Freitag, 3. Juli 2015

Harding, Elizabeth Usha, Kali. The Black Mother of Dakineshwar, Nicolas Hays, Inc.: York Beach 1993, Paperback, 320 S., ISBN 0-89254-025-7, 21,98 €.


Mittlerweile ist das Buch von Elizabeth Usha Harding zur Dunklen Göttin der Hindus schon so etwas wie ein moderner Klassiker und nach wie vor eines des besten oder besterzählenden Bücher zum Thema.
Mit Ma Bavatharini (Retterin der Welt), der Form von Kali, die im Tempel von Dakineshwar, in der Nähe von Kolkata verehrt wird, hat sich die Autorin ein Thema für ihr Buch gewählt, das so umfassend ist, dass vor dem Lesen Zweifel aufkommen könnten, ob ein solches Unterfangen überhaupt glücken kann. Umso größer dann die Freude, das es glückt, und wie.
Äußerst anschaulich beschreibt die Autorin die Rolle der Großen Mutter im Hinduismus und speziell im Shaktismus, also innerhalb der Gemeinde von Gläubigen, die für jedwede Schöpfung ein primär weibliches Prinzip (shakta) verantwortlich machen. Dieses urweibliche Prinzip erscheint in verschiedenen Formen, von denen Kali wahrscheinlich die bekannteste auch im Westen ist, aber auch die, die am häufigsten missverstanden wird. Neben Ma Kali spielen Durga, Lakshmi, Sati, Uma, Tara, die zehn Mahavidiyas und viele mehr in das Gesamtbild weiblicher Urkraft hinein, in die der Leser durch Hardings Buch einen profunden Einblick gewinnt.
Dabei sollte man nicht die Erwartung hegen, ein rein akademisches Buch in Händen zu halten; neben den zahlreichen Zitaten sind es die persönlichen Eindrücke der Autorin, die das Buch so farbig gestalten und die es vermögen, im Leser diese Farbenpracht vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen. Der Leser fühlt sich mitgenommen auf die Pilgerreise zum Tempel in Dakineshwar, was auch daran liegt, dass es der Autorin gelingt, die Schilderung dieser Fahrt mit Sinneseindrücken zu illustrieren, die in den Bann ziehen. Und es könnte natürlich auch daran liegen, das sie selbst sich als Devotee der Schwarzen Göttin offenbart.
Der Kalitempel in Dakineshwar selbst ist einer der bekanntesten Verehrungsorte der Großen Mutter. 1847 ließ Rani Rasmani den Tempel bauen, die als große Kalianhängerin aus einer niedrigen Kaste kam, reich heiratete und nach dem Ableben ihres Ehemannes üppig erbte. Neben dem Kalitempel in Dakineshwar stiftete sie weitere; für Vishnu und mehrere für Shiva.
Die genaue Darstellung der Tempelanlage und der entsprechenden Zufahrtswege, der täglichen Rituale und der großen Feste der Schwarzen Göttin nehmen viel Raum in diesem Werk ein. Zu den mehr theologischen Überlegungen, der Reflektion des Rolle der Ma Kali im Shaktismus, wird der Leser dann mit Sri Ramakrishna bekannt gemacht, einem indischen Mystiker, den Harding vielfach zitiert.
Sri Ramakrishna, der u.a. Lehrer von Swami Vivekananda war, lebte selbst jahrzehntelang als Anhänger und als Priester der Großen Mutter in diesem Tempel und äußerte sich immer wieder zur Göttin. Die von Harding ausgewählten Zitate sind, neben der lebendigen Schilderung des Alltagsgeschehens, ein weiterer hervorzuhebender Bestandteil dieses Buches.
Wer es farbig mag, neben den mytholgischen Grundlagen des Shaktismus einen sehr gut geschriebenen Eindruck in die zeitgenössische Verehrung von Kali in Dakineshwar aus erster Hand möchte und wer zudem durch einige historische Größen des Hinduismus in Bezug auf die Göttin inspiriert sein will, kann mit diesem Buch nichts falsch machen. Zur vertiefenden Ergänzung der Rolle von göttlichen Personifizierungen weiblicher Energie kann das herausragende Werk von David Kinsley, Indische Göttinen. Weibliche Gottheiten im Hinduismus, wärmstens empfohlen werden, sowie die Bücher von Dr. Robert Svoboda.