Dienstag, 29. Dezember 2015

Brankaer, Johanna, Die Gnosis. Texte und Kommentare, Marix Verlag: Wiesbaden 2010, Festband, SU, 256 S., ISBN 978-3-86539-954-0, 5,00 €.


Zum Thema Gnosis ist viel in den letzten Jahren geschrieben worden, in unterschiedlichsten Zusammenhängen. Als antiken Systementwurf der Erkenntnis, die Fragen des eigenen Seins und die nach der Existenz der wahren Gottheit zu beantworten suchend, behandelt Johanna Brankaer die Gnosis, im klassischen Sinne also. Spätestens seit Nag Hammadi ist die Beschäftigung mit der Gnosis immer intensiver geworden und auch den Laien der Wissenschaft ist es mittlerweile leicht möglich, sich die ungefähr 60 existierenden gnostischen Originaltexte in Übersetzung zur Verfügung zu bringen. Nie war das Bedürfnis nach echter Erkenntnis individuell größer und vielen Erkenntnissuchern begegnet dabei die antike Gnosis.
Da mit Gnosis keine klar definierte Religion gemeint ist, sondern ein vielfältiges und schwer fassbares Phänomen, das sich häufig kryptisch in den auf uns gekommenen Quellen äußert, bietet sich ein Einführung an, die dem Zugriff auf die Quelltexte Struktur gibt. Eine solche, durchaus brauchbar und empfehlenswert, hat Johanna Brankaer geschrieben.
Die Autorin studierte neben Klassischer Philologie, Philosophie und  Byzantinistik auch Theologie und Orientalismus. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf den Themen der Gnosis: So veröffentlichte sie 2007 mit H.-G. Bethge den Codex Tchacos, einen koptischen Papyros aus dem Mittelägypten des beginnenden 4. Jahrhunderts, das neben drei anderen Schriften auch eine Version des Judasevangeliums enthält.
Der vorliegende Band behandelt die Gnosis, wie sie sich in den Schriften des 2. und 3. Jahrhunderts gespiegelt findet. Spätere Schulen, wie den Manichäismus, den Mandäismus oder die Katharer bleiben außerhalb des Blickfeldes.
Einführend wird die Forschungsgeschichte in mehreren Kapiteln ausführlich beleuchtet. Grob kann zwischen einer älteren Forschung, die sich auf die Aussagen der Häresiologen stützt, und einer Forschung nach Auswertung der Funde von Nag Hammadi unterschieden werden.
Vieles, was in der älteren Forschung angenommen wurde oder aufgrund fehlender Dokumente eine Leerstelle war, konnte seit dem Auffinden und der Auswertung der für uns neuen Textfunde revidiert werden. So bezieht sich Brankaer in ihren Überlegungen vorrangig auf die Forschungsergebnisse seit dem Beginn der 90er Jahre und kontrastiert diese äußerst lesenswert mit der älteren Literatur.
Die großen gnostischen Lehrer der Antike werden mit ihren Lehrmeinungen vorgestellt: Der Leser wird in gebotener Ausführlichkeit über Simon Magus, Menander, Basilides, Saturninus und Valentin informiert und erfährt von den Unterschieden zwischen Sethianischer und Klassischer Gnosis. Das Verhältnis der antiken Gnosis zur entstehenden katholischen Kirche wird beleuchtet und Brankaer geht der Frage nach, ob es denn eine gnostische Religion gegeben hätte, eine Institution oder verbindliche Riten. Trotz theologischer und ritueller Ähnlichkeiten verschiedener (nicht aller) gnostischer Schulen, für letztere bspw. in der Taufe oder im Ritus des Brautgemachs, findet sich in der Gesamtschau keine einheitliche Dogmatik, keine Lebensregel, keine Ämter und keine autoritativen Schriften.
Neben dem ausgewogenen Text, der die aktuellen Überlegungen der Geschichts- und Religionswissenschaften zum Thema Gnosis referiert, besteht dann der zweite Teil des Buches aus einer Anzahl der deutschen Übersetzungen verschiedener Nag Hammadi-Texte. Diese sind teilweise in ihrer vollen erhaltenen Länge abgedruckt (so „Der Brief an Rheginus“, „Das Evangelium nach Maria“, „Die dreigestaltige Protennoia“) oder aber in Auswahl (so „Das Apokryphon des Johannes“, „Die Erzählung über die Seele“, „Die drei Stelen des Seth“).
Ein Glossar gnostischer Begriffe und ein Literaturverzeichnis runden den Band ab. Obwohl die Autorin nichts substanziell Neues zur wissenschaftlichen Diskussion um die religionsgeschichtliche Strömung Gnosis beiträgt, ist es ihr gelungen, eine solide und ausreichend umfangreiche Einführung in dieses komplexe Thema zu schreiben. Mit diesem guten Überblick gewappnet sollte es dem Leser nicht schwer fallen, sich in der gnostischen Ideenwelt zu bewegen, so verschlüsselt sie häufig auf den ersten Blick auch erscheint.