Freitag, 10. September 2010

Hageneder, Fred, Die Eibe in neuem Licht, Verlag Neue Erde: Saarbrücken 2007, Festband, SU,
320 S., ISBN 978-3-89060-077-2, 39,90 €.


Vieles spricht dafür, dass dieser Band Eingang in die Sammlung rezensierter Bücher auf dieser Seite erhält. Einerseits existieren bereits einige Besprechungen zu ethnobotanischen Publikationen. Das soll natürlich weitergeführt werden. Andererseits, und das ist die Besonderheit, handelt dieses Buch von nur einer Gattung, der Eibe. Nimmt man nun herkömmliche Beziehungs- und Zuordnungstabellen zur Hand, ist die Eibe durchweg und zweifelsfrei dem Gestirn Saturn zugeordnet und damit an dieser Stelle mehr als passend.
Für diese assoziative Verbindung steht sicherlich das langsame Wachstum der Eibe, ihr extrem hartes und dauerhaftes Holz, ihre Giftigkeit, die sie mit dem Tod verbindet, sowie der Umstand, dass sie äußerst schattenverträglich ist. So kommt sie mit nur 5 % der Lichtmenge des Freistandes aus. Auch die lange Lebensdauer und das hohe Alter der Eibe entsprechen saturnischen Qualitäten: Der in Asien, Europa, Nord- und Mittelamerika beheimatete Baum trat erstmalig vor circa 140 Millionen Jahren auf und zählt somit zu den ältesten Baumarten der Welt, wenn es sich nicht sogar um die älteste handelt.
Dieses faszinierende Wesen nun steht im Mittelpunkt des herausragenden Buches von Fred Hageneder. Dieser ist Ethnobotaniker und beschäftigt sich seit Jahren mit Bäumen, insbesondere mit der Eibe. So ist er Gründungsmitglied und Vorsitzender des Vereins Freunde der Bäume und Mitglied der Ancient Yew Group. Seiner Feder entstammen Titel wie Die Weisheit der Bäume oder Geist der Bäume.
Das hier besprochene neueste Werk des Autors ist das großformatige und voluminöse Buch Die Eibe in neuem Licht. Eine Monographie der Gattung Taxus. Gegliedert ist es in zwei Teile, von denen sich der erste mit der Natur der Gattung beschäftigt, der zweite, etwas umfangreichere dann mit der Kulturgeschichte. Dabei sind die einzelnen Kapitel in sich geschlossenen Abschnitte, so dass es ohne weiteres möglich ist, sich quer durch das Buch zu lesen.
Im biologischen Teil erfährt der Leser Grundlegendes zur Klassifizierung der Pflanze, ihrer Evolution und ihrer heutigen weiten Verbreitung, für die ihre hohe Anpassungs- und Regenerationsfähigkeit verantwortlich ist. Große Aufmerksamkeit kommt, um ein Beispiel herauszugreifen, der Eibe als Heilmittel zu; ihre Inhaltsstoffe werden ausgebreitet und auf ihre Wirksamkeit in human- und veterinärmedizinischem Bereich untersucht. Auch in der Geschichte verschiedener Völker finden sich Hinweise auf die Verwendung von Pflanzenbestandteilen der Eibe als Heilmittel, so bei den nordamerikanischen Indianern oder aber im indischen Ayurveda. Die bedeutendsten heutzutage industriell extrahierten Wirkstoffe sind wohl die Taxane, mithilfe derer Krebs häufig geheilt werden kann. Kenntnisreich erläutert der Autor darüber hinaus noch kurz die auf die Eibe bezogene Politik der Pharmaunternehmen und die damit verbundenen ökologischen Auswirkungen. Obwohl die Pharmaindustrie der Eibe durchaus gefährlich werden könnte, liegt es doch in der Verantwortung der Menschen vergangener Jahrhunderte, dass es im Eibenbestand Europas kaum noch geschlossenen Haine oder sogenannte uralte Individuen dieser Gattung gibt. Jahrhundertlang war das Eibenholz zur Herstellung von Langbögen begehrt, wie älteste Grabungsfunde belegen. Die großen frühneuzeitlichen Kriege führten dann zu einem wesentlich erhöhten Bedarf an Eibenholz, so dass man heute davon ausgeht, dass es in Europa bereits am Ende des 16. Jahrhunderts keine nennenswerten Eibenvorkommen mehr gegeben hat.
Und doch regte gerade die Eibe immer wieder die menschliche Phantasie an, wovon Dichtung und bildnerisches Schaffen zeugen. Auch in der Volksmagie spielte der Baum oder seine Teile eine wichtige, zumeist apotropäische Rolle: Vor den Eiben kann kein Zauber bleiben heißt es beispielsweise in einem Spruch, der aus dem Spessart überliefert ist. Diese Aureole von heiligem Zauber scheint der Eibe quer durch die Kulturkreise und Zeiten anzuhaften. Schon in frühester Zeit waren in ihrer Nähe Heiligtümer wie noch heute im japanischen Shinto. Der Lebensbaum einiger Völker scheint ebenfalls eine Eibe gewesen zu sein, Zeremoniengegenstände wurde mit Vorliebe aus Eibe gefertigt und bereits babylonische Tonscherben sind unverkennbar mit dem Nadelmuster der Eibe verziert. Die Pflanze steht kulturhistorisch in Verbindung mit den Übergangsriten am Lebensende, mit der Geburt, mit den Gesetzen einer zyklisch gedachten Zeit und figuriert als Attribut von Göttern und Göttinnen verschiedenster Zeiten und Kulturen.
Diese Aufzählung könnte noch lange fortgesetzt werden. Wie schon im biologischen so auch im kulturhistorischen Teil schafft es Hageneder immer wieder mit seinen liebevoll und kenntnisreich geschriebenen Zeilen zur Eibe zu überraschen, zu fesseln und zu faszinieren.
Das Werk von Hageneder ist zudem ein ausgesprochner Prachtband, der auch hohen bibliophilen Ansprüchen gerecht wird. Auf hochwertigem Papier gedruckt ist das Buch mit einem gefälligen Schutzumschlag ausgestattet und besticht zudem durch eine aufwendige und größtenteils farbige Bebilderung. Sowohl der natur- als auch der kulturwissenschaftliche Teil halten einer akademischen Qualitätsprüfung stand und sind zudem, bei aller faktischen Dichte, äußerst unterhaltsam zu lesen. Die Klärung von Fachbegriffen findet sich in einem biologischen Glossar sowie, sehr elegant und didaktisch klug gelöst, in farbig unterlegten Kästen an den entsprechenden Stellen ihrer ersten Verwendung. Das Buch wartet zudem mit einem Endnotenapparat auf, mit einer Bibliographie, einem Index sowie mit fünf Appendices.
Diese großartige Untersuchung zum saturnischsten aller Bäume scheint sowohl vom Inhalt als auch vom Äußeren nur dazu geschaffen, die ethnobotanische Bibliothek zu adeln. Und nicht nur die.