Freitag, 10. September 2010

Zumstein, Carlo, Der schamanische Weg des Träumens, Ullstein Taschenbuch Verlag:
Berlin 2007, Taschenbuch, 352 S.,
ISBN 978-548-74277-9, 9,95 €.


Bereits 2003 erschien dieses Buch in der Festbandausgabe, nun also folgt das erschwingliche Taschenbuch nach. Eine Traumlehre des Schamanismus, wie der Titel vermuten lassen könnte, gibt es nicht. So beruht das Buch, wie der Autor Carlo Zumstein hervorhebt, auf seinen eigenen Erfahrungen mit Träumen und denen seiner Mitstreiter und Klienten.
Was uns zu den vielfältigen Aktivitäten des Autors führt.
Herr Carlo Zumstein ist ein an der Universität Zürich promovierter Psychologe, der nach der Graduierung im Bereich Suchttherapie arbeitete. Neben Weiterbildungen in diversen psychotherapeutischen Verfahren, u.a. Klinischer Hypnose und NLP, befasst er sich seit den 70er Jahren eingehend mit schamanischen Heilweisen. So ist er Fakultätsmitglied der von dem Anthropologen Michael Harner gegründeten Foundation for Shamanic Studies (FSS), Autor einiger Bücher zum Thema Heilung/ Heilrituale und mittlerweile auch Leiter der Eigengründung Foundation for Living Shamanism and Spirituality (FLSS). Dabei erkennt die FLSS die Seminare der FSS an; umgekehrt ist das nicht der Fall: Die FSS lehnt die Zusammenarbeit mit Zumsteins Truppe seit 2004 ab.
Klingt alles vielleicht etwas kompliziert, ist es aber nicht. Beide Gruppen arbeiten nach dem core-schamanischen Paradigma Harners, wobei vielleicht formuliert werden könnte, dass Zumsteins FLSS über die Vermittlung, Pflege und den Ausbau dieser Techniken hinausgreift. So sind einige der erklärten Ziele, tiefer in die Lebensgestaltung hin zu Heilung und Kreativität Einfluss zu nehmen, es wird an und mit einer Theorie des Meta-Schamanismus gearbeitet, dem Träumen kommt eine größere Rolle zu als bei Harner und man bemüht sich um die Entwicklung und Gestaltung zeitgemäßer Mythen. Dabei werden das Träumen als Gefährt der Erleuchtung, neue Wege des Heilens oder aber die Sieben Kreise der Seele generiert und elaboriert. Ein anspruchsvolles Programm also, dass in Seminaren vermittelt und entwickelt wird.
So auch das Buch, dass ausschließlich dem Träumen gewidmet ist. Nun bietet der Buchmarkt ja bereits eine Unzahl an Veröffentlichungen zum Thema; was sollte also dieses Werk Neues beitragen können? Einiges.
Zunächst einmal wird jeder Form der Traumdeutung („Deutungsreflex“) eine klare Abfuhr erteilt; nach Erfahrung des Autors ist die rationale Reproduktion und Deutung am ehesten dazu angetan, das reine Erleben in anderen Dimensionen zu verzerren. Eine eigene Kosmologie des Träumens wird dem Leser offeriert, mit eigenen Gesetzmäßigkeiten. Träumen wird als die ursprüngliche Art des Erlebens und Erfahrens dargestellt: unmittelbar und schöpferisch, wobei Wirklichkeit hervorgebracht wird. Begriffe wie Traumzeit und deren Definition folgen zwangsläufig. Immer geht es auch darum, das Träumen aus der Sicht des Träumens zu beschreiben und nicht im Vergleich zum Wachleben. Träumer und Wachender sind nicht dieselben, so eine hier pointierte These Zumsteins. Obwohl Traumdeuter aller Zeiten viel Arbeit darauf verwandt haben, dem Wachen die Fragmente, die vom Träumen übrig sind, zu deuten und so verfügbar zu machen. Damit geht es diesen eigentlich nicht ums Träumen, wie dem Autor in seinem Buch, sondern um die Überbleibsel in der Erinnerung des Wachen. Was dem Träumer im Gegensatz zum Wachen fehlt, sind Geschichte in der und Geographie von der Traumwelt.
Die den praktischen Teil des Buches ausmachenden Seminare Traumpfade I-III nun zielen genau auf die bereits angedeuteten Leerstellen, Biographie und Geographie des Träumers, ab. Schrittweise lernt der Praktizierende die Stärkung der Traumbewusstheit, entwickelt Bewusstseinskontinuität, nutzt Traumabsicht und -inkubation, erschafft den Wachtraum-Platz und betritt das erträumte Traumlabyrinth. Zudem werden vorbereitende Manöver beschrieben, darunter Techniken, die aufmerksamen Castaneda-Lesern bekannt sein dürften (bspw. der Fege-Atem). Träume können etwa mantramistisch verankert werden und schrittweise wird damit begonnen, den eigenen Traumkörper zu träumen. Im Zuge dieser intensiven Beschäftigungen, die hier lediglich grob skizziert sind, wird man den Träumer als grundlegende Bewusstseinsform erfahren, dem Erleben und Wissen eins ist. Das zentrierte Bewusstsein des Wachseins ist vereint mit dem für alles offenen und mit allem verbundenen Bewusstsein des Träumens. Damit wird Träumen zum urmystischen Akt. Zurück in die Einheit vor dem Fall, wenn man so will.
Illustriert ist das Ganze immer wieder mit Beispielen therapeutischer Traumarbeit, der Arbeit von Traumkreisen oder aber persönlichen Schilderungen Zumsteins, so von Schwellenhütern, Toren, Verbündeten etc.
Obwohl der Autor einen undogmatischen und geradezu elektrisierenden Weg des Träumens vorschlägt, der allein auf den direkten Erfahrungen fußt, kommt der Abgrenzung zu psychologischen Sichtweisen so viel Raum zu, dass sich das Buch teilweise wie ein Kompendium aller Traumtheorien und -praktiken liest. Das hat Zumstein nicht nötig. Sein Ansatz und dessen Umsetzung und Ausarbeitung zu den drei Seminaren, zählen sowohl inhaltlich als auch didaktisch zum Besten, was zum Träumen überhaupt verschriftlicht ist. Das besonders den ersten Teil durchsetzende Abgrenzungs- und Definitionsbestreben fordert viel Geduld vom Leser, macht das Werk unnötig schwerfällig und zu einer zusätzlichen, weil entbehrlichen, intellektuellen Herausforderung. Weniger ist manchmal mehr.