Eine aus dem derzeit eher seichten Angebot magischer
Literatur in deutscher Sprache herausragende Ausnahme ist das 2015 erschienene
Buch des bekannten Autors Frater V:.D:. (alias Ralph Tegtmeier). Aus einer Vielzahl von Büchern zu magischen
Themen, die aus seiner Feder stammen, ist sicherlich die zweibändige Schule der Hohen Magie am besten in
Erinnerung, die in chaosmagischer Weise bunt durch den Garten magischer
Techniken und Traditionen führt.
Prägend
für den deutschen Sektor der Chaosmagie, Begründer der Eismagie, Erforscher der
Pragmatischen Magie und in Vergangenheit und Gegenwart in verschiedene magische
Ordensunternehmungen involviert, ist der in Ägypten geborene Autor eine feste
Größe der okkulten Szene, auch über die deutsche Sprachgrenze hinaus. Neben dem
Verfassen von Büchern war er Inhaber eines okkulten Buchladens in Bonn und als Verleger
magischer Werke tätig.
Der
nun vorliegende Band, Der Magische
Schutzschild, befasst sich, dem Titel entsprechend, mit dem Erhalt
körperlicher, geistiger und seelischer Integrität. Das wiederum setzt der Autor
nun auf eine ganz ungewöhnliche Weise und in einem sehr eigenen Duktus um.
Nach
einer Einführung in das in unseren Breiten gängige Modell Körper-Geist-Seele
finden sich, durchgehend in dieser Dreiteilung gehalten, Anregungen als
theoretische und Anordnungen als praktische Bestandteile des Buches. Letztere
hat der Leser bei tätiger Herangehensweise genau einmal durchzuführen: In
Abgrenzung zu Übungen sind diese Anordnungen nicht auf Wiederholung angelegt. Sie
beötigen in der Ausführung ein unterschiedliches Maß an Zeit, in wechselnden
Vorgaben sind es häufig mehrere Stunden. Zu jeder Anordnung gehören dann
Auswertungen, die schriftlich vorzunehmen sind. Dieses Vorgehen dient in erster
Linie dazu, vielfach unbewusste Prozesse, die unsere Interaktion bestimmen, in Zugriff
zu bekommen, wie es beim Autor heißt.
Ohne
das weiter auszubauen, was an dieser Stelle auch schlecht möglich ist, sind die
Anliegen dieses Vorgehens die Erfahrung der Grenzen motorischer
Selbstorganisation, die Hinterfragung von Ausdrucks- und Bewegungsroutinen und
die Optimierung der eigenen Aussteuerung, um dadurch Verschleiß zu reduzieren,
was wiederum einerseits die körperliche Widerstandskraft erhöht, andererseits
einen Beitrag zur Festigung der persönlichen Integrität auch in seeleischen und
geistigen Bereichen leisten soll.
Bei
der Bearbeitung der Vorgaben soll der Praktizierende ein fortgesetztes Bemühen
an den Tag zu legen, ein ungebrochenes Bemühen um Annäherung, wie der Autor schreibt;
daneben gilt es ganz wertfrei zu betrachten, dass es nicht um ein Ziel, sondern
um das Scheitern geht. Lässt sich der Praktiker davon nicht beeindrucken, kann
sich Zugriff auf zielentlassenes Tun (erinnert sei an das Wu Wei der Daoisten) einstellen
und damit ein Sichentziehen aus der Manipulation bzw. Bedrängung durch Andere.
Schon in den Inneren Stilen der asiatischen Kampfkünste, auf die Frater V:.D:. immer wieder vergleichend
zurückkommt, ist ja der wahre Meister derjenige, der es gar nicht erst zu einem
Kampf kommen lässt. Im Duktus des Autors heißt das dann: „In letzte Konsequenz
bedeutet dies, den anderen in Führung zu nehmen und zu verhindern, dass er auch
nur in Versuchung kommt, dir seine Dominaz aufzwingen zu wollen.“ (S. 176f.)
Neben
dieser Praxis, Anordnungen oder Begehungen zur eigenen physischen, psychischen
und geistigen Grenze durchzuführen, den individuellen Zugriff herzustellen und
die Reichweite auszudehnen, finden sich auch klassische magische
Herangehensweisen, die zum Thema Schutz aufgegriffen sind: Die Sigillenmagie von
Austin Osman Spare ist vorgestellt, das weit verbreitete Kleine Bannende
Pentagrammritual, die Arbeit mit schützenden Genien über Körperanker und eine Thanatos-Mediation,
die an den Santa-Muerte-Kult Mittelamerikas angelehnt ist. Zu letzterer Arbeit wird
ein spezielles und durchaus beachtenswertes Meditationsobjekt empfohlen, dass
der Berliner Künstler und Okkultist Hagen von Tulien entworfen hat.
Das Buch selbst ist, wie man es
vom Autor kennt, sehr gut lesbar und formulierungsverliebt geschrieben. Wer
sich für neue und pragmatische Ansätze in der Magie, sei es praktisch, sei es
theoretisch, interessiert, ist mit diesem Titel ausgezeichnet bedient.