Samstag, 2. Januar 2010

Aquilina, Mike/ Bailey, Christopher, Der Hl. Gral, Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2007, Festband, SU, 222 S.,
ISBN 978-3-579-06432-1, 19,95 €.


Die seit einigen Jahren bestehende Veröffentlichungswut zum Thema Gral scheint so schnell kein Ende finden zu wollen. Da dieses Motiv in den Chela-Rezensionen nun auch schon einige Tradition hat, soll eine der letzten Publikationen in dieser Angelegenheit herausgegriffen und hier besprochen sein.
Das Buch „Der Heilige Gral. Ein Mythos wird entschlüsselt“ (im englischen Original: The Grail Code) von Mike Aquilina und Christopher Bailey ist eines der jüngst herausgekommenen Bücher, die Licht ins verworrene Dunkel der Gralsromantik bringen wollen. Aquilina ist Vizepräsident am St. Paul Center for Biblical Theology in Ohio und Bailey freischaffender Autor, Herausgeber und Übersetzer, dessen intensives Augenmerk der Artus-Thematik gilt.
Gleich vorangestellt soll sein, dass die Autoren keinem wie auch immer gearteten materiellen Becher hinterher jagten. Es finden sich in dem Werk kaum Bezüge zu den Tempelrittern, keine zu außerirdischen Manna-Maschinen und eine heilige Blutslinie wird nur kurz erwähnt, um sie zu disqualifizieren.
Die Geschichte des Grals, so wie die Autoren sie verstehen, ist eine gänzlich allegorische, deren Motive (spirituelle) Sehnsucht, Gnade und Kommunion mit Christus sind, wobei die Irrtümer und Stolperstricke (= Sünden) auf dem Weg nicht unerwähnt bleiben sollen. Dieser Gedanke erscheint nach den Autoren schon früh in der christlichen Geschichte und durchzieht das Ritual der Transsubstantiation; der Kelch des Abendmahls ist nach Paulus der des Heils oder der des Gerichts. Der Gral oder Kelch ist somit Symbol für das zentrale liturgische Mysterium der Messe: die Verheißung. dass die Sehnsucht nach einer Begegnung mit Gott erfüllt wird. Damit wird eigentlich jeder konsekrierte Kelch zum Gral. Auf der Kehrseite der Medaille, gemeint ist der Kelch, den Jesus seinen Vater bat, an ihm vorüber gehen zu lassen, sind die damit verbundenen Opfer in Form von Leiden zu finden, im Falle Jesu bis hin zu Kreuzigung und Tod.
Obwohl sich bereits hier die Grundthese der Autoren ausgesprochen findet, werden natürlich weiter Beispiele aus den Gralsmythen auf ähnliche Weise einer allegorischen Entschlüsselung unterzogen. So auch hier, wenn von Joseph von Arimathäa zu lesen ist, der den Gral nach Britannien schaffte und ihm in Glastonbury (gleichzeitig die letzte Ruhestätte von König Artus) eine kleine Kirche baute. Auch dieser Teil der Geschichte, dessen historischer Belang dankenswerterweise nicht diskutiert wird, figuriert als Bild: Der mittelalterliche Mensch, in dessen Zeit schließlich die Gralsliteratur entstand und erstmalig blühte, sah das christliche Abendmahl im Zentrum der rituellen Praxis des eigenen Glaubens, so dass aus Joseph auf diese Weise das Urbild des christlichen Ritters und Gralshüters wird. Auch König Artus zählt in diesen Typenkreis, wird er doch meist ebenso christlich dargestellt und seine Zeit als Goldenes Zeitalter. Später sollten die Templer am ehesten diesem Typus entsprechen.
Aber vorerst zeichnen die Autoren die europäische Geschichte bis zur Niederschrift der ersten Gralserzählungen in groben Strichen nach, bevor es dann um diese selbst geht. Die höfische Umgebung, in der Chrestien de Troyes schreibt, wird geschildert und die Entstehung seines bekannten Auftragswerks. Dabei ist den Autoren augenfällig, dass es vom damaligen Verständnis ausgehend bei Chrestien besser ein Gral denn der Gral geheißen hätte. Denn auch den Perceval kann man nach oben benanntem Muster lesen: Er stand als junger Mann kurz vor der Erkenntnis, versündigte sich, tat Buße und erhielt, schlussendlich gereift, an Ostern die Kommunion. Und im Zentrum dieser Abendmahlsfeier: der/ ein Gral. Es ist dann demnach auch späteren Autoren zu verdanken, dass der Gral dergestalt vergegenständlicht wurde, dass so einem abweichenden Streben, der Suche nach einem Becher, Tür und Tor geöffnet wurden. In dieser literarischen Tradition schien erst wieder Walter Map klar zu sehen. Seine Gralsinterpretation mit Lancelot im Zentrum ist ein allegorisches Wechselbad, in dem den Unwürdigen Fluch, den Würdigen aber Segen gebracht wird. Da die Gaben des Heiligen Grals weiterhin mit denen des Heiligen Geistes an Pfingsten verglichen werden können, ist wieder eine Allegorie enttarnt.
In diesem Muster also erläutern Aquilina und Bailey die Geschichten der Geschichte vom Gral bis in die Gegenwart hinein. Vordringlich, so die Autoren, ist unsere eigene Würdigkeit bei der Suche. Denn der Gral, eine Darstellung der Sehnsucht nach Kommunion mit Gott, wäre so nah wie die nächste Pfarrkirche.
Damit scheinen die amerikanischen Autoren einen Nerv ihres Heimatkontinents getroffen zu haben: die christliche Laienspiritualität. Nicht ohne Grund ist ihr 2006 in den USA veröffentlichtes Werk innerhalb kürzester Zeit zum Bestseller geworden. Und wer sich in der klerikal geduldeten Form christlicher Mystik und der hier zugehörigen allegorischen Deutung zu Hause fühlt, sollte das Buch unbedingt lesen; wer es hingegen etwas konspirativer und phantastischer mag, kann einen Bogen um dieses Werk machen.
Fortsetzung folgt. Sicher.