502-693-7, 17,90 €.


„In unserem Streben nach einer ganzheitlichen Kräuterkunde gilt es, die Pflanzen nicht nur als Behälter von Molekularverbindungen, sondern als Lebewesen zu betrachten, die auch von Seelischem und Geistigem umwoben sind.“ (S. 71)
Dieses Zitat, dem hier besprochenen Buch Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor entnommen, steht programmatisch für das langjährige Schaffen des Autors. Wolf-Dieter Storl, Ethnobotaniker und Kulturanthropologe, vermittelt sein Wissen über die Pflanzen nicht nur in Büchern, sondern auch in Seminaren und Vorträgen.
Neben den eigenen Erfahrungen im praktischen Umgang mit dem grünen Volk bewegt sich Storl in bester Tradition, die in seinen Büchern immer wieder rezipiert wird. Viele der alten, oftmals vergessenen Schriften bringt er in Erinnerung und komponiert alte und neue Sichtweisen zum Pflanzenverständnis in unterhaltsam zu lesenden Form.
Schon in der Antike war das Wissen um die Heilkraft der Kräuter vor der Haustür weit verbreitet und genutzt, wie die Werke vom älteren Plinius oder aber vom Griechen Pedanios Dioskurides, der Leibarzt der Caesaren Claudius und Nero gewesen ist, noch heute belegen. Im Mittelalter stach dann besonders das Werk Hildegards von Bingen heraus, wenngleich es im Vergleich mit den antiken Autoren reduziert erscheint. Zu den besonderen Quellen des Buches von Storl zählt das „Complete Herbal“ (1653) des englischen Botaniker, Arztes und Astrologen Nicholas Culpeper, weil es sicherlich zu den weniger bekannten, wenngleich hochgradig interessanten Werken gehört. Weitere Autoren komplettieren den historisch fundierten Rundschlag durch die Kräuterheilkunde: Die Kräuterpfarrer Sebastian Kneipp und Johann Künzle sind ebenso vertreten wie Paracelsus, Maria Treben oder aber Verweise auf die biologisch-dynamische Landwirtschaft von Rudolf Steiner. Auch die Lehrer Storls, der Bergbauer Arthur Hermes und der Pflanzenschamane und Sonnentanzpriester Bill Tallbull, werden entsprechend gewürdigt.
Dass dieses Buch trotz einer Unzahl berücksichtigter historischer Schriften nicht zu einem schwer lesbaren akademischen Elaborat wird, ist sicher allen einsichtig, die schon Schriften von Wolf-Dieter Storl kennen. In gewohnt brillanter Form unterhält der Autor seine Leser, ohne dass die Tiefe und der Ernst seines Anliegens dabei auf der Strecke bleibt.
Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit stehen dieses Mal neun einfache, gewöhnliche Kräuter, die oftmals als „Unkraut“ schlicht übersehen werden. Die Helden des Buches sind die Brennnessel, der Beifuss, Gundermann, Geissfuß, Wegerich, Schachtelhalm, Gänseblümchen, Vogelmiere und Löwenzahn. Deren Eigenschaften werden ausführlich beschrieben, ihre Heilkraft, ihre Bedeutung in der Volksmedizin, ihre Rolle in Sage, Märchen und Aberglaube, ihre planetarischen Bezüge und vieles mehr. Alte Namen, wie „Machtwurz“ für den Beifuss erinnern noch an eine Zeit, als das Wissen um die Potenz der vorgestellten Pflanzen noch lebendig war.
Die „grünen Neun“ sind von Storl willkürlich ausgewählt, da die Zusammenstellung der Kräuter in den regionalen Traditionen variiert. Aber meist sind es, wie hier, neunerlei Kräuter, die als Zauber- und Heilpflanzen in unseren Breiten benutzt wurden und vereinzelt auch werden. So war und ist der Kräuterkundige der Meinung, dass eine Handvoll verschiedener Kräuter ausreichend sei, genaue Kenntnis der Pflanzenpersönlichkeiten vorausgesetzt, um sämtliche Leiden heilen zu können. Storl berücksichtigt dabei die molekularbiologischen und chemischen Erkenntnisse zu den Pflanzen, ohne sie allerdings in ihrer Heilwirkung auf diese zu reduzieren.
Und auch zur allgemeinen Konstitutionskräftigung, für den Nichtleidenden, bieten sich die Kräuter an: eine Frühlingssuppe („Neunkräutersuppe“) aus den genannten Pflanzen soll Wunder am Immunsystem wirken und die Frühjahrsmüdigkeit vertreiben. Zum Zwecke praktischer Anwendbarkeit ist der Text immer wieder ergänzt durch eingestreute Rezepte, welche zur Herstellung von Tees, Suppen, Salaten, und Einreibungen belehren. Zudem finden sich Anleitungen für Gicht- und Entschlackungskuren oder natürliche Färbe-, Dünge- oder insektenabwehrende Mittel.
Das Buch ist nunmehr in der sechsten Auflage erhältlich, die sicherlich nicht die letzte gewesen sein wird. Die Bücher von Wolf-Dieter Storl zählen zum Besten, was derzeit über Pflanzen geschrieben wird und ganz speziell mit diesem Werk kann jede/r gleich beim Verlassen der Haustür neun neue Freundschaften schließen. Ein Buch, das jeden der alltäglichen Wege ungemein bereichert und einen leicht zum Kräutersammler und Suppenkoch werden lassen kann.