Donnerstag, 31. Dezember 2009

Allen, John L., Opus Dei. Mythos und Realität, Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2006, 495 S., geb. mit SU, ISBN 3-579-06936-5; 24,95 €.


Das Werk Gottes, Opus Dei, ist eine der meistdiskutierten Gruppen innerhalb des Spektrums katholischer Glaubenszugehörigkeit. Nun ist das Opus Dei Thema eines umfangreichen Werkes geworden, verfasst vom katholischen Journalisten John L. Allen, dem Vatikan-Korrespondenten des National Catholic Reporter und Vatikan-Experten für CNN.
Die 1928 vom Spanier Josefmaria Escrivá de Balaguer gegründete Gruppe zeichnet sich durch eine wechselvolle Geschichte aus, die nicht frei von Irrungen und entsprechenden Anfeindungen ist.
Zentraler Gedanke des Opus Dei, vom Gründer oder „Vater“ durch eine göttliche Vision empfangen, war und ist die Idee einer Organisation, in der katholische Laien und Priester, Männer und Frauen derselben Berufung nachkommen können. Das tiefe Empfinden der Berufung ist zentral und sicher nicht für Jeden praktisch umsetzbar, schon gar nicht so konsequent, wie es das Opus Dei versucht. Diese Berufung besteht in der Annahme der grundlegenden Ideale ihres Gründers: Jeder ist zur Heiligkeit berufen und verkörpert die Gotteskindschaft. Die Erreichung der Heiligkeit wird nicht hinter Klostermauern gesucht, wie das bei Ordensgemeinschaften der Fall ist, sondern mitten in der Welt. Als Mittel dazu dient in erster Linie die Heiligung der Arbeit. Die katholischen Karma-Yogis verstehen somit auch die geringste alltägliche Verrichtung als Gebet. Daneben gehören dazu mehrfach täglich Gebets- und Einkehrphasen, eine Meditation über einen spirituellen Text, der tägliche Besuch einer Messe, eine gründliche tägliche Gewissenserforschung und die wöchentliche Beichte. Das Opus Dei kann also als eine konservative katholische Organisation gesehen werden, kirchenpolitisch eher rechtslastig und dem Papst bedingungslos ergeben.
Unterteilt in die Kategorien Supernumerarier, Numerarier, Hilfsnumerarier, Assoziierte, Priester (Priestergesellschaft vom Heilige Kreuz) und Mitarbeiter, gehören ungefähr 86.000 Menschen dem Werk an (2003), mit sehr zögerlichem Wachstum. Ausgiebige Schulungen in Glaubensfragen sind für alle Mitglieder obligatorisch und unterliegen der Aufsicht eines „Leiters“. Zu den oben genannten Verpflichtungen für die Mitglieder gehören bei den Numerariern, die ungefähr 20 % der Gesamtzahl ausmachen, das Wohnen in einem Opus Dei-Zentrum, das zweistündige Tragen eines Bußgürtels (cilicium) um den Oberschenkel sowie der Gebrauch der „Disziplin“, einer kleinen Geißel aus Schnüre, die einmal wöchentlich für die Dauer eines Gebets verwendet werden soll. Allen hinterfragt diese Praxis und kann glaubhaft darlegen, dass es sich bei der körperlichen Abtötung um eine Methode handelt, die in verschiedenen katholischen Ordensgemeinschaften nach wie vor als sinnvoll angesehen und praktiziert wird.
Der Vergleich mit Ordensgemeinschaften bietet sich häufig an, obwohl das Opus Dei eine andere rechtliche Form einnimmt, die erst seit dem II. Vatikanischen Konzil existiert. Beim Werk handelt es sich um eine Personalprälatur, was sicherstellt, dass die heterogene Zusammensetzung der Mitglieder und ihr Wirken in der Welt so bestehen kann. Vergleiche, mit den Jesuiten beispielsweise, sind interessant, wenn es zu betrachten gilt, welchen Einfluss das Opus Dei im Vatikan hat. Da wird deutlich, mit Name, Position und Gesamtzahl aufgeführt, dass eine übersteigerte Vorstellung des Wirkens hinter den Kulissen wohl eher dem Bereich der Mythen zuzuordnen ist. Als Escrivá durch Johannes Paul II. 1992 selig und 2002 heilig gesprochen wurde, kam es zu weiteren Mutmaßungen über einen geheimen Einfluss des Opus Dei im Vatikan. All dem wird nachgegangen und zudem kommen immer wieder populäre Kritiker wie die Betreiber der Webseite „Opus Dei Awareness Network“ oder aber Mariá del Carmen Tapia ausführlich zu Wort.

Die reaktionär scheinende Frauenrolle des Opus Dei wird genauso hinterfragt und mit Aussagen von Mitgliedern und Ex-Opus Dei-Anhängern illustriert, wie die mit vielen Spekulationen verbundenen finanziellen Verhältnisse des Werks. Die Gerüchte, das Opus Dei verfüge über große Reichtümer, konnte bei Prüfung der Zahlen für 2002 und 2003 nicht bestätigt werden. Strenge Unterscheidungen, die vom Werk selbst vorgenommen werden, trennen das Vermögen sogenannter korporativer Werke vom eigentlichen Vermögen dieser Organisation. Selbst wenn beides addiert wird, fehlt immer noch jede Spur besonderer monetärer Wohlhabenheit. Zu den korporativen Werken, also Unternehmen, die von Mitgliedern des Opus Dei geleitet werden, zählen auch Universitätsgründungen (bspw. die Universidad de Navarra, Pamplona) sowie verschiedene Schulen und Ausbildungszentren weltweit. Dass diese, entgegen den Befürchtungen, nicht als Nachwuchszucht verstanden werden können, obwohl christliche Schulungsangebote natürlich vorhanden sind, zeigen wiederum die von Allen zusammengetragenen Zahlen von Auszubildenden, Schülern und Studenten einerseits und andererseits von Absolventen, die sich schließlich für eine Mitgliedschaft im Opus Dei entscheiden.
Anderen gängigen Vorwürfen wie vermuteten politischen Einflüssen, aggressiver Mitgliederwerbung, der Gehirnwäsche als Methode in Form von Gedanken- und Verhaltenskontrolle, der nicht immer klaren Rolle zur Amtskirche sowie der Geheimhaltung interner Vorgänge geht Allen ebenso akribisch nach. Dass psychischer Druck auf einzelne Mitglieder oder Interessenten ausgeübt wurde, wird dabei keineswegs unterschlagen.
Das Buch des katholischen Journalisten John L. Allen nimmt somit jedwede Polemik auf, ohne zu polemisieren und beschäftigt sich ausgiebig mit allen Aspekten des Werkes. Dazu reiste der Autor ein Jahr um die Welt und es gelang ihm, mit zahlreichen Opus Dei-Mitgliedern, vom Prälaten bis zu Hilfsnumerariern, sowie mit Ex-Mitgliedern ausgiebige Interviews zu führen. Dabei kommen immer auch unliebsame Punkte zu Sprache, wie die nun wohl aufgegebene Praxis, in Opus Dei-Zentren die Post der darin lebenden Numerariern zu kontrollieren.
Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Allen ist es mit einem Jahr der Recherche gelungen, durch die Mitarbeit von Vertretern aller Fronten in der Debatte um das Werk, ein Buch zu schreiben, dass zukünftig in der öffentlichen Diskussion nicht ausgelassen werden kann.
Wenn die Zukunft des Opus Dei nur mit mehr Transparenz gestaltbar ist, wie der Autor im Ausblick des Buches konstatiert, dann handelt es sich bei diesem spannend geschriebenen Werk um einen Meilenstein auf dem Weg dorthin. Der Untertitel hält in jedem Fall, was er verspricht.