Warum sind die großen Anlagen von Schlossgärten und
Tempelanlagen mit schnurgeraden Wegen versehen? Warum sind diese Wege häufig unterbrochen
mit Mauern oder Wasserbecken? Warum heiß es, nehmen Geister nur gerade Wege?
Und inwiefern helfen Mäandermuster, die Geister zu verwirren und Unheil
abzuhalten? Claudia Müller-Ebeling, Kunsthistorikerin und
Ethnologin beschäftigt sich seit Jahren mit verschiedenen Themen, die mit dem
Schamanismus in Verbindung stehen.
An Ethnobotanik interessierte Leser sind sicherlich
schon auf ihre Arbeiten gekommen; besonders die Zusammenarbeit mit Dr.
Christian Rätsch zu Ayahuasca ist eines der hervorragenden gemeinsam verfassten
Werke. Der Schamanismus in Nepal ist ebenfalls seit vielen Jahren einer ihrer
Forschungsgegenstände, zu dem sich Lohnendes in Buchform findet. Daneben
erforscht sie den Schamanismus im Amazonasgebiet, in Korea und wie im
vorliegenden Band, die Prinzipien visionärer Kunst.
All die vorgenannten Erfahrungen spiegeln sich nun
in diesem Buch, in dem die Autorin von der magischen Wirksamkeit von Mustern
erzählt, darüber, wie diese Muster die Welten von Geistern und Menschen voneinander
getrennt halten. Verfolgt wird dieses Phänomen von den steinzeitlichen
Felszeichnungen über die Anordnungen von Wegen im feudalistischen Gartenbau bis
hin zum heutigen traditionellen Gebrauch in asiatischen Ethnien.
Einführend sind es Betrachtungen zur visionären
Kunst, die den Leser gut unterhalten und informieren. Was ist der Traum? Was
ist die Vision? Was im Vergleich zu beiden Vorgenannten ist eine Halluzination?
Nach Herstellung einer entsprechenden begrifflichen Schärfe finden Visionäre
des abendländischen Mittelalters und der frühen Neuzeit ebenso Berücksichtigung
wie Huichol-Schamanen, verbunden mit der Frage, welchen Wert verschiedene
Methoden der Schau für das menschlichen Leben haben und haben können.
Im weiteren Verlauf des Werks entwickelt die Autorin
eine Erzählung der magischen Wirksamkeit von Mustern und kombiniert das Ganze
mit einer Einführung in die schamanische Weltsicht: Dabei kommen die drei
Welten zur Sprache, das Geist(er)-Modell, der Ahnenkult und vieles mehr. Und
nicht nur in schmananischen Kulturen findet sich ein ausgeprägter
Geisterglaube: antike abendländische oder mittelalterliche Vorstellungen zu
Geistern gibt es zuhauf und mit diesen, so Claudia Müller-Ebeling, immer auch
schützende Mittel um sich gegen den unerwünschten Einfluss des Jenseitigen
abzuschirmen. Wo finden sich die diesen Wunsch erfüllenden Muster, welche
Aussagekraft haben sie oder welche Wirkmacht wird ihnen im Hinblick auf den
Erhalt einer von Geistern weitestgehend ungestörten Welt zugesprochen: An
diesen und mehr Fragen arbeitet sich die Autorin systematisch ab und erzählt
ihre Geschichten wirklich gut.
Neben den schamanischen Kulturen, denen die Autorin
in besonderer Weise verbunden ist, wertet sie die griechischen Mäanderbänder
aus, indische Yantras, den Bau europäischer Schlossanlagen, das Taj Mahal… Die
Liste würde sich weit fortführen lassen.
Zusätzlich zu universalen Mustern dienen und
dienten, mit kulturellen Unterschieden, auch andere Hilfsmittel der
Geisterabwehr, die die Autorin anführt: zu nennen wären da Mudras (rituelle
Handgesten) oder aber Wortzauber, auch in Form von Mantren (gesprochene magisch
wirkende Formeln).
Die Visionen und Phantasien zu jenseitigen Welten,
so konstatiert die Autorin, ist in unserer Kultur längst schon kein
maßgeblicher oder gar zu berücksichtigender Faktor in der Lebensbewältigung;
die Beschäftigung mit diesen Themen hat sich dieser Tage lediglich in der
fantastischen Kunst Kredit verschafft, auf die sie am Ende des Buches
ausführlich eingeht. Dass mit dem Gedanken einer wie auch immer geartet
beseelten Natur auch die Verantwortung dieser gegenüber größer wird: Den
Verlust dieses Gedankengangs und der daraus resultierenden Konsequenz erleben
wir tagtäglich. Wahrscheinlich wären ein paar Geister nicht verkehrt…
Und die Einladung, achtsamer dem Visonären und Jenseitigen
gegenüber zu sein, in Form eines unterhaltsam und informativ geschriebenen und
durchgehend ansprechend bebilderten Buches von Claudia Müller-Ebeling, ist es
damit natürlich auch nicht.