Mittwoch, 8. September 2010

Walchensteiner, Kurt R., Die Kathedrale von Chartres,Verlag Neue Erde: Saarbrücken 2006, 237 S., Paperback, ISBN 3-89060-246-0, 19,80 €.


Sebastien Rouillard, advocatus von Melun, schrieb 1609 ein Buch mit dem Titel „Parthenia oder die Geschichte der höchst hehren und frommen Kirche von Chartres, gewidmet von den alten Druiden der Jungfrau, die gebären soll“. Dieses Werk beinhaltet die Legende, nach der Druiden ein Jahrhundert vor Christi Geburt durch prophetische Eingabe aufgefordert wurden, einen Altar für eine gebärende Jungfrau im Heiligen Hain zu errichten.
An diese Legende knüpft auch Kurt Richard Walchensteiner mit seinem Buch, „Die Kathedrale von Chartres. Ein Tempel der Einweihung“ an. Hiernach war Chartres bereits vor 4000 Jahren einer der bedeutsamsten religiösen Kraftorte Europas.
Der Legende nach suchte der solare Fruchtbarkeitsgott Gargantua nach Menhiren oder Riesensteinen. Unter diesen Menhiren ragte aber ein Stein an Heiligkeit hervor. Gargantua beauftragte das Volk der Carnuten, genau diesen einen Stein zu schützen Carnuten heißt übersetzt soviel wie „Hüter des Steins“ und hängt etymologisch mit dem Wort Chartres zusammen. Durch den Stein geheiligt trafen sich nun hier jedes Jahr Druiden und Barden, Priester und Gelehrte im heiligen Hain. Dieser Legende nach soll dieser heilige Stein direkt unter dem Hügel, auf der die Notre Dame von Chartres steht, vergraben sein.
Nun ist die Kathedrale von Chartres nicht nur auf einem bedeutenden Punkt gebaut, sondern bietet nach Walchensteiner selbst einen Einweihungsweg in sich.
Walchensteiner geht davon aus, dass die Templer im 12. Jahrhundert in Jerusalem unter dem salomonischen Tempel die Bundeslade fanden, auf welcher natürlich nicht die handwerkliche Bauanleitung für Chartres stand, sondern vielmehr eine Beschreibung oder Anleitung für die innere Alchemie eines jeden von uns, mit dem Ziel, selbst zum Tempel Gottes zu werden. All diese Informationen sollten jedem zugänglich sein. Die empfangenen Anleitungen sollen von den Templern in jede Form der Kathedrale von Chartres eingeschrieben worden sein. Jeder soll sie nutzen können, vorausgesetzt dass er sie zu entschlüsseln und zu lesen versteht und sie daraufhin auf sich und in sich wirken lassen kann.
Ziel dieses in der Kathedrale von Chartres eingeschriebenen Weges innerer Alchemie ist demnach eine Vervollkommnung von Körper, Geist und Seele und die Geburt des göttlichen Kindes in einem selbst. Schritt für Schritt wird dieses göttliche Kind während der Selbstvervollkommnung in der Kathedrale zur Selbstbemächtigung heranwachsen.
Sehr persönlich und dennoch tiefsinnig ist Walchensteiners Wahrnehmung, dass jeder Mensch die Kraft von Christus ist und dem Ziele zustrebt, sich schlussendlich selbst vom Kreuz des Leidens abzunehmen.
Von Bedeutung ist dabei auch ein weiterer Bestandteil christlicher Mythologie: der Gral. Auch dieser soll den Weg von Chartres gekreuzt haben: Der Legende nach hat Joseph von Arimathaea ihn erst nach Chartres und später nach Glastonbury gebracht.
Weiteres besonderes Gewicht kommt den Tafeln von Chartres zu. Gehaltvoll dargestellt in Pierre Derlons „Die Gärten der Einweihung“ und daran anschließend in den Schriften von George Pennington und Louis Charpentier vertiefend ausgearbeitet, stellen ihre Mysterien einen zentralen und anleitenden Schlüssel des alchemistischen Prozesses dar. Die rechteckige Abendmahlstafel Jesu, die quadratische des Joseph von Arimathaea und die runde, die Uther Pendragon auf Anweisung Merlins für die Artusritter bauen ließ, finden sich bei identischem Flächenmaß im Grundriss der Kathedrale. Besonders die runde Tafel, die das weithin bekannte Labyrinth von Chartres beinhaltet, galt und gilt noch immer als Zentrum der Einweihungsglyphen des gotischen Bauwerks.
Somit dienen alle geometrischen und mathematischen Besonderheiten, wie beispielsweise die Zahlenverhältnisse, einem einzigen Zweck: die Qualitäten der eigenen Göttlichkeit zu erwecken.
Notre Dame in Chartres fasst dabei eine ganze Sammlung von Qualitäten. In Nordfrankreich gibt es eine ganze Reihe gigantischer Kathedralen, die der heiligen Jungfrau geweiht sind. Betrachtet man die Standorte aus der Luft, bilden alle diese Bauten zusammen das Sternbild der Jungfrau, wobei jede Kathedrale für einen Stern und somit für eine Qualität steht. Eine Ausnahmestellung kommt dabei Chartres zu. Chartres ist sozusagen der Knotenpunkt, der alles verbindet und in dem alle Qualitäten zusammen fließen. Diese Eigenschaften wiederum entsprechen richtungweisend den Stationen, die einem auf dem Weg innerer Alchemie begegnen können und die es zu durchdringen gilt.
Abgesehen von der Vielzahl von mathematischen Ausformungen, die den Laien zum Verzweifeln bringen können, gibt Walchensteiner sehr gut lesbar klare und pragmatische meditative Anleitungen zum esoterischen Gehalt der Kathedrale, mit denen jeder Mensch die Qualitäten seines göttlichen Kindes wachrufen kann. Ein echter Einweihungsweg also.