Mittwoch, 8. September 2010

Leene, Mia & Henk, Der Atem der Gnosis, Verlag Zeitenwende: Radeberg 2007, Paperback, 186 S., ISBN 978-3-934291-44-7, 16,80 €.


Gnosis bezeichnet eine religiöse Strömung und kann einfach mit Wissen übersetzt werden. Dabei handelt es sich nicht lediglich um intellektuelle Kenntnis, sondern gemeint ist meist ein Wissen, das aus der Erfahrung resultiert.
Dass dieses wiederum sehr schwer in Worten zu fassen ist, von dieser Problematik der Vermittelbarkeit zeugen alle mystischen oder gnostischen Texte. Zu diesen eigentlichen Werken wird dann meist eine Vielzahl exegetischer Schriften veröffentlicht, die das Unmögliche versuchen, nämlich das implizite Numinosum der ursprünglichen Texte zu fassen. Dass eine derartige Sektion durch den Verstand selten einen besseren Zugang bereitzustellen vermag, liegt auf der Hand. Auf diese Art und Weise funktioniert der vorliegende Text nicht. In Der Atem der Gnosis von Mia und Henk Leene wird, dem oben geschilderten Problem Rechnung tragend, gar nicht erst versucht, ausschließlich für den Verstand zu schreiben. Hier schreiben keine Wissenschaftler im herkömmlichen Sinn, sondern Gnostiker. Das Werk ist also für ein ganzheitliches Lesen konzipiert, wenn man so will.
Dabei hat ein Autor, Henk Leene, die gnostischen Lehren schon im frühesten Lebensalter kennen gelernt. Sein Vater, Jan Leene, ist besser bekannt unter dem Pseudonym Jan van Rijckenborgh. Dieser gründete mit seinem Bruder Zwier Willem Leene (dem Onkel unseres Autors Henk) das Lectorium Rosicrucianum. Beide waren zuvor Novizen in Max Heindels Rosenkreuzes-Gemeinschaft gewesen. Als Jan Leene dann 1968 verstarb, folgte ihm Henk Leene als Großmeister des Lectorium nach. Allerdings scheint die Besetzung dieses Amtes etwas unglücklich geendet zu sein; bereits 1969 wurde Henk Leene beschuldigt, agnostische und magische Kräfte zu gebrauchen, woraufhin er das Lectorium verließ und noch im selben Jahr die Gemeinschaft R+C Rosae Crucis gründete, die nun wieder stärker an den Lehren seines Vaters Jan Leene und dessen Lehrer Max Heindel orientiert ist.
Aber zurück zu Buch. Wie bereits angemerkt, richtet sich das Werk nicht ausschließlich an den Verstand, sondern die Autoren vermögen es darüber hinaus, sich mit dem Text an eine innere Instanz zu wenden und diese in Schwingung zu versetzen. Diese Instanz, Seele, Geist oder göttlicher Funke genannt, ist eine der wichtigsten Ingredienzien jeder gnostischen Lehre und Schule. Kultiviert und in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt, steigt sie als Lichtsohn zu Gott auf, befreit und wieder eins mit dem Schöpfer. Das ist die Rückverbindung, die mit dem lateinischen Wort religio umschrieben ist, die den inneren Kern jeder echten Religion ausmacht und die den Autoren wichtigstes Anliegen ist.
Dabei kümmert sich Mia und Henk Leene in ihrer Darstellung nicht um historische Kategorisierungen, sondern können anhand des inneren Gehaltes der einzelnen Lehren aufzeigen, dass derartige Trennungen artifizielle Verstandesleistungen sind. Aus der inneren Instanz betrachtet zeigt sich, dass es so etwas wie ein gnostisches Kontinuum durch die Zeiten und Kulturen gibt, das sich naturgemäß immer im Gegensatz zur jeweils etablierten religiösen Institution und ihren Dogmen befand. Die zentrale Bedeutung der Drei Großen (Glaube, Liebe und Hoffnung) für jeden gnostischen Einweihungsweg wird dabei immer wieder deutlich, genauso wie der Abstand von jeglichem Besitzstreben. Darüber hinaus lassen sich viele weitere Gemeinsamkeiten oder besser Konstanten in Lehre, Praxis, Moralvorstellungen auffinden, denen die Autoren durch die Zeiten und verschiedenen Schulen nachgehen. Auf dem Weg liegen die Katharer, die Lehren des Hermes Trismegistos, des Apollonios von Tyana oder aber die von Jesus und Jakob Böhme, von Pythagoras, den Druiden, den Stoikern und vielen mehr. Alle aufgeführten Lehrer oder Schulen verbreiteten die gnostische Antwort auf das Verhältnis des Inneren Menschen zum Äußeren Menschen, formulierten den Weg zur Heimkehr der Seele und das universale Gesetz der Liebe; Topoi, die sich wie rote Fäden durch die Betrachtung ziehen.
In der luziden Darstellung einzelner gnostischer Lichtträger ist es den Autoren gelungen, den Atem der Gnosis derart in die Zeilen des Buchens einzusenken, dass viele Passagen des Textes zur Meditation einladen.
Wer also die zigste historische Abhandlung zu gnostischen Gruppen und deren Lehren erwartet, wird sicher enttäuscht sein. Wer allerdings auf gnostischen Pfaden wandelt oder den inneren Drang verspürt, dieses zu tun, findet hier wertvolle Seelennahrung.
Der Mensch ist der Weg.