Mittwoch, 8. September 2010
Wessbecher, Harald, Individualität und Freiheit, Integral Verlag: München 2007, Festband, SU, 208 S., ISBN 978-3-7787-9176-9, 16,95 €.
Die hier titelgebenden Begriffe Individualität und Freiheit sind wohl zwei von denen, die in den esoterischen Veröffentlichungen der letzten Jahre am häufigsten verbreitet und propagiert worden sind. Beides sind Schlagworte, die immer wieder mit einer spirituellen Entwicklung oder einer magischen Ausbildung in Verbindung gebracht werden und karottengleich am Ende eines Weges stehen sollen. Fast jede elaborierte Persönlichkeitsschulung verspricht beides; in der Praxis steht das allerdings in einem Missverhältnis zu dem Erreichten. Nur allzu häufig verirren sich die, die Individualität und Freiheit versprechen, gemeinsam mit denen, die beides suchen, in Selbstgefälligkeit und die Scheinerkenntnis des Intellekts. Meist bietet der Inhalt derartiger Bücher wenig mehr als Gemeinplätze, deren Umsetzungspotenzial irgendwo gegen Null zu verorten ist. Wenn überhaupt praktikabel, resultieren aus eventuell angegebenen Übungen allenfalls Befindlichkeitskorrekturen im Sinne einer mentalen Oberflächenpolitur.
Etwas anders verhält es sich nun mit dem Werk von Harald Wessbecher. Wie bereits in der Besprechung zu seinem Buch „Das Dritte Auge öffnen“ vorgestellt, hat der Autor in jahrzehntelanger Seminar- und Beratungsarbeit eine Methode kreiert, die er DES nennt, die Dynamische Entfaltung des Selbst. Im vorliegenden Werk werden die Grundprinzipien dieser Arbeitsweise auf die Bereiche Individualität und Freiheit bezogen.
Wie andere Bücher von Wessbecher auch ist dieses ein Lehrbuch. So beinhaltet es dreizehn Meditationen und elf Übungen, die auf eine stufenweise Befreiung des Individuums ausgerichtet sind.
Voranstehend findet sich die zur DES gehörende obligatorische Modellbeschreibung des menschlichen Bewusstseins. Diese ist kurz und auf die Praxis orientiert gehalten. Demnach besteht für jedes Individuum die Möglichkeit, aus dem See des Un(ter)bewussten zu schöpfen, in dem wiederum erkennbar ist, dass das eigene Wesen frei, unbegrenzt und ewig ist. Das gilt es anzunehmen, da sich hier die Gelegenheit auftut, das eigene Potenzial nicht nur kennen zu lernen, sondern es auch zu nutzen. Der wachbewusste, „normal“ konditionierte Mensch ist bei genauerer Betrachtung nicht viel mehr als ein Reiz-Reaktions-Bündel, das sich weitestgehend aus übernommen Sichtweisen über sich selbst und die Welt zusammensetzt. Darin liegt nun die Chance des Erkennens und Durchbrechens der aufgeprägten Muster, die nicht dem wahren Selbst entsprechen. So operiert Wessbecher unterscheidend mit sogenannten negativen und positiven Energien, je nachdem ob sie den wesenhaften Selbstausdruck hemmen oder fördern. Das klingt plakativ, ist in seiner Einfachheit aber dennoch von praktischem Nutzen. Dabei geht es nicht darum, negative Energien aufzulösen, sondern sie zu erkennen und in die Wirkungslosigkeit zu überführen. Zugehörige Meditationen führen den Praktizierenden zu tieferen Wesensschichten seiner selbst, der Grundpersönlichkeit und damit zu Möglichkeiten, die von sich aus mit Freude und Kraft verbunden sind. Die dem zugrunde liegende Formel ist einfach: „Alles, was uns Energie raubt und keine Freude macht, steht im Widerspruch zu unserem Wesen und verhindert, dass wir es spüren.“ (S. 79)
Um besser auf Tuchfühlung mit der Grundpersönlichkeit zu kommen, stellt Wessbecher als Werkzeug Fragen bereit, die eine tägliche Selbstbeobachtung strukturieren. Zudem erfassen geführte Meditationen den Stand der Zufriedenheit mit den Teilbereichen des eigenen Lebens.
Hat man sich den Ist-Zustand verdeutlicht, geht es schrittweise daran, neue Phantasien, Vorbilder und daraus dann konkrete Visionen und Muster zu generieren, die aus der Intuition (dem See des Unbewussten) gegeben sind und dem bereits erkannten wesenhaften Selbstausdruck entsprechen. Da das Gehirn nicht zwischen Erinnerung und Phantasie zu unterscheiden vermag, werden in der Meditation trockenübungsartig neue Muster und Umstände programmiert, entsprechende Trancetiefe und emotionale Intensität vorausgesetzt.
Auf diese Art und Weise erreicht man eine Neuordnung des Erlebens, welches dann gänzlich mit der Grundpersönlichkeit und deren Ausdruck übereinstimmt. Dass sich dabei nach hermetischem Prinzip auch die Umwelt stark verändert, ist zwangsläufig: Man wird für seine Mitmenschen asozial in einem speziellen Sinn, den Wessbecher erläutert:
In der erreichten Verbindung mit der eigenen inneren Führung gibt es keine Ängste und Zweifel mehr. die aus der persönlichen Geschichte stammen und die Haupthebelwerkzeuge sozialer, politischer, ethisch-moralischer und religiöser Manipulation sind. Aus dieser Unabhängigkeit resultiert eine gewisse Unverbindlichkeit gegenüber Anderen, da die entsprechenden Bezugspunkte nicht mehr automatisch in Kraft sind. Dass solche Menschen als unnahbar, arrogant, schwer einzuordnen, schlecht kalkulierbar und bisweilen sogar als bedrohlich wahrgenommen werden, ist, ausgenommen unter Gleichen, Begleiterscheinung von Individualität und Freiheit. Dennoch ist beides bisher selten zu finden.
„Die meisten Menschen suchen nicht nach Veränderung, Freiheit und einem intensiven Leben, das zu ihnen passt, sondern verstecken sich hinter der Illusion von Sicherheit und Geborgenheit und lassen das Leben lieber aus sicherer Distanz an sich vorbei ziehen.“ (S. 98)
Das Buch von Harald Wessbecher ist dagegen eine sehr gute und praktikable Sammlung von aufeinander aufbauenden, zielgerichteten Übungen, die sich diejenigen leicht zunutze machen können, die sich nicht zu den obengenannten „Die meisten Menschen...“ zählen können oder wollen. Der im Titel formulierte hochstehende Anspruch ist undogmatisch umgesetzt; mit diesem Buch kann man in der Praxis durchaus weiterkommen.
Zudem veröffentlichte Wessbecher eine CD, die zwei zentrale Meditationen des Buches zum Inhalt hat, Grundpersönlichkeit und Unabhängigkeit.
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