Samstag, 13. Februar 2016

Swami Anand Nisarg, The Magician´s I Ching, Aeon Books: London 2015, Paperback, 272 S., ISBN 978-1-9046586-5-8, 24,95 $.


In der westlichen Geistesgeschichte findet das chinesische I Ging seit nun rund 100 Jahren immer wieder Aufmerksamkeit in theoretischen und praktisch orientierten Abhandlungen. 1882 übersetzte James Legge das Werk erstmalig insgesamt ins Englische, bevor dann der Sinologe Richard Wilhelm 1924 mit seiner Übersetzung ins Deutsche, die dann in den Folgejahren in weitere europäische Sprachen übertragen wurde, dafür sorgte, dass das I Ging einem breiteren Publikum im Abendland bekannt wurde. Die in schriftlichen Beiträgen gefasste Faszination von Geistesgrößen wie Hermann Hesse oder C. G. Jung taten ein Übriges zur Verbreitung des Werkes.
Diese Faszination besteht fort: Mittlerweile gibt es Apps, die die Hexagramme auswerfen und eine reiche Literatur, die allerdings fast immer dem historischen und kulturellen Kontext viel Aufmerksamkeit widmet, für die Praxis aber wenig Innovation bereit hält. Besonders beliebt sind zudem theoretische naturwissenschaftliche Ausgestaltungen der Komplexität der Hexagramme in ihrer Entstehung und in ihrem Bezug zueinander. In der Mehrzahl waren es Sinologen oder sinophile Mathematiker/ Physiker, die sich des Themas annahmen. Das ist an sich nicht tragisch, im Gegenteil: Allein für Leser, die sich ausschließlich für die Anwendung interessierten, wurde so eine Menge (allzu häufig unverständlicher) Ballast mitgeschleppt.
Für dieses Weisheitsbuch, dessen Entstehung traditionell in das dritte vorchristliche Jahrtausen verortet wird und das auf den legendären Fu Xi zurückgehen soll, interessierte sich aber auch der von östlichen Weisheiten angetane britische Okkultist Aleister Crowley, dessen Lieblingsdivinationsmethode das I Ging gewesen sein soll. Dafür spricht, dass er mit dem Liber CCXVI eigene Interpretationstexte zu den Hexagrammen verfasste und Zeitzeugen von miterlebten Befragungen berichten.
Swami Anand Nisarg nun, der nach eigenem Bekunden seit 20 Jahren mit dem I Ging umgeht, hat hier ein Buch veröffentlicht, das sich ganz bewusst von dem für die Praxis beschwerlichen sinologischen und mathematisch-physikalischen Ballast verabschiedet: Um mit dem I Ging praktische Erfahrungen zu machen, benötigt es weder besonderer Kenntnisse der chinesischen Geschichte noch der Sprache noch kosmologischer Theorien. Wie Crowley in seinen Synkretismen das I Ging zu anderen magischen und mystischen Systemen in Bezug setzte, so in diesem Werk auch der Swami, der sich, beispielsweise an der Charakterisierung der Trigramme, deutlich in thelemitischer Tradition stehend zeigt.
Das ziegt sich auch an seiner Erläuterung des  Konfuzianismus, der sich in der klassischen Interpretation der Hexagramme spiegelt und der laut Nisarg nicht ausschließlich auf die Entwicklung einer höheren Moral abzielt, wie gerne gedeutet wird. Im Gegenteil, so der Autor: In den konfuzianischen Interpretationen ist ein Schlüssel zu einem inneren alchemistischen Vorgang zu entdecken, der den Menschen, folgt er diesem Weg, in die nächste Stufe der Evolution zu überführen in der Lage ist. In einem Raum-Zeit-Gefüge zeigt das I Ging also auf, wie weit der Fragende von seinem „Wahren Willen“ entfernt ist (thelemitisch) oder wieweit er in der Vollendung des Großen Werkes vorangeschritten ist (alchemistisch).
Trotzdem werden im vorliegenden Buch natürlich die wichtigsten Stationen in der Entstehung und Tradierungsgeschichte gereicht; große Namen in Verbindung mit dem I Ging, wie Shao Yung, Zhang Shi und Zhu Xi bleiben nicht unerwähnt.
Der Autor führt kurz und fundiert in das Thema ein, um dann relativ zügig zu verschiedenen Methoden, wie die Hexagramme zu ermitteln sind, überzugehen. Eine Besonderheit ist die Vorstellung einer Vorgehensweise mit vier Stäben oder Münzen, die in der Durchführung so einfach wie die Drei-Münzen-Methode sein soll, in der Wahrscheinlichkeit von Wandellinien aber der Komplexität der Ermittlung mithilfe von 50 Schafgarbenstengeln entsprechen soll.
Was ein Buch zum I Ging natürlich braucht, ist eine Interpretation der 64 Hexagramme inklusive der Interpretation der jeweils sechs Einzellinien. Das leistet Nisarg in aller gebotenen Kürze im dritten Kapitel, bevor dann fortgeschrittene Techniken mit dem I Ging angeleitet werden.
Eine davon, die Pflaumenblüten-Numerologie (Mei Hua Yi) nach Shao Yong (1011 – 1077), Philosoph und Mathematiker der Sung-Dynastie, nimmt dabei einen besonderen Stellenwert und ein ganzes Kapitel ein. Anregungen zur Etablierung einer täglichen bzw. regelmäßigen Praxis runden das Buch dann ab.
Etwas Vorsicht ist bei der grafischen Aufbereitung des Materials geboten: Sowohl in der Vorstellung der Trigramme als auch in der Referenztafel zu den 64 Hexagrammen haben sich in der Darstellung der Trigramme Fehler eingeschlichen, die allerdings den durchaus positiven Gesamteindruck des Buches nicht schmälern, schon gar nicht die Leistung des Autors, dem ein sehr lebendiges und praxisnahes Buch zum I Ging gelungen ist. Als Zusatzangebot, anschließend an die Buchveröffenlichung, machte Swami Anand Nisarg die Yi Fa Society bekannt, online erreichbar, in der Anleitung und Austausch zum I Ging und damit verbundenen Mediationen und Qi Gong-Übungen geboten werden.