Montag, 4. Januar 2010

Smith, Andrew Phillip, Die verborgenen Worte Jesu, Lüchow Verlag: Stuttgart 2007, Festband, 219 S., ISBN 978-3-363-03122-5, 18,95 €.


Die Person des Begründers der christlichen Religion wirft heute, in den Zeiten einer unbedenklich möglichen säkularen Lebensweise, mehr Fragen denn je auf. Zahlreiche Bücher beschäftigen sich mit der Rolle des Nazareners, der wahlweise als Sohn Gottes, Sozialrevolutionär und aggressiver Gesellschaftskritiker, Religionsgründer, Magier und Exorzist, als Begründer einer geheimen Dynastie oder aber als rein mythologische Gestalt dargestellt ist. Der Katalog der Zuschreibungen könnte mühelos erweitert werden und nicht selten finden sich Kombinationen der obengenannten Rollen.
Das Buch „Die verborgenen Worte Jesu. Jesus in Gnosis, Koran und Neuoffenbarung“ berücksichtigt diese Debatten lediglich am Rande. Andrew Phillip Smith unternimmt den Versuch, die Worte Jesu in der vorliegenden Auswahl sprechen zu lassen, wodurch sich Rückschlüsse auf Person und vor allem Lehre ziehen lassen. Die in den kanonischen und außerkanonischen Schriften geschilderten Lebensumstände des Christus werden dabei gänzlich außer Acht gelassen; Smith hält sich strikt an den programmatischen Titel seines Buches und stellt ausschließlich Logien, also gesprochene Worte, vor.
Dabei erhebt sich, setzt man den Nazarener als historische Persönlichkeit voraus, die nächste Frage: die nach der Authentizität. Nicht selten wurden und werden Jesus Worte in den Mund gelegt, die entweder nicht schriftlich fixiert zu finden sind oder sich aber als Fälschung erweisen. Hier hat die Logienforschung seit Mitte der 80er Jahre große Fortschritte gemacht und es gelang, ein Instrumentarium zu entwickeln, mit dem sich die Kernaussagen Jesu identifizieren lassen. Nach anfolgenden Untersuchungen des christlichen Schriftencorpus der ersten drei Jahrhunderte herkömmlicher Zeitzählung kam das „Jesus-Seminar“, dessen Mitglieder sich der Logienforschung widmen, zu dem Ergebnis, dass gerade einmal 18 Prozent der Worte, die Jesus zugeschrieben werden, auch tatsächlich von ihm stammen.
Unter Berücksichtigung dieser Resultate nun nahm Smith seine exquisite Auswahl vor, die im deutschen Sprachraum und vor allem außerhalb akademischer Bibliotheken einmalig ist.
Die vorgestellten Logien sind ihrer Herkunft nach geordnet. Der Autor beginnt mit den Worten Jesu wie sie in der außerkanonischen christlichen Tradition zu finden sind und benutzt hier vornehmlich Quellen, die bisher wenig Verbreitung gefunden haben, wie das Liber Graduum, eine Sammlung von 30 Predigten aus dem Syrien des 4. Jahrhunderts. Die Kirchenväter Justinus Martyr, Clemens von Alexandrien und Origenes tradierten Jesusworte genauso wie die Pilatus- oder Petrusakten.
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit der jüdischen Überlieferung der Logien, was insofern spannend ist, da die judenchristlichen und damit urchristlichen Gemeinden im Zuge der paulinischen Mission zunehmend an Bedeutung verloren und bereits im 3. Jahrhundert von der religionsgeschichtlichen Bühne verschwunden waren. Überlieferte Texte oder Fragmente wie das Nazaräer- oder das Ebionitenevangelium sind somit seltene jüdische Zeugnisse für die Worte Jesu, die Aufnahme in das Buch gefunden haben.
Ist dieser Teil des Werkes also naturgegeben schmal, fällt der nächste Teil, die Logien der gnostischen Tradition, umso umfangreicher aus. Smith zitiert aus dem Dialog des Erlösers, dem Apokryphon des Johannes und anderen Schriften.
Ähnlich wie mit den Worten jüdischer Überlieferung ist es um die Logien islamischer Herkunft bestellt, zu der es bisher nicht einmal eine Handvoll Sammlungen gibt. Sowohl im Koran als auch besonders in der sufischen Tradition wird Smith fündig.
Als herausragend muss dann noch das letzte Kapitel bezeichnet werden, das dem Thema unbedingt verbunden bleibt, dabei aber Quellen anführt, die entweder mittlerweile als Fälschungen entlarvt oder aber sehr exotischen Ursprungs sind. Smith stellt hier Texte wie das Thaddäusevangelium vor, ein Falsifikat des russischen Gelehrten Jurij Grigoriew oder aber die Jesus-Sutren, die von einem frühen christlichen Missionierungsversuch in China zeugen und ebenso Logien Jesu weitergeben.
Neben den Vorzug einer originellen Quellenauswahl kommen weitere. Da wäre beispielsweise die genaue Einführung zur Bedeutung der Person Jesu in den einzelnen religiösen Traditionen zu erwähnen. Dann kontextualisiert Smith jedes Zitat mit dem es umgebenden textlichen Zusammenhang der Originalschrift und beleuchtet kurz den zeitlichen und geographischen Rahmen derer Entstehung. Soweit es möglich ist komplettiert er diese Angaben noch mit Auskünften zum Autor. Besser und genauer geht es nicht, will man ein breites Publikum erreichen.
Andrew Phillip Smith ist es mit dieser beachtenswerten Arbeit, einer kommentierten Kompilation außerkanonischer Logien, tatsächlich gelungen, die Person und Lehre des christlichen Erlösers anhand seiner Worte mit Konturen zu versehen.