Eigentlich wollte Andrew Chesnut, zur
Zeit der Abfassung dieses Buches Professor für Katholische Religion und
Religionswissenschaft an der Virginia Commonwealth University, etwas zur
Jungfrau von Guadalupe schreiben, die neben San Juda die am meisten verehrte
Heiligengestalt Mexikos ist. Unterwegs in Zentralamerika erlahmte sein
Interesse und ein neues Forschungsobjekt drängte sich ihm auf: Santa (oder
Santisima) Muerte. Diesem Umstand verdanken wir die erste Untersuchung der
Heiligen Mutter Tod und ihrer Verehrung von einem englischsprachigen Wissenschaftler.
Nachdem Enriqueta Romero 2001 eine
lebensgroße Statue von Santa Muerte neben ihrem Haus in Mexiko City aufstellte,
wöchentliche offene Rosenkranzgebete organisierte und wenige später David Romo
ein paar Kilometer weiter die erste ihr gewidmete Kirche eröffnete und sich
selbst zum Erzbischof erklärte, sind die Santa Muertistas die am schnellsten
wachsende Kultgemeinde weltweit. Von Mexiko ausgehend verbreitet sich der Kult
rasant in Mittelamerika und in Nordamerika, trotz der deutlichen Ablehnung, die
er seitens der Katholiken und Protestanten erfährt. Im Jahr 2011 wurde die
Anhängerschaft bereits auf 5 Millionen Menschen in den USA und Mexiko vermutet,
rasant wachsend. Diese Entwicklung, die Verehrung von Santa Muerte, von der
okkulten Praxis zum öffentlichen Kult, zeichnet Chesnut nach, beleuchtet ihre
Aspekte in der religiösen Vorstellung und schildert die Verehrungspraxis.
Ursprünglich lässt sich die weibliche
Personifikation des Todes ins mittelalterliche Spanien zurück verfolgen, dann finden
sich für Mexiko punktuelle Erwähnungen durch die Jahrhunderte bis hin zum
großen Boom Anfang dieses Jahrhunderts.
Besonders wegen ihres schnellen
Eingreifens, ihrer Wundertätigkeit beliebt, hat sie die beliebtesten Heiligen
Mexikos von ihren ersten Plätzen verdrängt: Santa Muerte rangiert in der Volksreligion
mittlerweile deutlich vor der Jungfrau von Guadalupe und San Juda. Lange lebte
der Kult im Untergrund und wurde lediglich ins Licht der Öffentlichkeit
gezogen, wenn Razzien gegen Drogenhändler vorgenommen wurden und dabei sichtbar
wurde, dass viele von denen in ihrer privaten Umgebung Altäre für Santisima
Muerte unterhielten. Das führt direkt zu der sozialen Gruppe, in der die Verehrung
der Heiligen Mutter Tod tief verwurzelt ist: Es ist die Welt der Drogenhändler,
der Kriminellen, der Prostituierten und sonstig Randständigen der mexikanischen
Gesellschaft, als deren Schutzpatronin Santa Muerte angesehen werden kann. So ist
einer der wichtigsten Verbreitungswege des Kultes, die Chesnut ausgiebig
nachzeichnet, der über die Strafanstalten in Mexiko und in den USA, wo Santa
Muerte bspw. dafür beliebt ist, Haftzeiten verkürzen zu können.
Neben dieser Einflussnahme vom Jenseits
aus gibt es eine Vielzahl weiterer Bereiche, in denen Santisima als wirkmächtig
angerufen wird und die je nach Gebiet mit unterschiedlichen Farben der Robe der
Heiligen und entsprechenden Votivkerzen ansprechbar sind: Die rote Ausstattung
ist die erste Wahl für Liebesangelegenheiten, die goldene für Fragen von Wohlstand
und Reichtum, die schwarze für und gegen Schaden, die lilafarbene für
Heilungen, die grüne für Erfolg in gerichtlichen Angelegenheiten usw. Entsprechend
den Farben und den damit verbundenen Wirkbereichen hat Chesnut die Kapitel aufgebaut,
beginnend mit der blauen Kerze und endend mit der omnipotenten siebenfarbigen.
Der katholischen Kirche im Lande blieb
nichts anderes, als zu reagieren: Nachdem der Kult anfänglich als rechtmäßig
angesehen wurde, verdammte ihn der Erzbischof von Mexico City als satanisch,
wobei es geblieben ist. Die dem Katholizismus besonders nahe stehende Regierung
hat in ihrem Krieg gegen die Drogenkartelle längst Santa Muerte als religiösen
Hauptfeind ausgemacht und stellt sie medial ausschließlich im Bereich ihrer
schwarzen Wirksamkeit, dem Schadenszauber, dar. Dass dann Schreine, die ihr
gewidmet sind, in der Grenzregion Mexiko-USA mit Bulldozern planiert werden,
ist eine traurige Realität, die die Stimmung zwischen Staat und Randständigen,
zwischen offizieller Kirche und Santa Muerte-Kult gut illustriert.
Für seine anregende Einführung in den
Santa Muerte-Kult benutzte Andrew Chesnut hauptsächlich seine persönlichen
Kontakte in Mexiko, interviewte die Wortführer dieser Bewegung, befragte Praktizierende
nach individuellen Glaubensmotiven, Devotionalienhändler nach farblichen
Vorlieben der Kundschaft und Absatzzahlen und weidete ausgiebig Internetquellen
aus.
Das Werk kann sicherlich nicht als streng wissenschaftlich
bezeichnet werden, ist aber eine gute Einführung in das Phänomen des Santa Muerte-Kultes,
von dem sicherlich noch einiges zu hören sein wird.