Sonntag, 4. Mai 2014

Drury, Nevill, Rosaleen Norton. Leben – Kunst – Sexualmagie, Edition Roter Drache: Rudolstadt 2013, Festband, 384 S., ISBN 978-3-939459-70-5, 25,00 €.

 
Dr. Nevill Drury (1947-2013) war freier Historiker und publizierte umfangreich und in zahlreiche Sprachen übersetzt zu den Themen Magie, Schamanismus und visionäre Kunst. Der Brite, der seit 1963 in Australien lebte, promovierte 2008 zur Kunst und Vision Rosaleen Nortons (1917-1979).
Und von ihr handelt auch das Buch, dass in der Edition Roter Drache erschienen ist und neben der Biographie von Austin Osman Spare als nächster ganz großer Wurf im Verlagsprogramm gewertet werden kann. Ursprünglich 1988 unter dem Titel Pan's Daughter: the Strange World of Rosaleen Norton erschienen, wurde das Werk kürzlich erheblich erweitert und nun ins Deutsche übertragen.
Während die außergewöhnliche Rosaleen Norton im angelsächsischen Raum durchaus ein Begriff ist, wird sie es im deutschsprachigen wohl erst mit der vorliegenden Publikation. Die Hexe vom Kings Cross, wie sie genannt wurde, war Visionärin, Magierin und Künstlerin. Ihrem künstlerischen Vermögen wird mit einer durchgehenden Illustration des Bandes Rechnung getragen, so dass der Leser einen guter Eindruck von der magischen Bildsprache der Norton zu erlangen vermag.
Bereits in jungen Jahren, nach einem Kunststudium am East Sydney Technical College, verdiente sie ihren Unterhalt mit dem Verfassen von Horrorgeschichten und und dem Zeichnen von dazu passenden Illustrationen. Nach weiteren verschiedenen Beschäftigungen kam sie in Kontakt mit der magischen Tradition des Westens, die sich mit ihrem reichen visionären Erleben verband, das sie aus intuitiv entwickelten Methoden von Selbsthypnose und Trance zog. Ihre spätere Wohnung am King´s Cross, in der sie mit dem Dichter Gavin Greenlees lebte, war voll mit ihren visionären Gemälden; Kneipen und Cafés in der Umgebung stellten ihr Werke aus und Norton avancierte zu einer extravaganten lokalen Berühmtheit innerhalb der Bohème Sydneys. Ein 1952 in 500 Exemplaren gedrucktes Buch mit Nortons Bildern und Greenlees Gedichten illustriert diesen ihr öffentliches Bild prägenden Abschnitt ihres bewegten Lebens.
Eines ihrer wiederkehrenden Bildmotive, ihr Wächter und Vertrauter Janikot, begleitete sie häufig auf ihren visionären Reisen. Ein anderes häufig ausgearbeitetes Motiv ist der Gott Pan, der ihr und ihrem Hexenzirkel als Vornehmster und Erster der Götter galt. Gerade diese Bilder, häufig sexuellen Inhalts, waren im Australien der 40er und 50er Jahre dazu angetan, Kontroversen ob ihrer Anstößigkeit auszulösen, was dazu führte, dass Bilder durch die Polizei aus Ausstellungen eingezogen wurden oder Bücher mit ihren Bildern beschlagnahmt wurden. Weitere Skandale um Norton sind in diesem Band illustriert, so die haltlosen Vorwürfe von Tieropfern bei Schwarzen Messen oder die in die Öffentlichkeit gebrachten SM-Fotografien von ihr und Greenlees oder aber die Affäre mit dem englischen Komponisten und Dirigent Sir Eugene Goossens.
Als Hexe der Nachtseite pflegte sie mit verschiedenen Wesenheiten visionären Kontakt, was ihr Bildwerk spiegelt und zusätzlich in den wenigen Interview überliefert ist, bspw. mit Luzifer, Lilith und Hekate, zu denen sie intimen Zugang hatte. Insgesamt gerannen ihre fortgesetzte visionäre Schau und rituelle Arbeit in einer kohärenten Kosmologie mit Pan im Mittelpunkt, die Drury, ganz der Historiker, aus verschiedenen Quellen rekonstruiert.
Aber Drury bietet noch mehr: Norton in einen größeren Rahmen einbettend findet sich ein Text zur Entwicklung der westlichen magischen Strömungen von der Gründung des Golden Dawn, über den O.T.O. bis hin zur Wicca-Bewegung, nebst einigen profunden Bemerkungen zum Einfluss der Lehre Crowleys auf Norton und ein hochinteressanter Teil, in dem Drury Rosaleen Norton Werk mit dem Austin Osman Spares vergleicht.
Der größte Verdienst des Autors bleibt es, das einzigartige Werk Nortons nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und sowohl ihr beeindruckendes künstlerisches als auch ihr magisches Erbe aufzuarbeiten und mit seinen Publikationen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben.