Mittwoch, 8. September 2010

Suhr, Dierk, Die Alchemisten. Goldmacher, Heiler, Philosophen, Ostfildern: Thorbecke Verlag 2006, Festband, SU, 176 S., ISBN 3-7995-0163-0,
22,90 €


In der vorliegenden Betrachtung der Alchemie wird ein weiter Bogen von der Steinzeit-Chemie und der Metallurgie der Bronzezeit bis hin zu den heute noch existierenden Schulen der Spagyrik gespannt. Viele der Vorstellungen und Vorgehensweisen, die mit der Alchemie in Verbindung stehen, werden dabei referiert und können so ein kompaktes Gesamtbild ergeben, bei dem jedoch einige Aspekte etwas kurz ausfallen.
Als Biologe und Lehrbeauftragter an der Universität Stuttgart nämlich geht der Autor das Thema in erster Linie aus der Perspektive eines heutigen Naturwissenschaftlers an. Diese Form der Annäherung zieht ganz natürlich Auslassungen nach sich, so dass der Alchemist, den Mystiker, den Philosophen und den frühen Naturwissenschaftler in sich vereinend, wenn man so will, letzten Endes besonders für seine Leistungen im letztgenannten Bereich überaus gewürdigt dasteht. So liest sich das Werk von Dierk Suhr an vielen Stellen als Apologie der Alchemie, bemüht, die chemisch relevanten Forschungsergebnisse herauszustellen. Und da gib es ja einige, wie die Entdeckung des Sauerstoffs, des Alkohols oder aber die des Porzellans und die des Schießpulvers in Europa.
Dabei führt der Weg zu frühesten Vorstellungen von der Beschaffenheit der Welt und der Menschen, wie beispielsweise der in der Antike entwickelten Vier-Elemente-Lehre oder zur Humoralpathologie der Hippokratiker. Die daran anschließenden Arbeiten, in denen sich die Heilkunde mit alchemistischer Experimentierfreudigkeit vereinte, ist einer der Hauptstränge, die Suhr herausgearbeitet hat. Die Formulierung und später die Suche nach einer Quintessenz, einem fünften Element, ist ebenso eines der zentralen Motive alchemistischen Strebens wie des Buches. Andere wichtige Gedanken, wie sie auf der Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos niedergeschrieben sind, kabbalistische Einflüsse, die Signaturenlehre oder die Theorie von Suphur, Mercurius und Sal sind kenntnisreich und historisch eingeordnet dargestellt.
Weiteres Augenmerk liegt auf der Alchemie als Kunst des Goldmachens und auf dem Bestreben vieler Alchemisten, den Stein der Weisen resp. das Elixier des Lebens herzustellen. Diese Bemühungen stehen eher als Scharlatanerie im artifiziellen Leseraum und schnell begibt sich der Autor in medizinische Deutungsdimensionen, wie die Suche nach einem Allheilmittel (Panacea) eines Paracelsus.
Die mystische Beschäftigung mit alchemistischer Symbolik und Verfahren, eine innere Alchemie (wie das chinesische Neidan), wird in Suhrs Betrachtung zwar genannt, aber kaum weiter ausgeführt. Es bleibt also in weiten Teilen der Eindruck einer kenntnisreichen Beschreibung der Alchemie als embryonaler Chemie, obwohl mit der Anführung einiger philosophisch-mystischer Schriften auch eine völlig andere Geschichte möglich gewesen wäre.
Den größten Platz dieser Schrift nimmt ein Mittelteil ein, in welchem zahlreiche bekannte und weniger bekannte Alchemisten bis hin zu Alexander von Bernus mit ihren Lebensläufen und Schaffensdaten skizziert sind. Zudem zeichnet sich das Buch dadurch aus, dass der Autor es immer wieder unternimmt, spezifisch alchemistische Begriffe und Verfahrensweisen zu erklären, so dass auch dem Leser ohne Vorwissen ein leichter Einstieg in die Materie gelingen kann.
In erster Linie schrieb der Autor somit eine kenntnisreiche und zudem ausgesucht bebilderte Historie der Alchemie, abzielend auf die heute noch chemisch relevanten Erkenntnisse der damaligen Forscher. Dass dabei manche der spannenden „Abberationen“ sehr kurz abgehandelt sind, wird durch die vorgenannten Vorzüge aufgewogen.