Mittlerweile ist das Buch von Elizabeth Usha Harding
zur Dunklen Göttin der Hindus schon so etwas wie ein moderner Klassiker und
nach wie vor eines des besten oder besterzählenden Bücher zum Thema.
Mit Ma Bavatharini (Retterin der Welt), der Form von
Kali, die im Tempel von Dakineshwar, in der Nähe von Kolkata verehrt wird, hat
sich die Autorin ein Thema für ihr Buch gewählt, das so umfassend ist, dass vor
dem Lesen Zweifel aufkommen könnten, ob ein solches Unterfangen überhaupt
glücken kann. Umso größer dann die Freude, das es glückt, und wie.
Äußerst anschaulich beschreibt die Autorin die Rolle
der Großen Mutter im Hinduismus und speziell im Shaktismus, also innerhalb der
Gemeinde von Gläubigen, die für jedwede Schöpfung ein primär weibliches Prinzip
(shakta) verantwortlich machen. Dieses
urweibliche Prinzip erscheint in verschiedenen Formen, von denen Kali
wahrscheinlich die bekannteste auch im Westen ist, aber auch die, die am
häufigsten missverstanden wird. Neben Ma Kali spielen Durga, Lakshmi, Sati,
Uma, Tara, die zehn Mahavidiyas und viele mehr in das Gesamtbild weiblicher
Urkraft hinein, in die der Leser durch Hardings Buch einen profunden Einblick
gewinnt.
Dabei sollte man nicht die Erwartung hegen, ein rein
akademisches Buch in Händen zu halten; neben den zahlreichen Zitaten sind es
die persönlichen Eindrücke der Autorin, die das Buch so farbig gestalten und
die es vermögen, im Leser diese Farbenpracht vor dem geistigen Auge entstehen
zu lassen. Der Leser fühlt sich mitgenommen auf die Pilgerreise zum Tempel in
Dakineshwar, was auch daran liegt, dass es der Autorin gelingt, die Schilderung
dieser Fahrt mit Sinneseindrücken zu illustrieren, die in den Bann ziehen. Und
es könnte natürlich auch daran liegen, das sie selbst sich als Devotee der
Schwarzen Göttin offenbart.
Der Kalitempel in Dakineshwar selbst ist einer der
bekanntesten Verehrungsorte der Großen Mutter. 1847 ließ Rani Rasmani den
Tempel bauen, die als große Kalianhängerin aus einer niedrigen Kaste kam, reich
heiratete und nach dem Ableben ihres Ehemannes üppig erbte. Neben dem Kalitempel
in Dakineshwar stiftete sie weitere; für Vishnu und mehrere für Shiva.
Die genaue Darstellung der Tempelanlage und der
entsprechenden Zufahrtswege, der täglichen Rituale und der großen Feste der
Schwarzen Göttin nehmen viel Raum in diesem Werk ein. Zu den mehr theologischen
Überlegungen, der Reflektion des Rolle der Ma Kali im Shaktismus, wird der
Leser dann mit Sri Ramakrishna bekannt gemacht, einem indischen Mystiker, den
Harding vielfach zitiert.
Sri Ramakrishna, der u.a. Lehrer von Swami
Vivekananda war, lebte selbst jahrzehntelang als Anhänger und als Priester der
Großen Mutter in diesem Tempel und äußerte sich immer wieder zur Göttin. Die von
Harding ausgewählten Zitate sind, neben der lebendigen Schilderung des
Alltagsgeschehens, ein weiterer hervorzuhebender Bestandteil dieses Buches.
Wer es farbig mag, neben den mytholgischen Grundlagen des
Shaktismus einen sehr gut geschriebenen Eindruck in die zeitgenössische
Verehrung von Kali in Dakineshwar aus erster Hand möchte und wer zudem durch
einige historische Größen des Hinduismus in Bezug auf die Göttin inspiriert sein
will, kann mit diesem Buch nichts falsch machen. Zur vertiefenden Ergänzung der
Rolle von göttlichen Personifizierungen weiblicher Energie kann das
herausragende Werk von David Kinsley, Indische
Göttinen. Weibliche Gottheiten im Hinduismus, wärmstens empfohlen werden,
sowie die Bücher von Dr. Robert Svoboda.