Dr. Nevill Drury (1947-2013) war freier Historiker und
publizierte umfangreich und in zahlreiche Sprachen übersetzt zu den Themen
Magie, Schamanismus und visionäre Kunst. Der Brite, der seit 1963 in Australien
lebte, promovierte 2008 zur Kunst und Vision Rosaleen Nortons (1917-1979).
Und von ihr handelt auch das Buch, dass in der
Edition Roter Drache erschienen ist und neben der Biographie von Austin Osman
Spare als nächster ganz großer Wurf im Verlagsprogramm gewertet werden kann.
Ursprünglich 1988 unter dem Titel Pan's
Daughter: the Strange World of Rosaleen Norton erschienen, wurde das Werk kürzlich erheblich erweitert und nun ins
Deutsche übertragen.
Während die außergewöhnliche Rosaleen Norton im
angelsächsischen Raum durchaus ein Begriff ist, wird sie es im
deutschsprachigen wohl erst mit der vorliegenden Publikation. Die Hexe vom
Kings Cross, wie sie genannt wurde, war Visionärin, Magierin und Künstlerin.
Ihrem künstlerischen Vermögen wird mit einer durchgehenden Illustration des
Bandes Rechnung getragen, so dass der Leser einen guter Eindruck von der
magischen Bildsprache der Norton zu erlangen vermag.
Bereits in jungen Jahren, nach einem Kunststudium am
East Sydney Technical College, verdiente sie ihren Unterhalt mit dem Verfassen
von Horrorgeschichten und und dem Zeichnen von dazu passenden Illustrationen.
Nach weiteren verschiedenen Beschäftigungen kam sie in Kontakt mit der
magischen Tradition des Westens, die sich mit ihrem reichen visionären Erleben verband,
das sie aus intuitiv entwickelten Methoden von Selbsthypnose und Trance zog.
Ihre spätere Wohnung am King´s Cross, in der sie mit dem Dichter Gavin Greenlees
lebte, war voll mit ihren visionären Gemälden; Kneipen und Cafés in der
Umgebung stellten ihr Werke aus und Norton avancierte zu einer extravaganten
lokalen Berühmtheit innerhalb der Bohème Sydneys. Ein 1952 in 500 Exemplaren
gedrucktes Buch mit Nortons Bildern und Greenlees Gedichten illustriert diesen ihr
öffentliches Bild prägenden Abschnitt ihres bewegten Lebens.
Eines ihrer wiederkehrenden Bildmotive, ihr Wächter
und Vertrauter Janikot, begleitete sie häufig auf ihren visionären Reisen. Ein
anderes häufig ausgearbeitetes Motiv ist der Gott Pan, der ihr und ihrem Hexenzirkel
als Vornehmster und Erster der Götter galt. Gerade diese Bilder, häufig
sexuellen Inhalts, waren im Australien der 40er und 50er Jahre dazu angetan,
Kontroversen ob ihrer Anstößigkeit auszulösen, was dazu führte, dass Bilder durch
die Polizei aus Ausstellungen eingezogen wurden oder Bücher mit ihren Bildern
beschlagnahmt wurden. Weitere Skandale um Norton sind in diesem Band
illustriert, so die haltlosen Vorwürfe von Tieropfern bei Schwarzen Messen oder
die in die Öffentlichkeit gebrachten SM-Fotografien von ihr und Greenlees oder
aber die Affäre mit dem englischen Komponisten und Dirigent Sir Eugene
Goossens.
Als Hexe der Nachtseite pflegte sie mit
verschiedenen Wesenheiten visionären Kontakt, was ihr Bildwerk spiegelt und zusätzlich
in den wenigen Interview überliefert ist, bspw. mit Luzifer, Lilith und Hekate,
zu denen sie intimen Zugang hatte. Insgesamt gerannen ihre fortgesetzte
visionäre Schau und rituelle Arbeit in einer kohärenten Kosmologie mit Pan im
Mittelpunkt, die Drury, ganz der Historiker, aus verschiedenen Quellen
rekonstruiert.
Aber Drury bietet noch mehr: Norton in einen
größeren Rahmen einbettend findet sich ein Text zur Entwicklung der westlichen magischen
Strömungen von der Gründung des Golden Dawn, über den O.T.O. bis hin zur
Wicca-Bewegung, nebst einigen profunden Bemerkungen zum Einfluss der Lehre
Crowleys auf Norton und ein hochinteressanter Teil, in dem Drury Rosaleen Norton
Werk mit dem Austin Osman Spares vergleicht.
Der größte
Verdienst des Autors bleibt es, das einzigartige Werk Nortons nicht in
Vergessenheit geraten zu lassen und sowohl ihr beeindruckendes künstlerisches
als auch ihr magisches Erbe aufzuarbeiten und mit seinen Publikationen einer
breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben.