Mittwoch, 29. April 2015

Chesnut, R. Andrew, Devoted to Death. Santa Muerte – The Skeleton Saint, Oxford University Press: New York 2011, Paperback, 222 S., ISBN 978-0-19-976465-5, 24,95 $.


Eigentlich wollte Andrew Chesnut, zur Zeit der Abfassung dieses Buches Professor für Katholische Religion und Religionswissenschaft an der Virginia Commonwealth University, etwas zur Jungfrau von Guadalupe schreiben, die neben San Juda die am meisten verehrte Heiligengestalt Mexikos ist. Unterwegs in Zentralamerika erlahmte sein Interesse und ein neues Forschungsobjekt drängte sich ihm auf: Santa (oder Santisima) Muerte. Diesem Umstand verdanken wir die erste Untersuchung der Heiligen Mutter Tod und ihrer Verehrung von einem englischsprachigen Wissenschaftler.
Nachdem Enriqueta Romero 2001 eine lebensgroße Statue von Santa Muerte neben ihrem Haus in Mexiko City aufstellte, wöchentliche offene Rosenkranzgebete organisierte und wenige später David Romo ein paar Kilometer weiter die erste ihr gewidmete Kirche eröffnete und sich selbst zum Erzbischof erklärte, sind die Santa Muertistas die am schnellsten wachsende Kultgemeinde weltweit. Von Mexiko ausgehend verbreitet sich der Kult rasant in Mittelamerika und in Nordamerika, trotz der deutlichen Ablehnung, die er seitens der Katholiken und Protestanten erfährt. Im Jahr 2011 wurde die Anhängerschaft bereits auf 5 Millionen Menschen in den USA und Mexiko vermutet, rasant wachsend. Diese Entwicklung, die Verehrung von Santa Muerte, von der okkulten Praxis zum öffentlichen Kult, zeichnet Chesnut nach, beleuchtet ihre Aspekte in der religiösen Vorstellung und schildert die Verehrungspraxis.
Ursprünglich lässt sich die weibliche Personifikation des Todes ins mittelalterliche Spanien zurück verfolgen, dann finden sich für Mexiko punktuelle Erwähnungen durch die Jahrhunderte bis hin zum großen Boom Anfang dieses Jahrhunderts.
Besonders wegen ihres schnellen Eingreifens, ihrer Wundertätigkeit beliebt, hat sie die beliebtesten Heiligen Mexikos von ihren ersten Plätzen verdrängt: Santa Muerte rangiert in der Volksreligion mittlerweile deutlich vor der Jungfrau von Guadalupe und San Juda. Lange lebte der Kult im Untergrund und wurde lediglich ins Licht der Öffentlichkeit gezogen, wenn Razzien gegen Drogenhändler vorgenommen wurden und dabei sichtbar wurde, dass viele von denen in ihrer privaten Umgebung Altäre für Santisima Muerte unterhielten. Das führt direkt zu der sozialen Gruppe, in der die Verehrung der Heiligen Mutter Tod tief verwurzelt ist: Es ist die Welt der Drogenhändler, der Kriminellen, der Prostituierten und sonstig Randständigen der mexikanischen Gesellschaft, als deren Schutzpatronin Santa Muerte angesehen werden kann. So ist einer der wichtigsten Verbreitungswege des Kultes, die Chesnut ausgiebig nachzeichnet, der über die Strafanstalten in Mexiko und in den USA, wo Santa Muerte bspw. dafür beliebt ist, Haftzeiten verkürzen zu können.
Neben dieser Einflussnahme vom Jenseits aus gibt es eine Vielzahl weiterer Bereiche, in denen Santisima als wirkmächtig angerufen wird und die je nach Gebiet mit unterschiedlichen Farben der Robe der Heiligen und entsprechenden Votivkerzen ansprechbar sind: Die rote Ausstattung ist die erste Wahl für Liebesangelegenheiten, die goldene für Fragen von Wohlstand und Reichtum, die schwarze für und gegen Schaden, die lilafarbene für Heilungen, die grüne für Erfolg in gerichtlichen Angelegenheiten usw. Entsprechend den Farben und den damit verbundenen Wirkbereichen hat Chesnut die Kapitel aufgebaut, beginnend mit der blauen Kerze und endend mit der omnipotenten siebenfarbigen.
Der katholischen Kirche im Lande blieb nichts anderes, als zu reagieren: Nachdem der Kult anfänglich als rechtmäßig angesehen wurde, verdammte ihn der Erzbischof von Mexico City als satanisch, wobei es geblieben ist. Die dem Katholizismus besonders nahe stehende Regierung hat in ihrem Krieg gegen die Drogenkartelle längst Santa Muerte als religiösen Hauptfeind ausgemacht und stellt sie medial ausschließlich im Bereich ihrer schwarzen Wirksamkeit, dem Schadenszauber, dar. Dass dann Schreine, die ihr gewidmet sind, in der Grenzregion Mexiko-USA mit Bulldozern planiert werden, ist eine traurige Realität, die die Stimmung zwischen Staat und Randständigen, zwischen offizieller Kirche und Santa Muerte-Kult gut illustriert.
Für seine anregende Einführung in den Santa Muerte-Kult benutzte Andrew Chesnut hauptsächlich seine persönlichen Kontakte in Mexiko, interviewte die Wortführer dieser Bewegung, befragte Praktizierende nach individuellen Glaubensmotiven, Devotionalienhändler nach farblichen Vorlieben der Kundschaft und Absatzzahlen und weidete ausgiebig Internetquellen aus.
Das Werk kann sicherlich nicht als streng wissenschaftlich bezeichnet werden, ist aber eine gute Einführung in das Phänomen des Santa Muerte-Kultes, von dem sicherlich noch einiges zu hören sein wird.