Donnerstag, 31. Dezember 2009

Karlsson, Thomas, Kabbalah, Qliphot und die Goetische Magie, Edition Roter Drache: Rudolstadt 2006, Broschur, 208 S.,
ISBN 3-939459-01-1, 20,00 €.


Wenn bisher die Kabbalah thematisiert wurde, waren in endlosen Wiederholungen die zentrale Glyphe, der Baum des Lebens und seine Sephiroth in ihren vielschichtigen Korrespondenzen abgehandelt. Dass es zu diesem als lichtem Positivum der Schöpfung Gedachten ein dunkles Gegenstück gibt, wurde zumeist lediglich erwähnt, wenn überhaupt. Versehen mit mehr oder weniger expliziten Warnungen vor Schäden an Leib und Seele war der Informationsgehalt für den Studierenden dunkler Mysterien zumeist gleich Null. Die angstvolle Verdrängung des schattigen Potentials und dessen Erforschung auf kabbalistischem Gebiet ist dabei natürlich keine Ausnahme; bewältigungsfreies Agieren zieht sich durch fast alle mystisch-magischen Traditionen.
Dieser Missstand, wenn er denn aus Mangel an Material überhaupt als solcher wahrgenommen wurde, ist nun aus der Welt. Mit dem Werk von Karlsson gibt es nun endlich ein Buch, dass sich (fast) ausschließlich mit der Sitra Ahra, der anderen Seite des Lebensbaumes, beschäftigt. Fokussiert auf den dunklen Aspekt kabbalistischer Mystik kann das Werk auch als Einführung in diese Lehre dienen, da beide Seiten als sich ergänzend gesehen werden können und vielfach zur besseren Veranschaulichung der qliphotischen Prinzipien die Sephiroth herangezogen sind. Aus verschiedensten Quellen zusammen getragen und praktisch erprobt setzt der Autor so einen Meilenstein moderner kabbalistischer Forschung. Ausführlich werden die kulturhistorische und die initiatorische Bedeutung der dunklen Seite aufgezeigt. Detailliert und gründlich beschreibt Karlsson die zehn Qliphoth, die Gegenstücke der Sephiroth, und die 22 Pfade, die diese miteinander verbinden. Jede Qlipha wird von Dämonen beherrscht, die in die entsprechenden Erfahrungswelten einführen können. Anders als die Arbeit mit der lichten Seite, die eine Verschmelzung mit dem Göttlichen unter Aufgabe der eigenen Identität anstrebt, geht der Adept der dunklen Seite den Weg der Vertiefung des Dualismus und der Entfernung vom lichten göttlichen Prinzip, um schlussendlich mithilfe drakonischer Wesen über das lichte (und nachgeordnete Göttliche) hinaus zu gelangen.
Angeführt werden qliphotische Anrufungen von Naamah (Lilith), Lilith (Gamaliel), Adramelech (Samael) und Baal (A’arab Zaraq), mithilfe derer man sich mit den dunklen Prinzipien der ertsen Qliphoth rituell vertraut machen kann. Dazu kann ein vorgeschaltetes Öffnen der Tore durchgeführt werden, das ebenfalls ausgearbeitet Bestandteil dieses erstaunlichen Buches ist. Zudem findet sich eine Anleitung zur Bereisung der Pfade (selbst entsprechende Glyphen sind dargestellt) und einiges Beispielhafte an persönlichen Eindrücken von Weggefährten des Autors.
Wann immer der linkshändige Pfad dargestellt wird, darf dabei eine erkenntnistheoretische Diskussion zum Problemkreis «das Böse» nicht fehlen. Die liefert Karlsson seriös und äußerst geistvoll, indem er geschickt philosophische, religionswissenschaftliche und psychologische Gedanken zu verknüpfen weiß, die, wie sollte es hier anders sein, auf praktischer Anschauung fußen. Eine weitere hirnerweichend akademische Debatte muss also nicht befürchtet werden, im Gegenteil.
Als wenn es damit des Guten (oder Bösen) nicht genug wäre, wartet das Werk mit einem weiteren thematischen Teil zur goetischen Magie auf. Auch dieses Gebiet wird durch den Autor kenntnisreich beleuchtet. Neben der Vielzahl von aufgezeigten Zusammenhängen sind sicherlich die zwischen den Dämonen salomonischer Schriften und den Bewohnern der Qliphoth zentral. Auch dieser Teil ist durch praktische Anleitungen zu rituellem Umgang, Namens- und Glyphenverzeichnis sowie Erfahrungsberichte komplettiert.
Der Autor Thomas Karlsson ist Mitbegründer des schwedischen Ordens Dragon Rouge, der seit einiger Zeit auch in Deutschland existiert. Der neugegründeten Edition Roter Drache in Rudolstadt, dem sicherlich nicht nur namentlich nahestehend, kann zu diesem Buch nur gratuliert werden, verbunden mit dem Wunsch, dass in diesem Verlag noch eine Vielzahl derart hochwertiger Werke veröffentlicht werden kann.
Ein bisher einzigartiges Werk also, das in magischen Sammlungen und Bibliotheken nicht fehlen sollte.