Wer an der magischen Tradition des deutschen Sprachraums
interessiert ist und die Publikationen zu diesem Thema verfolgt, stößt früher
oder später auf einen magischen Orden, der wie kein zweiter Einfluss auf deren
Entwicklung genommen hat und nimmt: die Fraternitas Saturni. Der Bruderschaft
des Saturn, die auch heute noch besteht, und im Speziellen den frühen Jahre
ihrer Existenz, ist das hier besprochene hervorragende Buch von Volker Lechler
gewidmet, das, obwohl der Preis abschreckend wirken könnte, doch jeden einzelnen
der aufgerufenen Euro wert ist.
Volker Lechler, Antiquar aus Stuttgart, unermüdlicher
Rechercheur und mit einer glücklichen Hand gesegnet, was das Auffinden von
Quellen angeht, beleuchtet mit diesem Buch die Geschichte der Fraternitas
Saturni von ihrer Vorgeschichte (ca. 1924) bis hin zur ihrem Verbot 1935.
Zu den Vorläufern gehören die
Astrologisch-esoterische Arbeitsgemeinschaft und die Esoterische Logenschule
genauso wie die Pansophische Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin, von
denen einige später die Saturnloge gründen sollten.
Für die eigentliche Gründung der Fraternitas Saturni
sind die Ergebnisse der sogenannten Weida-Konferenz (1925) zumindest
mitverantwortlich. Das dortige Aufeinanderprallen von Aleister Crowley und
Heinrich Tränker sowie die zu der Zeit bestehenden und darüber hinaus
anhaltenden Spannungen zwischen Tränker und der Pansophischen Loge der
lichtsuchenden Brüder in Berlin, führten dazu, dass letztere am 1.4.1926
geschlossen wurde. Von den rund vierzig Mitgliedern, die die Pansophia in
Berlin wohl hatte, gründeten fünf Brüder am 8.5.1926, also einen guten Monat
später, die Fraternitas Saturni. Großmeister dieser neu ins Leben gerufenen
Saturnloge war Eugen Grosche (Logenname: Gregor A. Gregorius), Inhaber der Okkulten Buchhandlung Inveha. Diese Stellung
als Großmeister innerhalb der FS behielt er bis zu seinem Tod 1964.
Bereits in der Rekonstruktion der
Entstehungsgeschichte schafft Lechler, wie dann im weiteren Verlauf des Buches
immer wieder, Klarheit zu einigen historischen Fakten, die bisher häufig
fehlerhaft kolportiert wurden: So findet sich auch heute noch an einigen
Stellen der wohl auf Karl Wedler (Meister Giovanni) zurückgehende Gründungszeitpunkt
der Loge mit Ostern 1928 angegeben. Das kann Lechler widerlegen.
Die frühe Entwicklung, also die Phase der Formung,
des Ringens um Struktur, Inhalt und ganz profan auch um den Erhalt der Loge in
der materiellen Welt: all das spiegelt sich in den angeführten Dokumenten. Besonders
die finanzielle Seite eines so ambitionierten Vorhabens, wie das Grosches und
seiner Mitstreiter, eine Loge zu gründen, zu erhalten und zur dominierenden
Größe des deutschen Okkultismus zu machen, musste auch gestemmt werden, wovon
Lechlers Quellen Zeugnis geben. Im Vordergrund sind es der vielfältige
Briefwechsel Grosches, mit dem die Entwicklung illustriert wird, neben seinen Publikationen
als Großmeister, die er an die Brüder und Schwestern seiner Loge richtete. Der Leser erfährt in diesem Zuge auch, wie die
ersten Rituale der Loge entstanden, wie die ersten Publikationen und von einer Vergiftungsaffäre,
die 1928 für Gregorius und die Brüder um ihn zu einer kurzfrsitigen Beslastung
wurde.
Einer dieser Briefwechsel, der vorher nie publiziert
war und dem Lechler in diesem Buch weiten Raum gibt, ist der zwischen Grosche
und Wilhelm Quintscher (auch: Rah Omir Quintscher, Gründer verschiedenster
mystisch-magischer Gruppierungen). Auch in dieser Wiedergabe der Briefe, über
weite Teile der interessanten Passagen im Wortlaut abgedruckt, bewährt sich
die in diesem Band durchgehaltene Vorgehensweise Lechlers, die Quellen selbst
sprechen zu lassen bzw. zu paraphrasieren: Der Leser wird zum Zeugen
vergangener Ereignisse.
Reproduktionen von Orignaldokumenten, die in erster
Linie den Bildbestand des Buches ausmachen, zeigen die spannendsten und
herausragensten Fundstücke: Besondere Höhepunkte sind sicherlich die
Gründungsurkunde der FS, frühe Mitgliedsurkunden, Fotos von Mitgliedern aus den
20er und 30er Jahren, Originalcover von frühen Logenpublikationen (z. Bsp.
Saturn Gnosis, Magische Briefe) und künstlerische Arbeiten von Mitgliedern.
Im Anhang finden sich die Handschrift eines Rituals
reproduziert, dass zur Eröffnung und Erleuchtung der Loge Fraternitas Saturni
dienen sollte, ein Mitgliederliste von 1927, ein Aufnahmeritual, frühe
Weisungen an die Stuhlmeister der Oriente und vieles mehr.
Der Band kommt großformatig daher, ist in dunkelgrünes Leinen
gebunden, mit einer Einprägung (einem frühes Siegel des Orients Berlin der
Fraternitas Saturni), einem Schutzumschlag und zwei Lesebändchen versehen und setzt
für die Erforschung der Frühgeschichte der Fraternitas Saturni einen Standard,
an dem sich alles Nachfolgende, akademisch oder nicht, wird messen lassen
müssen. So einfach ist das. Und so gut.