Freitag, 22. Januar 2016

Müller-Ebeling, Claudia, Ahnen, Geister und Schamanen. Universale Zeichen, Klänge und Muster der unsichtbaren Welt, AT Verlag: Aarau-München 2010, Festband, 128 S., ISBN 978-3038004943, 23,90 €.


Warum sind die großen Anlagen von Schlossgärten und Tempelanlagen mit schnurgeraden Wegen versehen? Warum sind diese Wege häufig unterbrochen mit Mauern oder Wasserbecken? Warum heiß es, nehmen Geister nur gerade Wege? Und inwiefern helfen Mäandermuster, die Geister zu verwirren und Unheil abzuhalten? Claudia Müller-Ebeling, Kunsthistorikerin und Ethnologin beschäftigt sich seit Jahren mit verschiedenen Themen, die mit dem Schamanismus in Verbindung stehen.
An Ethnobotanik interessierte Leser sind sicherlich schon auf ihre Arbeiten gekommen; besonders die Zusammenarbeit mit Dr. Christian Rätsch zu Ayahuasca ist eines der hervorragenden gemeinsam verfassten Werke. Der Schamanismus in Nepal ist ebenfalls seit vielen Jahren einer ihrer Forschungsgegenstände, zu dem sich Lohnendes in Buchform findet. Daneben erforscht sie den Schamanismus im Amazonasgebiet, in Korea und wie im vorliegenden Band, die Prinzipien visionärer Kunst.
All die vorgenannten Erfahrungen spiegeln sich nun in diesem Buch, in dem die Autorin von der magischen Wirksamkeit von Mustern erzählt, darüber, wie diese Muster die Welten von Geistern und Menschen voneinander getrennt halten. Verfolgt wird dieses Phänomen von den steinzeitlichen Felszeichnungen über die Anordnungen von Wegen im feudalistischen Gartenbau bis hin zum heutigen traditionellen Gebrauch in asiatischen Ethnien.
Einführend sind es Betrachtungen zur visionären Kunst, die den Leser gut unterhalten und informieren. Was ist der Traum? Was ist die Vision? Was im Vergleich zu beiden Vorgenannten ist eine Halluzination? Nach Herstellung einer entsprechenden begrifflichen Schärfe finden Visionäre des abendländischen Mittelalters und der frühen Neuzeit ebenso Berücksichtigung wie Huichol-Schamanen, verbunden mit der Frage, welchen Wert verschiedene Methoden der Schau für das menschlichen Leben haben und haben können.
Im weiteren Verlauf des Werks entwickelt die Autorin eine Erzählung der magischen Wirksamkeit von Mustern und kombiniert das Ganze mit einer Einführung in die schamanische Weltsicht: Dabei kommen die drei Welten zur Sprache, das Geist(er)-Modell, der Ahnenkult und vieles mehr. Und nicht nur in schmananischen Kulturen findet sich ein ausgeprägter Geisterglaube: antike abendländische oder mittelalterliche Vorstellungen zu Geistern gibt es zuhauf und mit diesen, so Claudia Müller-Ebeling, immer auch schützende Mittel um sich gegen den unerwünschten Einfluss des Jenseitigen abzuschirmen. Wo finden sich die diesen Wunsch erfüllenden Muster, welche Aussagekraft haben sie oder welche Wirkmacht wird ihnen im Hinblick auf den Erhalt einer von Geistern weitestgehend ungestörten Welt zugesprochen: An diesen und mehr Fragen arbeitet sich die Autorin systematisch ab und erzählt ihre Geschichten wirklich gut.
Neben den schamanischen Kulturen, denen die Autorin in besonderer Weise verbunden ist, wertet sie die griechischen Mäanderbänder aus, indische Yantras, den Bau europäischer Schlossanlagen, das Taj Mahal… Die Liste würde sich weit fortführen lassen.
Zusätzlich zu universalen Mustern dienen und dienten, mit kulturellen Unterschieden, auch andere Hilfsmittel der Geisterabwehr, die die Autorin anführt: zu nennen wären da Mudras (rituelle Handgesten) oder aber Wortzauber, auch in Form von Mantren (gesprochene magisch wirkende Formeln).
Die Visionen und Phantasien zu jenseitigen Welten, so konstatiert die Autorin, ist in unserer Kultur längst schon kein maßgeblicher oder gar zu berücksichtigender Faktor in der Lebensbewältigung; die Beschäftigung mit diesen Themen hat sich dieser Tage lediglich in der fantastischen Kunst Kredit verschafft, auf die sie am Ende des Buches ausführlich eingeht. Dass mit dem Gedanken einer wie auch immer geartet beseelten Natur auch die Verantwortung dieser gegenüber größer wird: Den Verlust dieses Gedankengangs und der daraus resultierenden Konsequenz erleben wir tagtäglich. Wahrscheinlich wären ein paar Geister nicht verkehrt…
Und die Einladung, achtsamer dem Visonären und Jenseitigen gegenüber zu sein, in Form eines unterhaltsam und informativ geschriebenen und durchgehend ansprechend bebilderten Buches von Claudia Müller-Ebeling, ist es damit natürlich auch nicht.